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© unsplash.com | Creative Christians | Das Smartphone ist die am häufigsten genutzte IT-Erfindung der letzten Jahrzehnte.

Nachhaltig und digital: Wir haben es in der Hand

Studie zu nachhaltiger Nutzung von Smartphones erschienen.

Kürzlich haben Sie zusammen mit Kolleg*innen in der Zeitschrift Sustainable Development einen Artikel über die nachhaltige Nutzung von Smartphones veröffentlicht. Was haben Sie herausgefunden?

Tatsächlich ist der Gesamtenergieverbrauch von Smartphones gar nicht so hoch. Global schätzen wir in unserer Untersuchung dafür einen Wert von rund 7 Terrawattstunden pro Jahr ab. Wesentlich höher ist aber der Energiebedarf, der für die mobile Datenübertragung und für das Speichern in den weltweiten Datenzentren verbraucht wird. Und das heißt: Je mehr Daten gesammelt werden, desto mehr Energie wird dafür in den Zentren benötigt. Die wenigsten Menschen wissen, wie viele Daten ständig von ihrem Smartphone abgefragt werden.

Was kann ich als Smartphone-Besitzerin selbst gegen diese Datenübertragung tun?

TU Berlin / Foto: privat / Prof. Dr. Mario Birkholz hat zu nachhaltiger Nutzung von Smartphones geforscht.

Zunächst können Sie die GPS-Geolocation abstellen, die sehr häufig abgefragt wird, und sie nur einschalten, wenn sie tatsächlich gebraucht wird. Die Anfrage eines Google-Account-Nutzers hat kürzlich ergeben, dass in neun Jahren allein über 500.000 Geodaten von ihm gespeichert worden waren. Im Durchschnitt wurde also alle neun Minuten sein Standort an die Google-Server gesendet. Und es gibt Milliarden Menschen mit Google-Accounts, von denen die Geo- und noch weitere Verhaltensdaten gesammelt und gespeichert werden. Diese riesige Menge von personenbezogenen Daten, die in den Serverfarmen gespeichert werden, frisst enorm viel Strom. Ich empfehle, auch das WLAN immer abzuschalten, wenn es nicht gebraucht wird. Denn selbst wenn Sie draußen spazieren gehen, kommen Sie ständig an WLAN-Stationen vorbei, wo jedes Mal Daten ausgetauscht werden. Diese unnötige Datenübertragung kann jede*r minimieren.

In den Handyeinstellungen gibt es auch die Möglichkeit, bestimmten Datenübertragungen nicht zuzustimmen. Hilft das?

Ja. In den Einstellungen können Sie schauen, welche Zustimmungen zur Datenübertragung eingeschaltet sind. Viele übernimmt man automatisch mit dem Betriebssystem, die man eigentlich nicht braucht. Es gibt Datenschutzorganisationen wie Digitalcourage oder Topio, die gute aktuelle Hinweise für sparsame Datenübertragung geben. Gerade Apps wie Tiktok, WhatsApp und Instagram ziehen im Hintergrund ständig Daten wie beispielsweise Kontakte aus dem Netzwerk mit Namen, Adressen, E-Mail und Telefonnummer samt Informationen über gemeinsame Aktivitäten, Zeitstempel und Verbindungsinfos über getätigte Anrufe und Nachrichten. Aber auch technische Daten wie genutzte Netze – mobil oder WLAN –, Handytyp, Batteriestatus, Browsertyp samt Settings und, und, und. Ich würde deshalb empfehlen, diese Programme durch Alternativen wie Signal oder Matrix zu ersetzen, die weniger Daten abfragen, oder ihren Gebrauch soweit es geht zu minimieren.

In der Studie schlagen Sie auch den Wechsel zu alternativen Betriebssystemen vor.

Wer richtig konsequent sein will, sollte auf alternative Betriebssysteme wie /e/OS, Sailfish oder Lineage wechseln, die es inzwischen durchaus mit den konventionellen Betriebssystemen aufnehmen können und auf denen alle gängigen Android-Apps funktionieren. Das kostet etwas Einarbeitung, man ist dann aber von den permanenten Datenabgriffen befreit.

Für viele Menschen ist der Wechsel zu alternativen Kommunikationssystemen schwierig, weil die gesamte Kommunikation beispielsweise über WhatsApp läuft.

In der Tat. Junge Menschen fühlen sich dann abgehängt, weil die meisten Leute diese Apps nutzen, und wer seinen Kontakt zu Freunden pflegen will, dem bleibt oft nichts anderes übrig, als diese Monopole selbst zu nutzen. Deswegen ist politische Regulation notwendig, um das System aufzubrechen. Die EU hat vor einem Jahr beispielsweise Mastodon-Kanäle in Betrieb genommen, um die europäische Datensouveränität zu stärken. Die bundesdeutsche Politik sollte als Vorbild vorangehen, indem die Ministerien von X zu Mastodon wechseln, was eine viel bessere Alternative ist. Wenn alle Politiker*innen das täten, wären wir schon einen großen Schritt weiter.

Sie schreiben in der Studie auch, dass die erneuerbaren Energien den enormen Datenhunger der großen Tech-Firmen gar nicht decken können.

