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Fundament der Klimaneutralität: So gelingt ein erneuerbares Stromsystem bis 2035

Die fossile Energiekrise zeigt, wie essenziell der schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien für die Energiesicherheit und den Industriestandort Deutschland ist. Eine neue Studie von Agora Energiewende analysiert, welche Maßnahme es jetzt zusätzlich braucht, um ein flexibles, klimaneutrales Stromsystem innerhalb von 13 Jahren zu erreichen.

Um den Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2030 auf 80 Prozent und bis 2035 auf 100 Prozent zu steigern, muss die Bundesregierung die bisher in Oster- und Sommerpaket vorgelegten Maßnahmen noch deutlich nachschärfen. Eine neue Studie von Agora Energiewende zeigt, welche Schritte es jetzt braucht, damit der Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem gelingt: Für das nötige Ausbautempo bei Windkraft-, Solaranlagen und Stromnetz ist seitens der Politik eine stärkere Priorisierung und konsequente Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren nötig. Zugleich braucht es die Absicherung von Investitionen in Windkraft und Solarenergie sowie für den Bau regelbarer Kraftwerke, die bereit für den Betrieb mit grünem Wasserstoff sind. Zentral ist weiterhin ein Ausbau des Übertragungsnetzes um 40 Prozent bis 2035 und eine umgehende Reform der Netzentgelte, damit beispielsweise die flexible Einbindung von Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Elektrolyseuren angereizt wird. Ein System mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien im Jahr 2035 erfordert außerdem ein Maßnahmenportfolio zur Systemsicherheit und effiziente Lösungen im Umgang mit Netzengpässen. Dazu gehört auch, die Einführung geografischer Preissignale im Stromsystem zu prüfen, um ein zuverlässiges Zusammenspiel von Erzeugung und Verbrauch zu gewährleisten.

„Wir müssen das Ziel einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung so schnell wie möglich erreichen. Gerade angesichts der aktuellen fossilen Energiekrise ist das wichtiger denn je“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland bei Agora Energiewende. „Ein erneuerbarer Stromsektor ist zudem das Fundament der Klimaneutralität: Im Verkehr, beim Heizen und in der Industrie ist die Verfügbarkeit von grünem Strom die Voraussetzung für das Erreichen der Klimaziele.“ Daher müsse die Bundesregierung jetzt den nötigen Paradigmenwechsel einläuten, um den Boden für ein klimaneutrales Stromsystem bis 2035 zu bereiten. „Dafür müssen bis zum Jahresende die Lücken aus dem Oster- und Sommerpaket geschlossen werden“, sagt Müller.

Die in der Agora-Studie vorgeschlagenen Maßnahmen sichern das 80-Prozent-Erneuerbaren-Ziel sowie den rechtzeitigen Kohleausstieg bis 2030 und schaffen gleichzeitig die Grundlage für ein erneuerbares Stromsystem bis 2035. Die Analyse, die in Zusammenarbeit mit den Energieberatungsunternehmen Prognos und Consentec entstanden ist, legt damit erstmalig eine umfassende Strommarkt- und ergänzende Netzmodellierung für ein klimaneutrales Stromsystem vor. Die G7-Umwelt- und Energieminister:innen hatten Ende Mai in ihrem Abschlusskommuniqué eine fast vollständige Dekarbonisierung der Kraftwerkparks als Ziel formuliert – auch im aktuellen Entwurf der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes ist dieses Ziel enthalten.

Konsequente Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

Für die Ziele im Stromsektor muss sich die Erzeugung erneuerbaren Stroms von heute 243 auf 595 Terawattstunden bis 2030 mehr als verdoppeln – und bis 2035 auf 845 Terawattstunden mehr als verdreifachen. ​Die steigende Stromnachfrage geht vor allem auf neue Verbraucher wie etwa Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Elektrolyseure für die Erzeugung von grünem Wasserstoff zurück, die maßgeblich für die Senkung der Treibhausgasemissionen in den Bereichen Industrie, Verkehr und Gebäude sind. „Die Weichen, die wir jetzt für eine klimaneutrale Stromversorgung bis 2035 stellen, tragen direkt zum Klimaerfolg in allen anderen Sektoren bei“, betont Müller. Um dem Ausbau der Erneuerbaren Energien die erforderliche Priorität einzuräumen, muss die Regierung laut Agora die Fristen der Bundesländer für die Bereitstellung von zwei Prozent der Fläche für Windkraftanlagen verkürzen und eine endgültige Klärung der Vereinbarkeit von Artenschutz und Windkraft erreichen. „Indem die Bundesregierung jetzt das Ausbautempo bei Solarenergie und Windkraft an Land konsequent erhöht, können wir in den nächsten vier Jahren ein Ausbauniveau erreichen, das uns bis 2035 zu einem klimaneutralen Stromsektor führt“, bekräftigt Müller.

