Indien als neues Solarmekka
Die erneuerbaren Energien wachsen rasant, aber noch nicht schnell genug. Zwei neue Berichte vor dem UN-Klimagipfel in Brasilien zeigen, wie stark sich der Schwerpunkt schon nach Asien verschoben hat.
Die Welt erlebt derzeit einen beeindruckenden Boom beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Das Tempo bleibt allerdings hinter dem zurück, was erforderlich wäre, um das 1,5-Grad-Limit bei der Erderwärmung noch zu halten, wie es 2015 im Pariser Weltklimavertrag verabredet wurde.
Das zeigen zwei aktuelle Berichte, vorgelegt von der Internationalen Energieagentur IEA und der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien Irena wenige Wochen vor dem UN-Klimagipfel COP 30 im brasilianischen Bélem. Unterdessen wird deutlich, dass das bevölkerungsreichste Land der Erde, Indien, bei Solarstrom und Co zum neuen Hoffnungsträger wird.
Die IEA sagt in ihrem kürzlich erschienenen Erneuerbaren-Report voraus, dass die installierte Kapazität erneuerbarer Stromerzeugung weltweit bis 2030 voraussichtlich auf rund 8,9 Millionen Megawatt steigen wird, was ungefähr einer Verdopplung gegenüber heute entspricht. Dabei dürfte die Photovoltaik etwa 80 Prozent dieses Zuwachses ausmachen.
Nach Szenarien der Irena, die ihren Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) hat, müsste die installierte erneuerbare Leistung bis 2030 allerdings auf über elf Millionen Megawatt wachsen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.
Immerhin: Im Jahr 2024 wurden global 582.000 Megawatt an erneuerbarer Energiekapazität neu installiert. Das war so viel wie noch nie zuvor, vor allem ausgelöst von der starken Verbilligung der Solarstrom-Anlagen. Absoluter Spitzenreiter bei den Neuinstallationen war wieder China.
Für das Dubai-Ziel reicht es nicht
Doch dieser Fortschritt reicht nicht aus, um das 2023 vom Klimagipfel COP 28 in Dubai vereinbarte Ziel einer Verdreifachung der Leistung auf 11,2 Millionen Megawatt bis 2030 zu erreichen. Der Irena-Bericht „Umsetzung des VAE‑Konsenses“ zeigt, dass dazu ab sofort jährlich gut 1,1 Millionen Megawatt zusätzlicher Kapazitäten installiert werden müssten, was laut der Agentur einem jährlichen Wachstum von fast 17 Prozent entspräche.
Hinzu kommt: Um in die Paris-Spur zu kommen, braucht es nicht nur einen rasanten Ausbau der Erneuerbaren, sondern auch starke Fortschritte bei der Energieeffizienz. Doch die gibt es nicht: Derzeit verbessert sich die Energieeffizienz im weltweiten Schnitt um ein Prozent pro Jahr – deutlich weniger als die vier Prozent, die zum Erreichen der Klimaziele nötig wären.
Die Irena fordert in dem gemeinsam mit der brasilianischen COP‑30-Präsidentschaft und der Global Renewables Alliance veröffentlichten Report von den Regierungen eine deutliche Erhöhung der Investitionen und eine stärkere Einbindung der Erneuerbaren in die nationalen Klimapläne, die NDCs, um die Energiewende voranzutreiben.
Den Industrie- und Schwellenländern komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Die globalen Investitionen müssten bis 2030 auf mindestens 1,4 Billionen US-Dollar jährlich ansteigen, heißt es in dem Bericht. Zum Vergleich: 2024 wurden 624 Milliarden investiert.
Netze, Speicher und Flexibilität immer wichtiger
IEA-Chef Fatih Birol beschrieb die Lage so: „Das Wachstum der weltweiten Kapazitäten für erneuerbare Energien wird in den kommenden Jahren von der Photovoltaik dominiert – aber auch Wind-, Wasser-, Bioenergie und Geothermie werden dazu beitragen.“
Birol betonte, auch Stromnetze und ‑speicher müssten entsprechend ausgebaut und die Flexibilität beim Verbrauch erhöht werden, um die wetterabhängige Öko-Elektrizität auch effektiv nutzen zu können. „Da die Rolle erneuerbarer Energien in der Stromversorgung vieler Länder zunimmt, müssen politische Entscheidungsträger der Lieferkettensicherheit und den Herausforderungen der Netzintegration besondere Aufmerksamkeit widmen.“
Birol sagte, neben dem Wachstum in etablierten Märkten wie China und Indien werde Solarenergie auch in Volkswirtschaften wie Saudi-Arabien, Pakistan und mehreren südostasiatischen Ländern stark an Bedeutung gewinnen.
