SCHLUSS MIT LUSTIG
David gegen Goliath am Strommarkt war gestern. Heute stehen einander zwei kräftige Bullen gegenüber, der fossil-atomare auf der einen, der im weitesten Sinn solare (Wasser, Wind, Sonne und Biomasse) auf der anderen Seite. Und es ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sie aufeinander losgehen werden. Auch der Zeitpunkt steht schon fest: Nach den Wahlen. Kommentar von Hans Kronberger
Die fossil-atomaren Stromerzeuger haben eine hochgerüstete Kriegskasse. Geld allein ist aber schon lange kein Garant mehr für ein dauerhaftes Obsiegen. Ein Unfall wie in Fukushima, oder die Machtübernahme durch die Grünen in einem großen Bundesland in Deutschland, setzen der alten Energiebranche mächtig zu. Die Erneuerbaren haben die bessere Munition, unendlich viel Primärenergie und immer noch Rückenwind. Dies reicht aber nicht aus, um die Energiewende so rasch voran zu treiben, dass man sich eine direkte Konfrontation ersparen könnte. Beide Gruppen steigen mit für sie schwierigen Lasten in die Arena – im Kampf um die Hoheit in der Energieversorgung der Zukunft.
Ruhe vor dem Sturm
In Deutschland und Österreich wird heuer im Herbst gewählt. In Deutschland wird es voraussichtlich zu einer neuen Konstellation kommen, da sich schwarz – gelb auf Grund der schwächelnden Liberalen wahrscheinlich nicht mehr ausgehen wird. In Österreich könnte das rot-schwarze Modell noch einmal knapp über die Runden kommen. Wie auch immer die Wahlen ausgehen werden, der Kampf um die Vorherrschaft in der Stromwirtschaft wird die nächste Legislaturperiode in beiden Ländern dramatisch prägen. Die derzeitige Ruhe vor dem Sturm ist ein Kind der Vorwahlzeit und darf nicht als halber Frieden missverstanden werden.
Die Ruhe ist nämlich von oben verordnet: Das schwarz-gelbe Ministerduo Peter Altmaier und Philipp Rösler versuchten zwar noch in der laufenden Legislaturperiode die Energiewende zu relativieren, aber Kanzlerin Angela Merkel sprach am 21. März dieses Jahres ein Machtwort. Die Energiewende bleibt auch in Deutschland angesagt, wenngleich der Begriff von verschiedenen Seiten unterschiedlich verstanden wird. Die Energiewende ist wie ein startendes Flugzeug. Der Versuch unkontrolliert den Start abzubrechen, ohne die Gewissheit, dass man die Start- beziehungsweise Landebahn wieder trifft, ist sehr riskant. Dies hat Merkel erkannt und geht vorläufig auf Nummer sicher. Nach dem Atomausstieg und dem Ausstieg aus dem Ausstieg kann das dritte Looping leicht außer Kontrolle geraten.
Dramatische Erkenntnis
Sucht man im Archiv nach einem Zeitzeugen für die Situation der vier deutschen Energieriesen so wird man in der Abschiedsrede des einst mächtigen RWE-Bosses Jürgen Großmann fündig. In seiner letzten Bilanzpressekonferenz am 6. März 2012 beklagte er verbittert das Betriebsergebnis des Vorjahres. „Das betriebliche Ergebnis sank um 24 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro…Das nachhaltige Nettoergebnis…verringertes sich um 34 Prozent“.
„Schuld daran seien neben den „defizitären Gaslieferverträgen“ die „rückläufigen Margen in der Stromerzeugung, weil die Strompreise nicht in dem Maße gestiegen sind wie die Preise für Kohle und Öl. Ein wesentlicher Grund dafür ist der massive Ausbau der Photovoltaikanlagen, die meistens nur mittags einspeisen. Steinkohle- und Gaskraftwerke müssen dann zurückstecken.“
Auf gut Deutsch, das alte Spiel der traditionellen Energieversorger, bei der Stromverknappung zur Mittagszeit (wenn gleichzeitig die Kühlaggregate laufen und gekocht wird) konkurrenzfrei hochpreisig zu werden (bis zu zwei Euro pro KWh) geht nicht mehr. Die Photovoltaik, ebenso wie der Wind treiben den Strompreis nach unten. Damals ein dramatisches Geständnis zu dem sich der mächtige Boss auf dem Weg zur Pensionistenbank hinreißen ließ.
