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Geplatzt! Die große (Öko-)strompreislüge

„Ökostrom ist teuer!“ war der Schlachtruf der Systembewahrer in der Stromwirtschaft seit der Jahrtausendwende. Das „Totschlagargument“ der Fossilien der Energiebranche wurde von den Medien, vom Spiegel bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung jahrelang willig transportiert. Den Verwaltern eines korrodierenden Systems in der Politik kam es ebenfalls wie Honig von den Lippen: „Ökostrom ist teuer!“ Diese Lüge ist im Jahre 2013 geplatzt, wie ein Kirtagsluftballon. Das ist nicht nur ein bedeutendes Ereignis des Jahres am Energiesektor sondern auch die wichtigste Voraussetzung für Unumkehrbarkeit der Energiewende. Kommentar von Hans Kronberger

Es gibt zwei Wege die Kosten von erneuerbarem Strom fair und korrekt in Relation zum noch aktuellen fossil-atomaren Energiesystem zu stellen: Die tatsächlichen Gestehungskosten zu berechnen, oder den derzeitig noch vorhandenen Zuschussbedarf mit fossilen und atomaren Energieträgern in Relation zu setzen. In beiden Fällen löst sich das Gespenst der angeblich hohen Kosten der Erneuerbaren schnell in Luft auf.

Pannen, Pech & Pleiten

Es war wieder einmal jenem EU-Kommissar vorbehalten, dessen Ressort zwar mit Energie übertitelt ist, das aber richtigerweise eher „Pannen, Pech und Pleitedienst“ heißen müsste, wenn auch unfreiwillig, Licht ins Dunkel der weltweiten Förderwirtschaft zu bringen. Der Brüsseler „Pannen, Pech und Pleitedienst“ hat einen Namen und der lautet Günther Oettinger. Der EU-Kommissar predigt wie eine aufgezogene Spielzeuguhr immer wieder, dass erneuerbare Energien viel zu hoch gefördert würden. Er ließ seine Beamten zur Beweisführung einen Subventionsbericht erstellen, der seine Leier bestätigen sollte. Die Beamten waren fleißig. Sie listeten nicht nur die staatlichen Fördersummen für die Erneuerbaren auf, sondern auch die für die fossilen und atomaren. Der tatsächliche Bericht landete bei der Süddeutschen Zeitung. Die zu streichenden Passagen waren zwar rot markiert, aber noch nicht gelöscht. 27 Länder der Europäischen Union hatten erneuerbare Energieträger mit insgesamt 30 Milliarden Euro gestützt.

Aber: Für nukleare Kraftwerke wurden 35 Milliarden aufgewendet und Kohle und Gas erhielten 40 Milliarden. Rechnet man die sozialen und gesundheitlichen Folgekosten dazu, so errechneten die EU-Beamten, wird die fossil-atomare Energiebranche jährlich mit 130 Milliarden Euro gestützt. Mit einem Klick auf die Löschtaste wurden die Zahlen geschönt. Im richtigen Leben würde man gefälscht sagen. Der Hokuspokus-Kommissar hat einfach die Fleckenschere genommen und die fossil-atomaren Schmutzpatzer aus dem Anzug geschnitten. Man kann davon ausgehen, dass ihm das löchrige Kleidungsstück in der alten E-Wirtschaft nach seinem vermutlichen Abgang als Kommissar im Jahr 2014 ein geeigneter Türöffner sein wird.

Subventionen für Fossile

Was die EU kann, nämlich fossil-atomare Energieträger massiv zu fördern, das kann der Rest der Welt schon lange, auch wenn man dort statt in Euro in Dollar rechnet. Die in Bezug auf Erneuerbare höchst unverdächtige Internationale Energieagentur (IEA) in Paris hat für das Jahr 2012 errechnet, dass die weltweiten Subventionen für fossile Energieträger auf eine Rekordhöhe von 523 Milliarden US-Dollar gestiegen sind das ist sechsmal so viel wie weltweit für erneuerbare Energieträger ausgegeben wird. Das ist Stand der Gegenwart. Für die Zukunft fordern englische Atomkraftwerksbetreiber für Atomstrom hohe Garantietarife auf über dreißig Jahre. Auch die Deutschen sind nicht faul. EON-Chef Teyssen und RWE-Boss Terium fordern Preisgarantien für fossile Kraftwerke, genau das, was sie bei den Erneuerbaren abgeschafft sehen wollen. Fazit: Würde man alle Begünstigungen abschaffen wären die fossil-atomaren relativ schnell weg vom Fenster und die Erneuerbaren würden ebenso schnell Fahrt aufnehmen.