Bislang allerdings dominiert China die Entwicklung. Das Land beeinflusst maßgeblich das Tempo, die Technologie-Entwicklung und die Kostenstruktur weltweit. Laut den IEA-Daten hat China zwischen 2019 und 2024 etwa 40 Prozent des globalen Erneuerbaren-Zubaus geleistet, und es wird erwartet, dass das Land bis 2030 fast 60 Prozent der weltweit neu installierten erneuerbaren Kapazitäten liefern wird, vor allem Solar- und Windenergie.
Auch bei der Herstellung dieser Technologien liegt China vorn. Der Großteil der globalen Solarmodul-Produktion sowie wichtiger Komponenten für Wind- und Speichertechnik wird dort gefertigt. Dieses industrielle Fundament ermöglicht Skaleneffekte, Kostensenkungen und damit beschleunigten Ausbau nicht nur in China selbst, sondern weltweit.
Indien übertrifft eigene Ziele weit
Aufsehen erregt in diesem Zusammenhang das Schwellenland Indien. In den ersten neun Monaten dieses Jahres installierte Indien nach Angaben des Internationalen Wirtschaftsforums Erneuerbare Energien (IWR) in Münster über 34.000 Megawatt neue Solar- und Windleistung – ein Wachstum von über 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei entfielen sechs von sieben Megawatt auf Solaranlagen und der Rest auf Wind.
Die Regierung in Neu-Delhi plant, bis 20230 eine nicht-fossile Kraftwerksleistung von insgesamt 500.000 Megawatt zu erreichen. Die Hälfte davon ist schon geschafft, und die Marktentwicklung hat im Jahresverlauf weiter an Dynamik gewonnen. Der Ausbau der Erneuerbaren verläuft viel schneller als geplant. Die IEA erwartet, dass Indien zum weltweit zweitgrößten Wachstumsmarkt wird.
Die Gründe für diese Dynamik sind vielfältig: staatliche Unterstützungs- und Förderprogramme, schnelle Genehmigungsprozesse in einigen Bundesstaaten, teils auch eine Verlagerung vom Großanlagenbau hin zu dezentralen Lösungen.
Pralhad Joshi, Indiens Minister für Neue und Erneuerbare Energien, sagte dazu, sein Land sei gut auf dem Weg zum 500.00-Megawatt-Ziel unterwegs. „Mit einer Solarkapazität von rund 125.000 Megawatt ist Indien heute der drittgrößte Solarproduzent der Welt. Dieser Fortschritt zeigt, wie nationale Ambitionen zu spürbaren Veränderungen auf lokaler Ebene führen können.“
Gleichwohl bleiben in Indien wie auch in China Herausforderungen bestehen. Beide Länder bauen weiter neue Kohlekraftwerke, und der Ausbau der Netze und Speicher hält mit dem hohen Tempo des Ausbaus noch nicht Schritt.
Wachstumsprognose für USA halbiert
In anderen Weltregionen ist die Entwicklung unterschiedlich. Die USA fallen beim Erneuerbaren-Ausbau in der zweiten Trump-Ära zurück, die IEA hat ihre Wachstumsprognose für das Land fast halbiert, da staatliche Steueranreize auslaufen und neue Importzölle etwa für Solarmodule gelten.
Europa verzeichnet laut dem Bericht der Agentur besondere Fortschritte bei Solarprojekten. Unklar ist freilich die Lage in der größten Volkswirtschaft der EU, Deutschland, wo die Merz-Regierung eine Rücknahme der Ausbauziele nicht ausgeschlossen hat.
Positive Entwicklungen gibt es laut IEA auch im übrigen Asien, dem Nahen Osten und Afrika, wo politische Unterstützung, sinkende Kosten und schnellere Genehmigungsverfahren das Wachstum vorantrieben.
Die Internationale Energieagentur erwartet, dass die Erneuerbaren global zunehmend die Stromversorgung übernehmen, mit einem Anteil variabler Energiequellen von fast 30 Prozent am Strommix 2030.
Bei Wärme und Verkehr liegen sie dagegen noch weit zurück. In der Wärmeversorgung von Gebäuden und Industrie wächst der Erneuerbaren-Anteil nach der Prognose von derzeit 14 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts auf 18 Prozent, unterstützt durch Elektrowärmepumpen und Biomasse.
Im Verkehrssektor, wo der Anteil erneuerbarer Energien erst bei vier Prozent liegt, soll dieser zwar um 50 Prozent zunehmen. Das sind dann aber auch nur sechs Prozent.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!