„Albtraum“ gratis Strom
Genau 15 Monate später, am 6. Juni 2013 sollte Großmanns Alptraum einen neuen Höhepunkt erreichen. Um 14 Uhr 19, während das Hochwasser seinen Höchststand erreicht hatte, strahlte die Sonne eine Leistung von 23,4 Gigawatt ins Stromnetz ein und deckte damit zu diesem Zeitpunkt 39 Prozent des Verbrauchs Deutschlands ab. Für diesen Strom floss kein Cent in die Kassen der Stromriesen, früher konnte man bis zu zwei Euro für diese wertvollen Kilowattstunden kassieren.
Ein Albtraum für die alten Energieversorger: Wenn das Schule macht, könnten in erlebbarer Zukunft mehr als 100 Prozent Strom aus sauberer Primärenergie produziert, tagsüber in die Speicherkraftwerke gepumpt und nachts wieder zurückgeholt werden.
Wer braucht dann Atomkraft, Öl, Kohle und Gas zur Stromerzeugung? Kein Wunder, dass die Propagandamaschinen auf Hochtouren laufen. Es stellt sich nur die Frage, haben die fossilen die letzte Trumpfkarte bereits gezogen und können damit keinen Stich mehr machen? Das Argument, die Erneuerbaren würden den Strompreis dramatisch verteuern, seien unerschwinglich und würden zu einer De-Industrialisierung Europas führen widerlegen die Strombörsen. Der durchschnittliche Großhandelspreis für Strom ist durch den Ausbau der Erneuerbaren dramatisch gesunken.
Das Märchen vom angeblich so günstigen Atomstrom hält auch nicht mehr, denn derzeit betteln britische Atomkraftwerksplaner in der EU um gestützte Einspeisetarife, wie sie den Erneuerbaren zur Markteinführung gewährt wurden. Nicht nur die Unfälle von Tschernobyl und Fukushima oder das Eingeständnis keinen marktfähigen Strom liefern zu können lassen an einer strahlenden Atomzukunft (zumindest in der demokratischen Welt) zweifeln, sondern auch das lebende Beispiel eines Milliardengrabes in Finnland.
„Atomkraftwerkschnäppchen“ in Finnland
Um die Jahrtausendwende wurde in Finnland der Bau eines Atomkraftwerkes beschlossen. OLKILUOTO 1 und OLKILUOTO 2 mit je 910 MWp Leistung gingen 1978 und 1980 in Betrieb. OLKILUOTO 3 soll 1,7 GWp Leistung bringen. Baubeginn war 2005. Ein deutsch-französischen Konsortium bestehend aus Siemens (Dampfturbinen und Transformatoren) und Areva (Nuklearteil) bot das Gesamtkunstwerk zu einem Schnäppchenpreis von drei Milliarden Euro an und wollte es bis 2009 fertigstellen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Die Internationale Atomenergiekommission rechnet nicht mit einer Fertigstellung vor 2016, eher später. Die Kosten sind von drei auf zehn Milliarden gestiegen. Der finnische Auftraggeber hat außerdem aufgrund des notwendig gewordenen Energiezukaufes auf 1,8 Milliarden Euro Kostenersatz geklagt. So sehen „Sieger“ auf beiden Seiten aus. Nicht viel besser geht es Areva mit einem Atomkraftwerk in Frankreich. Auch hier ist der Schnäppchenpreis von drei Milliarden Euro nicht zu halten, sondern auf acht gestiegen. Der Fertigstellungstermin rückt ebenso in die Ferne.
