Ein neues Marktdesign für die Energiewende
Die Energiewende schreitet voran, doch das Strommarktdesign hinkt hinterher. Mit dem Wandel hin zu klimafreundlichen Alternativen in den Sektoren Verkehr und Wärme steigt der Bedarf an grünem Strom.
Um diesen zu decken, genügt es jedoch nicht, Wind- und Solarenergie sowie Netzausbau voranzutreiben. Das Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ macht in zwei Stellungnahmen Vorschläge für ein zeitgemäßes Marktdesign, das die Sektorenkopplung fördert und Netzengpässe effektiv und effizient bewältigt.
Der heutige Strommarkt ist historisch gewachsen und spiegelt die Entwicklungen der jüngsten Zeit nicht ausreichend wider. Wenn klimaschonende Technologien wirksam und zu möglichst geringen Kosten zur Energiewende beitragen sollen, braucht es einen unverzerrten Wettbewerb zwischen erneuerbaren und fossilen Energieträgern, in dem sich klimaschädliches und klimafreundliches Verhalten auch im Preis niederschlägt. Gleichzeitig gilt es, das gewohnt hohe Niveau an Versorgungssicherheit auch in einem Energiesystem beizubehalten, das in stärkerem Ausmaß auf volatile Energieträger vertraut.
Eine Arbeitsgruppe des von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften initiierten Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) zeigt in zwei Stellungnahmen auf, wie Änderungen im Marktdesign einen wesentlichen Beitrag zu einer kostengünstigen und wirkungsvollen Energiewende leisten können.
Netzstabilität und Versorgungssicherheit gewährleisten
Wie Netzengpässe behoben oder bestenfalls sogar verhindert werden können, diskutieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Stellungnahme „Netzengpässe als Herausforderung für das Stromversorgungssystem“. Netzengpässe sind Situationen, in denen die Transportkapazitäten der Netze nicht ausreichen, um alle gewünschten Stromhandelsgeschäfte durchzuführen. Im besseren Fall können sie behoben werden, was aktuell zu hohen Kosten führt. Im schlechteren Fall stellen sie eine Bedrohung für Netzstabilität und Versorgungssicherheit dar.
Im Zuge der Energiewende wird diese Problematik durch die fluktuierende Einspeisung aus Solar- und Windkraft, den steigenden Strombedarf und den grenzüberschreitenden Stromhandel zunehmen – auch bei umfassendem Netzausbau. Engpässe effizient und wirksam zu bewältigen, ist deshalb entscheidend für die Versorgungssicherheit und damit für eine erfolgreiche Energiewende.
Anpassungen des Marktdesigns können hier Abhilfe schaffen, so Prof. Dr. Hartmut Weyer (Technische Universität Clausthal), Co-Leiter der Arbeitsgruppe: „Zur Vermeidung von Netzengpässen könnten Preissignale beitragen, die schon bei der Einsatzplanung von Erzeugungs-, Speicher- und Verbrauchsanlagen die Verfügbarkeit von Transportkapazitäten anzeigen. Ist ein Engpass jedoch unvermeidbar, können Erzeugungs- und Speicheranlagen sowie flexible Verbraucher ihre eingespeiste beziehungsweise abgenommene Leistung temporär anpassen. Aktuell greifen Netzbetreiber vor allem auf Kraftwerke zu. Zusätzliche Anreize könnten helfen, insbesondere auch industrielle und private Stromverbraucher zu motivieren, je nach Netzauslastung mehr oder weniger Strom zu beziehen und so zum Engpassmanagement beizutragen.“
Sektorenkopplung durch ein weiterentwickeltes Strommarktdesign vorantreiben
Im Zentrum der Stellungnahme „CO2 bepreisen, Energieträgerpreise reformieren – Wege zu einem sektorenübergreifenden Marktdesign“ steht die Frage, wie eine stärkere Integration von Strom-, Wärme- und Verkehrssektor hin zu einem klimafreundlichen Gesamtsystem gelingen kann. Die Expertinnen und Experten sprechen sich für eine Kombination aus einer umfassenden CO2-Bepreisung und einer Reform der Steuern, Umlagen und Abgaben als Lösungsansatz aus. Dies würde nicht nur zu einer Reduktion von Treibhausgasemissionen führen, sondern könnte auch private Haushalte und die Industrie entlasten.
Prof. Dr. Felix Müsgens (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg), Co-Leiter der Arbeitsgruppe, erklärt: „Wenn die Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung dazu verwendet werden, Steuern, Abgaben und Umlagen zu senken, die emissionsarme Energieträger belasten, kann eine doppelte Dividende für den Klimaschutz erreicht werden. Erstens wird durch die CO2-Bepreisung der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase teurer, somit werden klimaschonende Technologien gefördert. Zweitens werden dadurch Einnahmen generiert, die etwa für eine Entlastung von Unternehmen im internationalen Wettbewerb sowie privater Haushalte zur Verfügung stehen.“
Da Treibhausgasemissionen umso effizienter vermieden werden können, je mehr Emissionen mit demselben Preis belegt werden, spricht sich die Arbeitsgruppe für internationale Partnerschaften in Form einer strategischen CO2-Allianz aus. Diese könnte die Bepreisung von Emissionen, die bisher nicht im europäischen Emissionshandel erfasst sind, auf EU-Ebene vorantreiben. Auch wenn zunächst nur einige Staaten daran teilnehmen, die zusammen für einen signifikanten Anteil Emissionen verantwortlich sind, könnte somit bereits eine große Reduktion von Treibhausgasen erreicht werden.