Absicherung von Investitionen und Schaffung von Flexibilitätsanreizen

Neben dem Ausbau der Infrastruktur sind verlässliche Investitionsbedingungen für den Zubau von Windkraft- und Solaranlagen sowie ein Geschäftsmodell für regelbare Kraftwerke entscheidend, die in einem klimaneutralen Stromsystem als Ausgleich für fehlenden Wind und Sonnenstrom zum Einsatz kommen. Für Erneuerbare Energien schlägt die Agora-Studie etwa die Absicherung langfristiger Stromlieferverträge vor und die Einführung einer symmetrischen Marktprämie, die Anlagenbetreibern eine feste Einspeisevergütung garantiert, aber ab einem bestimmten Gewinn auch Rückzahlungen erfordert.

Zusätzlich müssen laut Agora auch die Voraussetzungen für flexiblen Stromverbrauch geschaffen werden. Hierfür müssten beispielsweise Preissignale den Betrieb oder das Laden von Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen, Elektrodenkesseln, Elektrolyseuren oder Batteriespeichern in den Stunden attraktiv machen, in denen viel erneuerbarer Strom vorhanden ist. Bisher werden flexible Strommengen durch hohe Netzentgelte bestraft. „Die längst überfällige Reform der Netzentgelte ist die entscheidende Stellschraube, um bei neuen Verbrauchern und in der Industrie einen flexiblen Betrieb anzureizen“, sagt Agora Deutschlandchef Müller. „Es braucht eine schnelle Lösung noch diesen Herbst, damit wir für neue Elektroautos und Wärmepumpen gleich die Flexibilitäten fördern, die hohe Anteile Erneuerbarer Energien absichern.“

40 Prozent mehr Stromnetzkilometer und eine integrierte Systemplanung

Die Agora Studie weist einen nötigen Netzaus- und Umbau von zusätzlichen 15 000 Stromkreiskilometern im Jahr 2035 für ein klimaneutrales Stromsystem aus (+40 Prozent). Für einen effizienten Netzbetrieb müssten außerdem der Ort von Erzeugung und Verbrauch von Strom stärker berücksichtigt werden. Das könnte durch die Einführung von regional unterschiedlichen Preisen geschehen, zum Beispiel durch eine Reform der Netzentgelte, um die Verfügbarkeit von grünem Strom im lokalen Netz widerzuspiegeln. Daher ist es empfehlenswert, die Optionen für die Einführung solcher geografischen Signale zu untersuchen. Zentral ist zudem die Ausarbeitung und Implementierung eines Maßnahmenpakets für einen sicheren Systembetrieb bei 100 Prozent Erneuerbaren Energien,das Technologien für Systemdienstleistungen und den effizienten Umgang mit Netzengpässen fördert. Eine integrierte Systemplanung von Stromnetzen und Wasserstoffinfrastruktur statt der aktuell überwiegend getrennten Planung kann zudem dafür sorgen, dass sich der Infrastrukturausbau sinnvoll und kostensparend ergänzt.

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Die Studie „Klimaneutrales Stromsystem 2035 – Wie der deutsche Stromsektor bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden kann“ ist in Zusammenarbeit mit der Prognos AG, die für die Strommarktmodellierung zuständig war, und der Consentec GmbH, die dazu eine ergänzende Netzmodellierung durchgeführt hat, erschienen. Die vorliegende Studie entwickelt die Berechnungen der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ weiter, indem das Modell die neuen Regierungsziele für erneuerbare Stromerzeugung und -verbrauch integriert. Die 72-seitige Publikation berechnet damit einen gangbaren Pfad zum Erreichen von 80 Prozent Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030. Zudem wird gezeigt, dass die konsequente Fortsetzung des Wegs zum Ziel eines klimaneutralen Stromsektor bis 2035 in Deutschland führt.

Quelle

Agora Energiewende 2022

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