„Schiefes“ Gaswunder
Wo die Atomaren schwächeln, scheinen sich die Fossilen gefangen zu haben. „Schiefergas und Schieferöl in Hülle und Fülle“, kam die Kunde aus den USA. Die Internationale Energieagentur (IEA) bestätigte diese Jubelmeldungen im jährlichen World Energy Outlook, der Bibel der Energiewelt. Zwar hatte sich die IEA schon sehr oft geirrt (nicht zuletzt, als sie 2004 einen kontinuierlichen Anstieg des Ölpreises auf 29 Dollar bis zum Jahr 2030 prognostizierte), doch die Meldung über das schiefe Öl- und Gaswunder schlug in der Energiewelt ein wie eine Bombe. Energieintensive Großkonzerne meldeten sich zur Abreise in die USA an und es folgte Entwarnung an allen Fronten. „Die Versorgung sei für Jahre, Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gesichert“, jubelten die Bestandserhalter.
Entscheidend: die öffentliche Meinung
Eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung zwischen atomar-fossil und erneuerbar wird die öffentliche Meinung und Stimmung in der Bevölkerung spielen. Nachdem weder zu hoffen noch zu erwarten ist, dass wieder eine Bohrinsel wie im Golf von Mexico hochgeht oder ein Tsunami ein Atomkraftwerk zerstört, wird der Kampf um die öffentliche Meinung über die Medien ausgetragen. Diese wiederum brauchen Anlässe
Als roter Faden zieht sich die Diskussion um das deutsche Erneuerbare Energiegesetz (EEG) durch die Energiediskussion. Von den Befürwortern als Basis für die Energierevolution gepriesen und weltweit imitiert, von den Gegnern als wirtschaftsfeindliches protektionistisches Teufelswerk bekämpft ist das EEG das Rückgrat der „Energiewende“. Nach zwölf Jahren ist es wie jedes Gesetz korrekturbedürftig. Ob es nach der Wahl überhaupt in seiner Substanz bestehen bleibt, ist momentan fraglich.
Im letzten Jahr schien es, dass angefacht durch die deutschen Stromkonzerne die Stimmung zu kippen drohte und die öffentliche Meinung plötzlich gegen das EEG war. Inzwischen hat sich die Sachlage wieder verändert. Die anerkannte Wirtschaftsexpertin Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat in ihrem Manifest „Kampf um Strom“ * das EEG als Zukunftsmodell präsentiert und die Argumente der Gegner (unter anderem es würde die Strompreise explodieren lassen) zerpflückt. Weite Teile der deutschen Industrie ziehen für das EEG in den Kampf (Siehe FAZ-Inserat).
Unerwartete Schützenhilfe
Unerwartete Hilfe für das deutsche Modell der Energiewende kam von außen: Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris ist mit Sicherheit keine ökologische Untergrundorganisation durchsetzt mit grünem Gedankengut, sondern eher das Gegenteil, eine strategische Speerspitze der Erdöl- und Atomwirtschaft. Der Chefökonom der IEA Fatih Birol gilt aber als ausgleichendes Element und höchst cleverer Stratege. In der Beurteilung der deutschen Energiewende im allgemeinen und dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) im Besonderen dürfte er auch die Feder geführt haben.
Darin heißt es nämlich: „Neben der Steigerung der Energieeffizienz steht der großangelegte Ausbau der erneuerbaren Energien im Zentrum der Energiewende. Seit seiner Verabschiedung im Jahr 2000 hat sich das Erneuerbare Energiegesetz (EEG) als sehr wirksames Instrument zur Verbreitung der erneuerbaren Energien und insbesondere der Stromerzeugung durch Biomasse, Windenergie und Photovoltaik erwiesen. Zudem hat es sich als erfolgreich bei der Drosselung der Kosten erwiesen, wie es sich im besonderen Maße an der Senkung der Einspeisetarife für Solarstrom zeigt, zu der es in Antwort auf die rasche Expansion dieser Technologie in den letzten vier Jahren gekommen ist.“
Kontraproduktiv: Zentralistische Strukturen
Dass umgängliche Lob kann nicht verschleiern, dass auch die Erneuerbaren nicht unbelastet in die nächste Runde des Rennens gehen.
