Energy Sharing: Strom gemeinsam erzeugen, nutzen und teilen
Die Bürgerenergie ist in Deutschland ein starker Motor für die Energiewende. Doch den gemeinsam erzeugten Strom auch gemeinschaftlich zu nutzen ist so kompliziert, dass es eigentlich unmöglich ist. Europäische Nachbarn zeigen, wie es gehen könnte.
Energie in Bürgerhand ist in Deutschland längst gelebte Realität. Rund 1.000 Bürgerenergiegesellschaften haben über die Jahre viele Solar- und Windkraftanlagen gebaut und produzieren Millionen Kilowattstunden erneuerbaren Strom. In diesen Zusammenschlüssen wird die Energiewende tatkräftig vorangetrieben – mit viel Wissen, Herzblut und nicht zuletzt mit Geld aus dem Portemonnaie der Beteiligten.
Doch eine Facette der Möglichkeiten liegt bisher brach: das Energy Sharing, das gemeinsame Nutzen von gemeinschaftlich erzeugtem Strom. Eine europäische Richtlinie macht aber genau dazu Vorgaben. Die demokratiestiftenden Strukturen, die Möglichkeiten zur lokalen Wertschöpfung und der daraus resultierende Zuspruch für die Energiewende sind Werte, auf die wir nicht verzichten sollten. „Die Kommunen sind außerdem stark an dem sozialen Mehrwert interessiert, der durch erneuerbare Energiegemeinschaften entsteht.“ Diese Erfahrung hat Arthur Hinsch in seiner Arbeit beim Internationalen Städte- und Gemeindebund für Nachhaltigkeit (ICLEI) gemacht. Da Energiegemeinschaften auch dabei helfen, die kommunalen Klimaschutzziele zu erreichen, ist das Interesse groß, von guten Beispielen zu lernen und nicht bei null anfangen zu müssen.
Deutschland gilt als Vorreiter der Bürgerenergie, in Sachen Energy Sharing besteht jedoch Handlungsbedarf. Die Beispiele aus anderen europäischen Ländern können helfen, den eigenen Weg zu finden.
Italien setzt auf Anreizsystem
Seit 2020 ist Energy Sharing in Italien möglich. Zunächst galten zwei Jahre als Testphase. Limitierender Faktor war, dass die Erzeuger und Verbraucher am gleichen Mittelspannungs-Umspannwerk angeschlossen sind. Ende 2021 überarbeitete die italienische Regierung das Gesetz und setzte damit die Vorgaben der europäischen Erneuerbaren-Richtlinie REDII um. Nun gelten ab Frühling 2023 neue Regeln, größere Energiegemeinschaften sind möglich.
Auch dann gibt es nur zwei limitierende Faktoren: die Mitglieder der Gemeinschaft müssen zu einem Hochvolt-Umspannknotenpunkt gehören und die maximale Anlagengröße liegt bei einem Megawatt Leistung. Bisher arbeiten die kleinen Energiegemeinschaften unter der Ägide der Kommunen. Wenn größere Zusammenschlüsse möglich sind, werden auch Unternehmen die Gemeinschaften anführen können – die Kommunen werden dann Mitglied.
Kleine Stadt im Piemont als Vorreiter
Die kleine Stadt Magliano Alpi in der Region Piemont war die erste Kommune von inzwischen etwa einem Dutzend Städten, die eine Energiegemeinschaft gründete. Initiatoren waren der Bürgermeister der Gemeinde, Marco Bailo und das Energiezentrum der Technischen Universität Turin (Energy Center Politecnico di Torino). Ziemlich schnell wurde eine PV-Anlage mit 20 Kilowatt Leistung aufs Rathausdach gebaut. Inzwischen fließt Strom aus rund 80 Kilowatt Photovoltaikleistung von Dächern öffentlicher und privater Gebäude zu den Verbrauchern der Gemeinschaft. Die in den zurückliegenden zwei Jahren gesammelten Erfahrungen werden systematisch mit anderen Kommunen geteilt, wie der wissenschaftliche Leiter der Energiegemeinschaft Sergio Olivero erzählt. Unter anderem werden parallel drei digitale Steuerungsplattformen betrieben, um die optimale Variante für Verteilung und Abrechnung der Boni zu finden.