Ich habe in den 90er Jahren zu Photovoltaikmaterialien promoviert. Damals dachten wir, der damit erzeugte Strom geht in die Haushalte und in die Industrie. Mit dem Smartphone kam aber eine technische Innovation auf, die alles links überholt und die 2020 in Europa den komplett hier erzeugten Solarstrom verbraucht hat. Das muss uns nachdenklich machen. Generell nimmt der Energieverbrauch des Sektors der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) in bedenklicher Weise zu: durch die Innovationen, die noch weiter ausgebaut werden wie Künstliche Intelligenz, das Internet of Things, Smart Cities, Elektromobilität oder Grüner Wasserstoff. Das alles wird so viel elektrische Energie verbrauchen, dass ich mir Sorgen mache, ob wir die Verminderung des fossilen Energieverbrauchs je erreichen. Das lässt mich anders auf das Thema Nachhaltigkeit blicken.

Stichwort Nachhaltigkeit: In der Studie haben sie nicht nur den Energieverbrauch von Smartphones und seinen Einfluss auf den Klimawandel untersucht, sondern auch andere Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen.

Für die insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele haben wir zehn Konflikte bei der Smartphone-Nutzung identifiziert. So trägt die exzessive, personalisierte Werbung zum Beispiel zu einer übermäßigen Produktion bei und kollidiert mit dem Ziel Nr. 12, eines verantwortlichen Konsums. Besonders ausgeprägt ist der Konflikt mit Ziel Nr. 10, also der angestrebten Reduktion wirtschaftlicher Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten. Die Anstiege der Profite der großen Internetunternehmen in dem Bereich von einigen 100 Milliarden Euro pro Jahr stellen eine nicht mehr hinzunehmende Konzentration gesellschaftlicher Ressourcen dar. Denn dieses Geld wird für akute Probleme im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich dringend benötigt.

Welche Rahmenbedingungen fordern Sie von der Politik?

Die Absicht, Digitalpolitik stärker am Gemeinwohl zu orientieren, wird zwar im Koalitionsvertrag formuliert, doch werden wir dieser Zielvorgabe bisher nicht gerecht. Nehmen wir das Beispiel von Open-Source-Software, die wir an ganz vielen Stellen brauchen, wo wir es gar nicht merken. Viele Programme, die Uni-Angehörige im täglichen Leben nutzen, wie die Programmiersprache Python, die Moodle-Lehrplattform, Firefox, BigBlueButton, Matrix, ImageJ, Linux, Audacity oder der VLC media player, wurden von unheimlich engagierten Leuten geschrieben. Aber die Leistung dieser Softwareentwickler*innen wird finanziell kaum gewürdigt. Das Office-Paket Libre Office von der in Berlin ansässigen Document-Foundation bietet eine großartige Alternative zum Microsoft Office-Paket. Die Software-Entwicklung erfolgt aber ehrenamtlich. Wir müssen erkennen, dass Software und Betriebssysteme Teil der kritischen Infrastruktur sind. Diesen Bereich können wir nicht wirtschaftlichen Monopolen überlassen, sondern müssen die Open- Source-Community stärker finanziell fördern. So können die Programme ausgebaut werden, die den Datenschutz achten und die digitale Souveränität Europas ermöglichen. Es wäre ein wichtiges politisches Signal, diese Beiträge für die Digitalisierung zu fördern und fair zu bezahlen.

Sie selbst kommen aus der Bioelektronik. Wie kamen Sie auf die Idee, zusammen mit einem Team von Wissenschaftler*innen aus der IT, Klimaforschung und Biotechnologie zur nachhaltigen Nutzung von Smartphones zu forschen?

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© unsplash.com | Markus Spiske | Prof. Dr. Mario Birkholz empfiehlt der Politik, die Open- Source-Community stärker finanziell zu fördern. Denn nur so könnten die Programme ausgebaut werden, die den Datenschutz achten und die digitale Souveränität Europas ermöglichen.

Wir alle, die vier Autor*innen der Veröffentlichung, beschäftigen uns schon lange mit der Nachhaltigkeit unserer Forschung – wobei wir uns dem Thema von unterschiedlichen Seiten angenähert haben. Drei von uns haben im Institut für Biotechnologie zueinander gefunden. Als vierten Autor haben wir den Klimaforscher Jürgen Scheffran von der Universität Hamburg mit ins Team geholt, so dass jede*r von uns wichtige Teile für diese interdisziplinäre Arbeit eingebracht hat. Im Joint Lab Bioelectronics haben wir zum Beispiel implantierbare, tragbare Systeme wie Glucosesensoren für Diabetes-Patient*innen entwickelt, die höchst sensitive Gesundheitsdaten ermitteln. Mich hat interessiert, was mit diesen Daten passiert, die weitergeben werden und wie sie unter Kontrolle der Patient*innen bleiben können. Daraus entstanden ist auch die Ringvorlesung Internet und Privatheit, die 2019 und 2021 an der TU Berlin stattfand. In unserem Artikel haben wir uns bewusst auf das Smartphone konzentriert, weil das die am häufigsten genutzte IT-Erfindung der letzten Jahrzehnte ist. Jede*r hat eins und kann ein bisschen dazu beitragen, dass der ICT-Sektor nachhaltiger wird.

Quelle

TU Berlin 2024 | Das Interview führte Barbara Halstenberg.

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