„Erneuerbarer Strom ist teuer!“

Betrachtet man die Entwicklung des Marktpreises für elektrischen Strom an der Leipziger Strombörse seit 2008 kehrt sich diese These ins Gegenteil. Dort kostete die Kilowattstunde elektrischen Stroms im April 2008 über acht Cent. 2013 ist er unter vier Cent gefallen, also glatt halbiert.

Auch wenn sie nicht die alleinigen Verursacher für den Strompreisverfall sind, so tragen sie doch den Hauptanteil ‑ Wind und Sonne. Sie sind nicht die Preistreiber sondern die Preisdrücker. Das Problem dabei ist, dass von den Stromversorgern diese Preisreduktionen nicht an den Endkunden weiter gegeben werden. Dort ist man an fette Gewinne gewohnt und bei elf Prozent beginnt man bereits Krisengeschrei anzustimmen und bei RWE  „werden Einsparungsmaßnahmen getroffen“ (Wirtschaftsblatt 28.11. 2003). Die Ursachen für die Leiden der alten Energieversorger sind relativ leicht diagnostiziert. Den fetten Rahm schöpften die alten Stromversorger vor allem im Sommer und in den Mittagstunden ab. Wenn die Klimaanlagen auf vollen Touren liefen und die E-Herde glühten, stieg der Börsenpreis auf bis zu zwei Euro pro Kilowattstunde an. In den fossilen Kraftwerken wurde kräftig geheizt, um Strom zum Kühlen zur Verfügung zu haben.

Ein System, das man aus Klimasicht als Todesspirale bezeichnen könnte. Speziell durch Sonnenstrom wurden diese goldenen Spitzenwerte gekippt. Besonders betroffen waren auch die Pumpspeicherkraftwerke, die in der Nacht mit billigem Atomstrom vollgepumpt wurden und mittags Spitzenpreise abkassierten.

Die alte E-Wirtschaft hatte die Entwicklung vollkommen unterschätzt. Ist ihrer eigenen jahrelangen Propaganda, der nach Erneuerbare bestenfalls kleine Nischen füllen könnten aufgesessen und mussten zusehen wie ihre Kraftwerke von den erneuerbaren Preisdrückern unrentabel geworden sind.

Echte Lösungen gesucht

Grundsätzlich glaubte man wohl an die Unendlichkeit fossiler und nuklear Primärenergie, oder dachte zumindest nicht über den eigenen Zeithorizont hinaus. Es wird auch noch dauern, bis sich in diesen Kreisen der Grundgedanke durchsetzt, dass jede Energiediskussion, die ohne Überlegung nach Herkunft, Preis und Verfügbarkeit von Primärenergie geführt wird, nicht zukunftsträchtig, sondern sinnlos ist.

Anstatt die Zeichen der Zeit zu erkennen setzt die E-Wirtschaft auf riskante Beschaffungsmethoden, die zwar das Problem der sich verknappenden Primärenergie vorübergehend lindern kann, aber keine Lösung ist. Bohrungen unter schwierigen Bedingungen in der Arktis, ökologisch katastrophale Schieferöl und-gas Exploration, werden die Energiepreise mittelfristig massiv nach oben treiben. Die Abermillionen Euro, die man in falsche Studien zur Rechtfertigung überholter Energiepolitik investiert werden ebenso als gestrandete Kosten in den Bilanzen der Versorger enden wie Propaganda über gewaltige Vorräte. Die erste Propagandalüge, die man als magische Trumpfkarte immer wieder ausspielen konnte ist geplatzt. Ökostrom ist nicht mehr teuer, sondern auf Dauer durch die kostenlose Primärenergie unschlagbar billig.