Das Prinzip der italienischen Variante des Energy Sharing besteht in einem Anreizsystem. Der innerhalb der Gemeinschaft produzierte und verbrauchte Strom wird mit 11 Cent pro Kilowattstunde honoriert. Mitglieder, die zu Zeiten der Stromerzeugung Strom nutzen, werden belohnt – die 11 Cent pro Kilowattstunde sollen nämlich genau diese Verbraucher erreichen – indem diese dann entsprechend weniger für diese Strommengen bezahlen müssen. So wird ein netzdienlicher Verbrauch angeregt. Speisen die Erzeugungsanlagen Strom ins öffentliche Netz, erhalten sie für diese Mengen die gesetzlich festgelegte Vergütung. „Die Intelligenz steckt im Algorithmus der digitalen Plattform, der aus Erzeugungs- und Verbrauchsdaten den jeweils richtigen Bonus für jedes Mitglied berechnet“, sagt Olivero.
Neue Gesetze bereits angekündigt
Ebenfalls ab Sommer 2023 ist es den Energiegemeinschaften auch erlaubt, Strom an Mitglieder zu verkaufen und Netzdienste zu erbringen, was es wirtschaftlich attraktiv macht, den Strom in Batteriespeichern zu puffern. Ebenso könnten Elektroautos als verteilte Speicherkapazität agieren.
Eine weitere positive Veränderung gibt es für Städte mit weniger als 5.000 Einwohnern. Ein Fördertopf mit zwei Milliarden Euro steht für den Bau von Photovoltaik-Anlagen in diesen Kommunen bereit. Magliano Alpi erwartet eine Million Euro aus diesem Programm und will Projekte mit insgesamt drei Megawatt Leistung umsetzen. Die Finanzierung dafür soll aus privaten Taschen kommen – Familien können 50 Prozent der Kosten für eine PV-Anlage steuerlich geltend machen.
Die Resonanz bei den Einwohnern von Magliano Alpi ist überaus positiv. Inzwischen ist die Warteliste für die Energiegemeinschaft lang. Die Interessenten können jedoch erst nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes teilhaben – wenn Erzeuger und Verbraucher eines Hochvoltknotenpunktes gemeinschaftlich Strom erzeugen und verbrauchen können. Die räumliche und zahlenmäßige Ausdehnung einer Gemeinschaft kann dann ungleich größer werden. Die italienische Regierung hat zugesagt, rechtzeitig eine entsprechende Karte mit den Einzugsgebieten der Umspannwerke zu veröffentlichen, so dass transparent ist, wer sich als Gemeinschaft zusammenfinden kann – auch über Distanzen von dutzenden Kilometern.
Fortschrittlicher Rechtsrahmen in Spanien
Seit 2015 ist der kollektive Selbstverbrauch in Spanien geregelt. 2020 folgte eine Definition von Erneuerbaren Energiegemeinschaften, die die Vorgaben der Erneuerbaren Richtlinie REDII nahezu wörtlich umsetzt. Leider wurden einige Rechtsbegriffe wie zum Beispiel das Nähe-Kriterium oder der Begriff Autonomie nicht definiert, so dass einige Unsicherheiten bestehen. Nutzen Erneuerbare Energiegemeinschaften den Rechtsrahmen des kollektiven Selbstverbrauchs, dürfen sie nur das Niederspannungsnetz nutzen und nur im Radius von 500 Metern um die Erzeugungsanlage aktiv werden.
Die spanische Regierung hat Erneuerbare Energiegemeinschaften im Ausschreibungssystem besonders berücksichtigt. Alle Projekte, die sich in einer Ausschreibung um einen Zuschlag bewerben, müssen eine Bürgerbeteiligung vor Ort beinhalten. Bei den jüngsten Versteigerungen wurden spezielle Bieterfenster ausschließlich für bürgergeführte, dezentrale PV-Erzeugungsprojekte geschaffen. Jede Verwaltungsebene (national, regional, lokal) hat ihre eigenen Aktionspläne zur Förderung von Erneuerbare Energiegemeinschaften, wobei die regionalen und lokalen Programme sich sehr unterscheiden.
In manchen Gebieten gibt es keinerlei regionale Unterstützung, andernorts freuen sich die Bürger über sehr fähige und engagierte lokale und regionale Verwaltungen.
Dieser Status Quo wurde dem Abschlussbericht des Forschungsprojektes COM RES entnommen. Untersucht wurden die Rahmenbedingungen für Erneuerbare Energiegemeinschaften in neun europäischen Ländern. Der Bericht formuliert konkrete Politikempfehlungen.
- Ein anderes spannenden Beispiel für Energy Sharing gibt es aus Wien zu erzählen. In Österreich profitieren Energiegemeinschaften von verringerten Netzentgelten.
- Die Bedingungen für Energy Sharing in Deutschland beschreibt Viola Theesfeld vom Bündnis Bürgerenergie im Interview.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (Petra Franke) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 33/2022 | „Ressourcen schonen, Kreisläufe nutzen“ | Jetzt lesen | Download