STUDIE: Management von Blindleistung in Verteilnetzen
Fraunhofer IEE und Partner entwickeln neues Verfahren
Mit der Dezentralisierung der Stromerzeugung sind die Verteilnetzbetreiber zunehmend gefordert, situationsabhängig Blindleistung zu mobilisieren. Im Forschungsprojekt „RPC2“ hat das Fraunhofer IEE jetzt zusammen mit Partnern aus dem Netzbetrieb und der Universität Kassel Verfahren entwickelt, mit denen Netzbetreiber Erzeugungs- und andere Anlagen in der Mittel- und Hochspannungsebene so ansteuern können, dass sie bedarfsgerecht Blindleistung bereitstellen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Austausch von Blindleistung zwischen den verschiedenen Netzebenen. In einem netzbetreiberübergreifenden Feldtest haben AllgäuNetz und LEW Verteilnetz die Verfahren erfolgreich in der Praxis erprobt.
„Solange die konventionellen Kraftwerke einen großen Teil der Stromerzeugung schultern, ist die Versorgung mit Blindleistung im Verteilnetz quasi ein Selbstläufer“, sagt Prof. Dr. Martin Braun, Bereichsleiter Netzplanung und Netzbetrieb beim Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE und Professor an der Universität Kassel. „In einer zunehmend dezentralisierten Erzeugungslandschaft wird diese Aufgabe jedoch weit komplexer. Mit unserem Forschungsprojekt RPC2 zeigen wir, wie sich die Verteilnetze mit innovativen dezentralen und zentralen Verfahren für das Management von Blindleistung stützen lassen.“
Das Forschungsprojekt „Reactive Power Control 2“ (RPC2) wurde im Rahmen der Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz finanziert. Neben der AllgäuNetz GmbH & Co. KG, der LEW Verteilnetz GmbH und der Universität Kassel war die PSI Software AG als assoziierter Partner an dem Vorhaben beteiligt. Geleitet wurde das mittlerweile abgeschlossene Gesamtprojekt vom Fraunhofer IEE.
Live-Messdaten für die entwickelten Verfahren
In der ersten Phase des RPC2-Projektes haben die Fraunhofer-Forscher neue Verfahren zur Anforderung von Blindleistung aus dezentralen Erzeugungsanlagen, aus Kompensationsanlagen sowie aus der Trafostufung im Hoch- und Mittelspannungsnetz entwickelt. Diese Verfahren haben die Wissenschaftler dann in die „beeDIP“-Software des Fraunhofer IEE implementiert – eine Plattform, die es erlaubt, Leitwarten um externe Komponenten zu erweitern, Daten und Algorithmen zu integrieren sowie neue Konzepte für die Betriebsführung zu testen.
Damit war es den Forschern möglich, die entwickelten Verfahren mit Live-Messdaten aus den Leitwarten von AllgäuNetz und LEW Verteilnetz zu speisen. „Mit der Abbildung dynamischer Messwerte aus der Mittelspannung in den statischen Netzdaten entstand ein detailliertes Bild der Verteilnetze der beiden Projektpartner“, erläutert RPC2-Projektleiter Dr. Sebastian Wende-von Berg vom Fraunhofer IEE.
Vor dem Feldversuch haben die Wissenschaftler die Verfahren zur Blindleistungsregelung ausführlich im Labor getestet. Dazu haben sie die gekoppelten Verteilnetze der Partner im „OpSim“-System – eine von Fraunhofer IEE und Universität Kassel entwickelte Simulationsumgebung – dargestellt, um die Effekte der entwickelten Verfahren beobachten und analysieren zu können.
Demonstratoren in den Verteilnetzen
Nach erfolgreichem Abschluss der Labortests haben die Partner dann unter Einhaltung höchster Sicherheitskriterien Blindleistungsrechner als Demonstratoren in den Verteilnetzen von AllgäuNetz und LEW Verteilnetz implementiert. Dabei standen die Demonstratoren über eine gesicherte VPN-Verbindung miteinander in Kontakt.
Mit den aus dem jeweiligen Netzleitstellensystem exportierten Messwerten und Schaltzuständen konnten die Demonstratoren Berechnungen zur Optimierung des Blindleistungsflusses im eigenen sowie im gekoppelten 110-kV-Verteilnetz des Nachbarn durchführen. Daraus haben die Rechner dann Einstellvorschläge für ausgewählte Erzeugungs- sowie industrielle Kompensationsanlagen in der Mittelspannungsebene abgeleitet. Diese Vorschläge hat das Personal der Leitstellen schließlich über einen manuellen Steuerbefehl per Fernwirktechnik umgesetzt.
„Wichtiger Beitrag zum Blindleistungshaushalt des Netzes“
Damit die beteiligten Anlagen den Auftrag zur Lieferung von Blindleistung aufnehmen, verarbeiten und erfüllen können, galt es, die Anlagentechnik zuvor an die neuen Aufgaben anzupassen. Dabei haben die Betreiber der Anlagen eng mit deren Herstellern sowie mit AllgäuNetz und LEW Verteilnetz zusammengearbeitet.
„Die Ergebnisse des Feldtests zeigen, dass die einzelnen Anlagen die geforderten Blindleistungswerte mit den entwickelten Verfahren punktgenau liefern können“, fasst Fraunhofer-Forscher Dr. Frank Marten zusammen. „Damit sind sie in der Lage, aktiv einen wichtigen Beitrag zum Blindleistungshaushalt des Netzes zu leisten.“