Erneuerbar, sagt der Hausverstand

Dieser simple Gedanke müsste für jeden halbwegs logisch denkenden Menschen nachvollziehbar sein. Der Hausverstand ist die eine Seite. Der wissenschaftliche Nachweis die andere. Die Zeiten, in denen ausschließlich die Stromversorger umfangreiche Studien vorlegen konnten und die Erneuerbaren mit Appellen an Herz und Hirn arbeiteten, sind endgültig vorbei. Zwar haben Umweltorganisationen gute Vorarbeit geleistet und Argumentationsszenarios über tatsächliche Kosten von fossiler und atomarer Energieaufbringung erstellt oder erstellen lassen, aber so richtig in der Volkswirtschaftslehre angekommen sind die Erneuerbaren erst in letzter Zeit. Der Schritt von der Abwehrhaltung gegenüber den althergebrachten Argumenten zur Offensive ist relativ spät erfolgt. Die ernsthafte Diskussion über die volkswirtschaftliche Bedeutung der erneuerbaren Energien steht erst am Anfang. An den gestiegenen Ölpreis, der sich seit der Jahrtausendwende von zehn Dollar pro Barrel auf über hundert bewegt hat, hat man sich gewöhnt. Dass geopolitisch jederzeit Ereignisse eintreten können, die einen weiteren möglicherweise exorbitanten Anstieg verursachen könnten, wird ignoriert. Noch hält man die Diskussion darüber, wie sehr die Lieferländer fossiler Energieträger deren Verbraucherländer in Abhängigkeiten manövrieren, für nicht brennend. Das wird sich mit absoluter Sicherheit ändern. Wahrscheinlich schneller als den abhängigen westlichen Volkswirtschaften Recht sein kann. Dagegen hilft nur die „Energiewende“, diese aber liegt besonders in den betroffenen Industrienationen noch im Stadium des internen Haders und Zanks.

Das Problembewusstsein steckt bei der Energieabhängigkeit noch in den Kinderschuhen, die Mächtigen in der Stromwirtschaft sind zu sehr mit dem Verlust ihrer vermeintlichen Macht beschäftigt, wie es Fritz Vorholz, der Doyen des hochwertigen ökologischen Journalismus es ebenso treffend wie blumig formuliert: „Es gibt wenige gesellschaftliche Prozesse, die in so kurzer Zeit zu so großen sozialen Strukturbrüchen geführt haben und führen, wie es die Energiewende schon getan hat. Das Geschäftsmodell der bis vor kurzem tonangebenden Stromkonzerne erodiert in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit. Waren sie gerade noch Staaten im Staate, machen ihnen heute Privatleute mit Solarzellen auf dem Dach Kilowattstunden abspenstig. Die Dinger entmachten RWE (Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerks Aktiengesellschaft) und Co. regelrecht, unglaublich“ (DIE ZEIT 8. Februar 2013).

Wenn die Solarbewegung und Eigenstromerzeugung für die Stromriesen schon „Monster“(Sonnenzeitung 3/2013: Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka meint Solaranlagen seien Monster) sind, was müssen dann erst anerkannten Ökonomen sein, die mit hoher wissenschaftlicher Präzision, die alten Thesen wie „die Energiewendepolitiker treiben die Industrienationen in die Planwirtschaft, steuern sie in die Deindustrialisierung und lassen die Strompreise explodieren oder provozieren gigantische Blackouts“ zertrümmern.

Energiewende ist wirtschaftsfreundlich!

Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bietet den antiquierten Strukturbewahrern seit Jahren die Stirn. In umfangreichen Arbeiten weist sie nach, dass die Behauptung, dass die Energiewende Ursache für Industrieabwanderung sei ein „Mythos“ ist und dass in erster Linie die Energiewende langfristig stabile Preise garantiere. Sie weist systematisch nach, dass das deutsche EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) in Wirklichkeit höchst wirtschaftsfreundlich ist, obwohl deren Nutznießer es bekämpfen. Sie rechnet vor, dass die Netzinfrastruktur für elektrischen Strom in den letzten Jahren und Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wurde und sauberer Strom jetzt als Sündenbock für die daraus resultierenden Mängel zur Schau gestellt werden soll. Punkt für Punkt widerlegt sie die Strompreislügen ohne scheinheilige Neutralität.

Die Süddeutsche Zeitung hat sie unter die zehn wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Kapazitäten Deutschlands gereiht. Wohl das zweitgrößte Kompliment, das sie in ihrer Berufslaufbahn erfahren hat. Das größte Kompliment aber ist das Wutgeheul ihrer Gegner, die ihr unter anderem nicht verzeihen, dass sie als Wissenschaftlerin in der Lage ist, in einer verständlichen Sprache relativ komplizierte Konstrukte für annähernd jedermann verständlich auf den Punkt zu bringen.

Ihr Werk „Kampf um Strom“ ist eine dramatische Reportage um eine der größten wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen der Gegenwart.

Quelle

Dr. Hans Kronberger 2014

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