Stand der Atomkraft weltweit: Atomkraft zwischen Rekord und Rückzug
Ein neuer Report erwartet den Abbau der globalen AKW-Kapazitäten in den nächsten Jahren. Neue Reaktoren werden fast nur noch von Kernwaffen-Staaten errichtet.
Weltweit wurde 2024 so viel Atomstrom produziert wie nie zuvor: 2,677 Milliarden Kilowattstunden, ein halbes Prozent mehr als der bisherige Höchststand von 2006. Die seit Langem von der Branche angekündigte Renaissance der Atomkraft lässt sich daraus aber nicht ableiten.
Der World Nuclear Industry Status Report 2025, den der unabhängige Branchenanalyst Mycle Schneider mit seinem Team jetzt in Rom vorstellte, beschreibt eine Industrie im Widerspruch: ein Rekordwert aufgrund vor allem von Chinas AKW-Boom, doch ein weiterer Rückgang des Atomkraft-Anteils an der globalen Stromerzeugung.
Weltweit waren Mitte des Jahres 408 Reaktoren am Netz, genau so viele wie Mitte 2024. Betrieben wurden sie in 31 von rund 200 Ländern weltweit. Das ist ein Land weniger als 2024, nachdem Taiwan sein letztes AKW abgeschaltet hat.
Im vorigen Jahr wurde mit dem Bau von neun Reaktoren begonnen, davon sechs in China und je einer in Ägypten, Pakistan und Russland. Insgesamt sind laut dem Report derzeit 63 Blöcke im Bau. Außer in Südkorea werden alle in Kernwaffen-Staaten errichtet oder von Staatskonzernen aus solchen Ländern, konkret China, Frankreich und Russland. Private Investoren spielen dagegen keine Rolle.
Keine Trendwende durch Mini-Reaktoren
Weltweit betrug der Atomanteil an der Stromproduktion 2024 rund 9,1 Prozent, zu Spitzenzeiten 1997 waren es 17,5 Prozent gewesen. Dass im vorigen Jahr ein Rekord bei der produzierten Strommenge erreicht wurde, lag vor allem an den chinesischen Meilern.
In China stieg die Erzeugung auf 418 Milliarden Kilowattstunden – dennoch sank der Anteil am Strommix im Land im dritten Jahr in Folge leicht auf nun 4,5 Prozent. Der Grund: Andere Stromerzeugungsarten wuchsen deutlich schneller. Solar- und Windenergie lieferten zusammen mehr als das Vierfache der Atomkraft.
Länder wie Belgien stecken in der Stromklemme und haben die Laufzeiten ihrer Alt-AKW verlängert. Das erhöht Kosten und Risiken. (Bild: Parttimephotographer/Wikimedia Commons)
Das Autorenteam des Reports verweist auf strukturelle Probleme, die einer AKW-Renaissance entgegenstünden. So sind die Reaktoren im Schnitt 32 Jahre alt und nähern sich ihrer ursprünglichen Laufzeitgrenze, während Neubauprojekte weltweit unter Bauzeit-Verzögerungen und teils immensen Kostensteigerungen leiden.
Die durchschnittliche Bauzeit der in den letzten zehn Jahren fertiggestellten Reaktoren lag bei 9,4 Jahren. Das gravierendste Negativbeispiel ist der Europäische Druckwasserreaktor EPR im französischen Flamanville: Nach 17 Jahren Bauzeit ging er Ende 2024 ans Netz – zwölf Jahre später als geplant, bei Kosten von 23,7 Milliarden Euro, mehr als das Fünffache der ursprünglichen Schätzung.
Bisher bringen laut dem Report auch die mit hohen Erwartungen befrachteten Pläne für Mini-Reaktoren, „Small Modular Reactors“ (SMR) genannt, keine Trendwende. In westlichen Industrieländern sei noch kein kommerzieller Bau begonnen worden, während in Europa zwei der größten SMR-Start‑ups, Newcleo und Naarea, in großen finanziellen Schwierigkeiten steckten.
Ob zwei fertiggestellte chinesische Prototypen erfolgversprechender sind, ist laut dem Report aufgrund fehlender Informationen noch unklar. Der Bau von zwei russischen Modulen dauerte fast 13 Jahre und ihre Stromproduktion ist sehr niedrig.
Erneuerbare geben den Takt vor
Die Expert:innen verweisen darauf, dass die erneuerbaren Energien im Stromsektor inzwischen den Takt vorgeben. Im Jahr 2024 sind laut dem Bericht weltweit 728 Milliarden US-Dollar in neue Wind- und Solarkapazitäten geflossen – das 21‑Fache der Investitionen in Kernenergie.
In der Europäischen Union zum Beispiel erzeugen Wind und Sonne inzwischen 28 Prozent des Stroms, die Atomkraft nur noch 23 Prozent. Dabei entfallen 58,5 Prozent der EU-Atomstromerzeugung auf Frankreich.
Um die globale Atomstromproduktion bis 2030 in aktueller Höhe aufrechtzuerhalten, wären nach Berechnungen der Report-Autor:innen bis dahin 44 zusätzliche Reaktorstarts nötig – neben den ohnehin geplanten Projekten. Angesichts der Kosten- und Bauzeitprobleme erscheine das illusorisch.
Wahrscheinlicher sei ein Rückgang der Atomstromproduktion, weil ältere Anlagen vom Netz gehen und nicht ausreichend neue hinzukommen – es sei denn, massive zusätzliche Laufzeitverlängerungen würden die Regel.
Die Atomkraft habe „Schwierigkeiten zu überleben“, heißt es in dem Report, da das künftige, von Erneuerbaren geprägte Stromsystem „die traditionellen zentralisierten fossilen und nuklearen Systeme verdrängt“.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!