Auffallend ist, dass die Schwierigkeiten dort entstanden sind, wo man versucht hat ähnliche zentralistische Strukturen auszubauen, wie sie auch bei den fossil-atomaren Energieträgern herrschen. So hat sich der Bau zentralistisch organisierter Großanlagen als problematisch erwiesen. Überall dort wo die Fördertarife überhöht waren, kam es zu einem Showdown. So auch in Spanien: Eine gigantische Ausbaulawine lockte daraufhin Investoren aus aller Welt auf die Iberische Halbinsel. Die Photovoltaik, aber auch die Windkraft wurden zu Finanzprodukten mit staatlich garantierten zweistelligen Renditen. Gleiches oder ähnliches galt für Tschechien, Italien und einige osteuropäische Staaten.
Dort, wo die traditionelle Energiewirtschaft sich der Erneuerbaren bemächtigt hat, wie beim Ausbau der Windenergie im Offshore-Bereich stehen die Zeichen ebenfalls auf Sturm. Für die geplanten gigantischen Windparks im Meer stehen keine geeigneten Abtransport Leitungen zur Verfügung. Auch um das nach altem zentralistischem Denken konzipierte Konstrukt „Desertec“ (in der Wüste Nordafrikas Strom produzieren und dann nach Europa zu transportieren), ist es ziemlich ruhig geworden. Inzwischen stellt man fest, dass in Deutschland Onshore-Windräder verbrauchernahe errichtet, eher ein Erfolgsrezept sind und keiner zentralistischen Struktur bedürfen.
Trumpfkarte Eigenstromnutzung
Die Photovoltaik wird ihre Trümpfe erst voll ausspielen können, wenn ihre Errichter erkennen, dass die netzentlastende Eigenstromnutzung bei steigenden Strompreisen die sinnvollste Anwendungsform ist und nur der Überschuss ins Netz oder in geeignete Speicher geht. Die Erneuerbaren können ihren größten Vorteil, die Rohstoffunabhängigkeit im weitesten Sinn des Wortes, nur dann nutzen, wenn sie sich selbstbewusst auf ihre tatsächlichen Stärken konzentrieren. Sie müssen sich ihrer Rolle als Teil des Stromversorgungssystems bewusst werden und nicht versuchen Stromkonzerne mit Megaanlagen zu imitieren.
Das heißt nicht, dass unendlich viele kleine Energieinseln geschaffen werden sollen. Produktion und Netz sind nach EU-Richtlinie getrennt. Es muss Erzeugerfreiheit geben, aber der Stromtransport an sich ist Voraussetzung für das Funktionieren der Energiewende. Überregionale Netze braucht man, sie sind Bestandteil der Solidarität zwischen Hamburg (wenn dort ein Windüberschuss herrscht) und Palermo (wenn es durch viel Sonne zu Überkapazitäten kommt) …
Ölpreis beeinflusst auch die Erneuerbaren
Der interaktive Teil zwischen den beiden rivalisierenden Systemen ist der Ölpreis. Genau genommen sitzen die Erneuerbaren dabei vor einer sogenannten Doppelmühle: Steigt der Ölpreis geht der Verbrauch zurück und die Erneuerbaren werden gleichzeitig preislich konkurrenzfähiger. Fällt der Preis geht die Exploration zurück und es kommt zu einer Verknappung, die wiederum den Preis nach oben treibt. Die tägliche Weltölproduktion liegt derzeit bei durchschnittlich 84 Millionen Barrel pro Tag, vor kurzem haben die Erdölförder angekündigt, sie könnten die tägliche Fördermenge auf 112 Barrel pro Tag steigern. Ähnliche Ankündigungen haben sie schon mehrfach gemacht, den Beweis aber noch nie erbracht.
Fazit
Die sichere und sozial verträgliche Energie- und Stromversorgung ist aber nicht nur ein Wohlstandsproblem der Industriestaaten sondern eine globale Zukunftsfrage. Man darf nicht vergessen: Für zwei Milliarden Menschen auf der Erde gibt es keine ausreichende Stromversorgung, was gleichzusetzen ist mit Armut, Hunger und mangelnden hygienischen Verhältnissen. Diese Menschen mit atomarer und fossiler Energie zu versorgen wird aus Rohstoffgründen nicht möglich sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie sich zur Wehr setzen. Ihnen eine erträgliche Versorgung zu verschaffen ist eine Bringschuld der reichen Länder.
Quelle
Hans Kronberger 2013Coverstory der SONNENZEITUNG 2013