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Depositphotos.com | filmfoto | Gaspreis

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„EU-Nutzungsstopp für Erdgas bis 2035 und Ausbau echter erneuerbarer Alternativen“

Zur Gasmarkt-Reform der Europäischen Kommission – Gas aus Norwegen – Embargo fossiler Brennstoffe aus Russland.

Erst, nachdem die Staats- und Regierungschefs mit brutalen Bildern von wahllosen Morden in Butscha, einem Vorort von Kiew, konfrontiert wurden, nahm die Idee eines Embargos für russisches Erdgas konkretere Gestalt an. Das Massaker löste einen internationalen Aufschrei aus und brachte die bisher schwersten Anschuldigungen wegen Kriegsverbrechen gegen Moskau hervor, dass allerdings keine andere Erwiderung fand, als „Fake“. Ausschnitte einer Analyse von Euronews und ein Kommentar vom Greenpeace-Energieunternehmen Green Planet Energy.

Nach Butscha hatten die Mitgliedstaaten eine selbstgesetzte Frist von 120 Tagen beschlossen, um die Einfuhr russischer Kohle vollständig einzustellen. Dieser bahnbrechende Schritt sollte frühere Sanktionsrunden ergänzen und dazu beitragen, die Kriegsmaschinerie des Kremls zu lähmen: Der Verkauf fossiler Brennstoffe ist Russlands Haupteinnahmequelle und trägt zu über 40 % des Staatshaushalts bei, ist aber der leichteste Schritt für den Westen. Denn die Diskussion um die beiden profitabelsten Einnahmequellen Russlands und zugleich für Europa umgeht scheinheilig die viel wichtigeren Brennstoffe Öl und Gas.

Im vergangenen Jahr kaufte die EU russische Kohle im Wert von 5,16 Milliarden Euro, eine zu vernachlässigende Summe im Vergleich zu den 71 Milliarden Euro für Erdöl und den 16,3 Milliarden Euro, die für Gas ausgegeben wurden. Nach Angaben von Bruegel, einer in Brüssel ansässigen Denkfabrik für Wirtschaftsfragen, zahlt die EU an Russland zurzeit 450 Millionen Euro für Öl und 400 Millionen Euro für Gas – und das täglich. Russland ist mit rund 10,1 Millionen Barrel Rohöl pro Tag nach den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien der drittgrößte Erdölproduzent der Welt. Europa ist mit täglich 2,4 Millionen Barrel Rohöl und 1,4 Millionen Barrel anderer Raffinerieprodukte der bei weitem wichtigste Abnehmer. Allein Deutschland und die Niederlande verbrauchen 1,1 Millionen Barrel pro Tag. Russland ist mit mehr als 25 % der Gesamteinfuhren im Wert von mehr als 70 Milliarden Euro der wichtigste Öllieferant der EU. 2021 importierte die EU 155 Milliarden Kubikmeter russisches Gas und deckte damit etwa 40 % ihres Verbrauchs. Der größte Teil des russischen Gases strömt durch ein Netz von Pipelines in die EU. In Ländern wie Deutschland, Österreich, Finnland, Ungarn und Bulgarien hat Russland eine beherrschende Stellung als erster oder sogar einziger Gaslieferant. Deutschland hat direkten Zugang zu Nord Stream, einer Pipeline, die jährlich mehr als 55 Mrd. m3 liefert.

Josep Borrell prangerte die schwindelerregenden Ausgaben vor dem EU-Parlament an. Er erklärte den Abgeordneten, dass die EU seit Beginn des Ukraine-Krieges 35 Milliarden Euro für russische fossile Brennstoffe nach Moskau überwiesen habe, während nur eine kümmerliche Milliarde Euro an Hilfen für Kiew zusammengekommen waren. In derselben Woche verabschiedete das Parlament mit überwältigender Mehrheit eine (nicht bindende) Resolution, in der ein „sofortiges vollständiges Embargo für russische Öl-, Kohle-, Kernbrennstoff- und Gasimporte“ gefordert wird.

Deutschland und Österreich, in hohem Maße von russischen Brennstoffen abhängig, haben Dauer-Bedenken gegen ein vollständiges Embargo. Bundeskanzler Scholz warnte, ein sofortiger Stopp würde „ganz Europa in eine Rezession stürzen“. Österreichs Nehammer sekundierte. Für das Kohleverbot hat Ungarn noch gestimmt, aber der ungarische Ministerpräsident Orbán nannte die Energiesicherheit Ungarns eine „rote Linie“: Er kündigte an, sein Veto einzulegen gegen jeden Versuch, ein Energieembargo zu verhängen.

