Horváth-Studie: Energieversorger wachsen über ihr Kerngeschäft hinaus
Untersuchung wirft ein Schlaglicht auf neue Geschäftsstrategien der Energieunternehmen.
So viele Energieversorger wie noch nie blicken optimistisch in die Zukunft: Für die nächsten fünf Jahre haben 65 Prozent der Unternehmen eine positive Ergebniserwartung. 80 Prozent sehen in der Energiewende eine Chance für ihren Betrieb. Die Digitalisierung steht weiterhin ganz oben auf der Agenda. Dies sind Ergebnisse der Studie „Strategieentwicklung von Energieversorgern“ der Managementberatung Horváth & Partners.
Bis zum Jahr 2025 werden etwa 47 Prozent des Stroms in Deutschland aus Erneuerbaren Energien erzeugt, so die Prognose der Energieversorgungsunternehmen. Damit würde das Ziel der Bundesregierung von 40 bis 45 Prozent bis 2025 noch übertroffen. Wachstum erwarten die Versorger etwa im Bereich Photovoltaik. Knapp sieben von zehn Befragten rechnen sogar damit, dass dieser Markt stark zulegt.
Die Digitalisierung eröffnet den Energieversorgern Handlungsspielräume, die sie über ihr Kerngeschäft hinauswachsen lassen. „Mit neuen Strom- und Gasverträgen im bestehenden Rahmen ist kaum mehr Geld zu verdienen“, sagt Matthias Deeg, Leiter des Beratungsbereichs für die Energiewirtschaft von Horváth & Partners. „Die Differenzierungsmöglichkeiten im klassischen Energiemarkt sind zu gering, um sich von den Wettbewerbern abzusetzen und es herrscht enormer Preisdruck.“
Digitale Technologien ermöglichen nicht nur eine Steigerung der Effizienz, sondern auch eine Ausweitung des Angebots. Alle befragten Versorger messen der Digitalisierung auf allen Ebenen eine hohe strategische Relevanz zu. Sie sei unerlässlich, um eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur zu erhalten, so die einhellige Meinung.
Der Studie zufolge halten drei von vier Unternehmen den Ausbau ihres Online-Produkt-Angebots für überlebenswichtig. Etwa ebenso viele Energieversorger sehen dabei besonders die Telekommunikation als Hebel zur Kundengewinnung. „Im Rahmen des Glasfaserausbaus bewegen sich Energieversorger zunehmend in Richtung eines Diensteanbieters und treten aktiv mit eigenen Telekommunikationsprodukten in den Markt ein. Dies erfolgt beispielsweise über umfangreiche Bündelprodukte, die Komponenten des Energie-Kerngeschäfts mit Telekommunikationsangeboten zu einem Paket zusammenfassen“, sagt Horváth-Experte Deeg.
Aber auch weitere Bereiche hat die Branche für Bündelprodukte ausgemacht: So sind zukünftig im Zuge des Betriebs der so genannten Wallbox, also der Wandladestation für Elektroautos, oder im Rahmen des Rollouts intelligenter Messsysteme mit Strom und Wärmezählern bei Endkunden (wettbewerbsrechtlicher Messstellenbetrieb) neue Angebote denkbar.
Welche Technologie hat das größte Potenzial?
Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle weist einen vergleichsweise hohen Umsetzungsgrad auf. Für die Versorger stehen dabei die elektronische Abrechnung sowie der Auf- und Ausbau von Kundenportalen im Fokus. Aber auch der Vertriebserfolg kann durch den digitalen Wandel vorangebracht werden: Das Online-Marketing ergänzt die individualisierte Kundenansprache.
Die Zuversicht, neue Technologien für sich nutzen zu können, nimmt im Vergleich zu den Vorgängerstudien seit 2011 zu. Potenzial erblicken die Versorger vor allem in Künstlicher Intelligenz und Robotic Process Automation (RPA). Knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen können sich vorstellen, Advanced Analytics künftig für sich gewinnbringend zu nutzen, großes Potenzial sehen die Bereiche Handel und Dienstleistungen. Allerdings hat noch keines der befragten Unternehmen Advanced-Analytics-Lösungen in Fläche im Unternehmen ausgerollt.
Auf in neue Gefilde
Viele Versorger, insbesondere Stadtwerke, wollen sich zunehmend zu einem Anbieter von Dienstleistungen rund um die Themen Smart City, Quartiersentwicklung, Wohnen und Mobilität entwickeln. Energieversorgungsunternehmen sehen zum Beispiel Lösungen für Gebäudemodernisierungen, Eigenerzeugung oder Messtechnik in Wohnungen. Stadtwerke bemühen sich, Potenziale in der Bereitstellung von multimodaler Mobilität, also der Vernetzung mehrerer Verkehrsmittel, und in der Vermarktung von Ladesäulen im Rahmen des Ausbaus der E-Mobilität zu nutzen.
Allerdings wird diese Entwicklung der Stadtwerke weg vom eigentlichen Geschäftszweck hin zu neuen Produkten aktuell durch regulatorische Vorgaben stark eingeschränkt. Um wirtschaftlich attraktive Geschäftsmodelle zu ermöglichen, muss diese Hürde überwunden werden. Die Umsetzung dieser neuen Produkte von der Entwicklung über den Vertrieb bis zur Überführung in effiziente, automatisierte Prozesse stellt die Energieversorger vor immense Herausforderungen. Die Unternehmen müssen sich auch in ihrer Arbeitsorganisation neu aufstellen. Neue Teamorganisationen sind am Entstehen, welche die Produktentwicklungsgeschwindigkeit und die Marktbearbeitung deutlich beschleunigen sollen.
Über die Studie
Mit der Studie „Strategieentwicklung von Energieversorgern“ untersucht Horváth & Partners seit 2010 im zweijährlichen Turnus aktuelle Trends in Bezug auf die zukünftige strategische Ausrichtung von Energieversorgern und -dienstleistern. An der aktuellen Befragung beteiligten sich 44 Unternehmen der Top 60, die gemessen an der Anzahl der Zählpunkte rund 55 Prozent des deutschen Energiemarktes vertreten.
Die wesentlichen Ergebnisse sind in einer Infografik veranschaulicht