Aus Moskau kommen nicht die geringsten Zeichen, die Invasion aufzugeben. Während immer neue Berichte die Brutalität des russischen Vorgehens aufdecken und Empörung hervorrufen, muss die EU erkennen, dass die entscheidende Debatte nicht länger aufgeschoben werden kann. Die außergewöhnliche politische Einigkeit der 27 Mitgliedstaaten gegen Putins Aggression steht nun vor ihrer größten Bewährungsprobe.

Die EU müsste ihre Marktmacht nutzen, um den enormen Verlust an russischem Öl auszugleichen und durch Lieferungen aus anderen ölproduzierenden Ländern wie Norwegen, Algerien, Nigeria, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sicherstellen – so ein Text auf Euronews. Aber der Abschluss entsprechender Vereinbarungen könnte sich als schwierig erweisen. Denn die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) hat gemeinsam mit Moskau seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie die Produktion mit der Begründung gedrosselt, die weltweite Nachfrage sei instabil.

Während die politische Debatte in einer Sackgasse steckt, nimmt der private Sektor die Dinge selbst in die Hand: führende europäische Ölgesellschaften wie Shell, BP oder TotalEnergies beginnen, sich aus Angst vor Prestigeverlust von russischem Öl zu verabschieden.

Ist ein Embargo russischen Öl und die ganze Bandbreite der wirtschaftlichen Konsequenzen schon furchterregend genug – ein Importverbot für russisches Gas hätte noch schwererwiegende Konsequenzen. Teurere Alternative: verflüssigtes Erdgas LNG aus den USA, Katar, Australien, Nigeria, Algerien, Malaysia, Indonesien. Als die Spannungen an der ukrainischen Grenze vor der Invasion zunahmen, begann die EU, ihre LNG-Käufe zu erhöhen und brach damit neue Volumenrekorde. Eine kürzlich geschlossene Partnerschaft zwischen der EU und den USA wird der EU zusätzliche 15 Mrd. m3 LNG aus den USA sichern. Das Abkommen baut auf einem von der Europäischen Kommission vorgestellten Fahrplan auf, der den Kauf von 50 Mrd. m3 bis Ende 2022 vorsieht. So soll die Abhängigkeit der EU von russischem Gas schrittweise verringert werden, statt sie von heute auf morgen zu beenden. Kompletter Artikel: de.euronews.com/russisches-ol-und-gas-der-steinige-weg-zum-verzicht.

Greenpeace-Kommentar

Die EU-Kommission erarbeitet derzeit eine Reform des europäischen Gasmarktes, um die CO2-Emissionen im Gassektor künftig zu senken und so zum Erreichen der EU-Klimaziele beizutragen. Im Konsultationsprozess hat auch die Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy heute bei der Kommission eine Stellungnahme mit Verbesserungsvorschlägen eingereicht, um Fehlentwicklungen möglichst zu verhindern. Den aktuellen Reformvorschlag kommentiert am 12.04.2022 Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation von Green Planet Energy:

„Die EU will den Klimaschutz beim Thema Gas stärken und vergisst dabei die wichtigste Maßnahme: den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Gase. Die Förderung und der Transport von Erdgas verursachen einen solch enormen CO2-Ausstoß, dass bloßes Herumdoktern an Symptomen nicht ausreicht. Wir brauchen den kompletten, europaweiten Ausstieg aus der Erdgasnutzung in allen Wirtschaftssektoren bis spätestens 2035. Das ist nicht nur für den Klimaschutz nötig, sondern auch für unsere Versorgungssicherheit. Danach sollten nur noch erneuerbare Gase in Anwendungen verwendet werden, in denen eine Elektrifizierung nicht möglich oder sinnvoll ist.

Schädlich ist in dem Zusammenhang auch die neue Gaskennzeichnung, welche Brüssel einführen möchte. Darin sollen Verbraucher:innen regelmäßig informiert werden, ob das von ihnen zum Heizen genutzte Gas einen erneuerbaren Anteil enthält – und wie hoch dieser ist. Dabei weist die Gaskennzeichnung für erneuerbares Gas einen CO2-Ausstoß von Null aus. Für Verbraucher:innen entsteht so der falsche Eindruck, dass eine Gasheizung mit hohen Erneuerbaren-Anteilen ökologisch optimal wäre. Tatsächlich ist es aber eine der klimapolitisch wichtigsten Aufgaben überhaupt, dass wir Gas beim Heizen so schnell wie möglich durch elektrische Wärmepumpen ersetzen müssen. Die Gaskennzeichnung muss dringend so abgeändert werden, dass eine Irreführung von Verbraucher:innen ausgeschlossen ist.“

Quellen

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „SOLARIFY“ | gh 2022 verfasst! 

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