War der erste Januar ein EE-Meilenstein?
Details machen den Unterschied: Anfang dieses Jahres wurde ein „Meilenstein in der Transformationsgeschichte des Energiesystems“ bejubelt. Von Matthias Hüttmann
Dieser euphorische Ausruf bezog sich darauf, dass laut den Messdaten der Bundesnetzagentur, der erzeugte Strom aus Erneuerbaren Energien einen Moment lang den kompletten Strombedarf Deutschlands decken konnte. Dies war zumindest auf der Internetseite Smard herauszulesen. Die dort veröffentlichten Daten geben einen aktuellen Überblick über das Geschehen am Strommarkt wieder.
Aber unabhängig von dem vermeintlichen (*) historischen Moment sind die Zuwächse der Erneuerbaren wahrlich eine Erfolgsgeschichte. 2007 lag ihr Anteil in der öffentlichen Nettostromerzeugung bei gut 15%, heute sind es bereits knapp 40%. Um die Euphorie ein wenig zu bremsen, sollte man aber nicht vergessen, dass dies momentan nur den kleineren Teil unserer Energieversorgung ausmacht. Weil das gerne übergangen wird, ist im Koalitionsvertrag unserer möglichen neuen Regierung auch irreführendes zu lesen. So steht dort unter anderem wörtlich, dass man die Erneuerbaren Energien bis 2030 auf etwa 65 % ausbauen möchte. Kein Wort davon, dass es nur um den Stromanteil geht und Wärme damit nicht gemeint ist. Aber damit beschäftigt sich dieser Text erst einmal nicht.
100 % Erneuerbarer Strom
Betrachten wir zunächst die Grundlage der Meldung. Zu dem besagten Zeitpunkt, dem 01.01.2018 um 06:00 Uhr, gab es laut Smard einen Stromverbrauch von 40.955 MWh. Die Stromproduktion der Erneuerbaren lag zum gleichen Zeitpunkt – ohne Photovoltaik, es war noch dunkel – bei 41.009 MWh. 54 kWh, das ist äußerst knapp und auch nicht ganz richtig. Denn bei den visualisierten Stromdaten kann man zwar Erzeugung und Verbrauch in unterschiedlichen Auflösungen bis runter zu einer Viertelstunde ablesen, aber die physikalische Einheit ist falsch. Erinnern wir uns an den Physikunterricht, dann wissen wir das Arbeit Leistung mal Zeit ist. Das bedeutet in dem Fall, dass es um 06:00 Uhr keinen Stromverbrauch (der Begriff ist eigentlich schon falsch) in MWh, sondern höchstens eine abgerufene Leistung in MW geben konnte. Die Anzeige von Viertelstundenwerten ist auch deshalb besonders verwirrend, da dort MWh pro Viertelstunde angegeben werden. Für die tatsächliche Leistung muss alles mal vier genommen werden. Auch gibt es bei der installierten Erzeugungsleistung eine gewisse Dikrepanz. Smard gibt für die PV 41.25 MW an, auf der Homepage der Bundesnetzagentur sind es 42.98 MW. Aber unabhängig davon ist es auch wichtig zu erfahren, woher diese Daten eigentlich stammen, um sie letztendlich einordnen zu können. Von Seiten des Anbieters heißt es dazu: Die Daten stammen vom Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSOE). An ihn werden die Daten von den Übertragungsnetzbetreibern aufgrund einer EU Verordnung gesendet.
Als Vergleich betrachten wir deshalb eine andere, unabhängige Plattform, die Energy Charts des Fraunhofer ISE. Dort kann man die Leistung in GW (und nicht in MWh) ebenso detailliert ablesen. Verwunderlich ist, dass die Daten nicht die gleichen Werte haben. Für den besagten historischen Augenblick findet man eine elektrische Leistung der Erneuerbaren von 44,37 GW. Die Stromlast ist mit 40,95 GW, bis auf die physikalische Einheit, identisch. Daraus ist zu erkennen, dass es zu dem Zeitpunkt eine Überproduktion an Erneuerbaren Energien von 3,24 GW gab.
Nur woher kommt die Diskrepanz der beiden Energiedaten bei der Erzeugung? Das liegt wohl daran, dass die Daten der Energy Charts nicht nur von ENTSOE, sondern auch von EEX, EPEX, 50 Hertz, Amprion, Tennet, TransnetBW, dem Statistischen Bundesamt, der Bundesnetzagentur, BMWi, BMUB und anderen Quellen stammen. Zudem sind auch Kraftwerke mit Leistungsgrößen kleiner 100 MW enthalten. Die Daten werden außerdem korrigiert und nicht nur eingelesen.
Die Visualisierung der Stromdaten durch diese beiden Plattformen ist sehr wichtig, das sehen auch beide Betreiber so. Auf die Frage wer die Nutzer und die Zielgruppe sind antworteten beide ähnlich. Bei Smard ist es die interessierte Öffentlichkeit wie auch Journalisten und Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Die Energy Charts wenden sich an alle die Interesse an Energiedaten haben, das sind unter anderem Politiker, Journalisten, Professoren, Doktoranden, Studenten, Forscher, Energieversorger, Stromhändler und Privatpersonen.
Motivation und Finanzierung
Die Plattform der Smard-Strommarktdaten wird seit 2017 von der Bundesnetzagentur im Zuge einer im Strommarktgesetz neu enthaltenen Aufgabe betrieben. Derzeit arbeiten 4,5 Kolleginnen und Kollegen aus der Fachabteilung sowie zwei Dienstleister an der fachlichen Pflege und Weiterentwicklung der Plattform. Hinzu kommen Beschäftigte aus der IT-Abteilung. Die Mittel dazu entstammen dem Bundeshaushalt.
Bei den Energy Charts ist das ein klein wenig anders. Sie gibt es bereits seit 2011. Es war vor allem die Diskussionen zur Energiewende, in denen immer wieder falsche Zahlen oder Gerüchte verbreitet wurden, die bei Initiator Prof. Dr. Bruno Burger die Idee reifen ließen, eine solide und frei zugängliche Datenbasis für die Diskussionen zur Verfügung zu stellen. Möglicherweise war auch eine Meldung der Bundesnetzagentur letztendlich ausschlaggebend. Darin wurde vermeldet, dass an Pfingsten 2011 ein Blackout drohe, weil die Last gering und die Solarstromerzeugung zu hoch sei. Bemerkenswert ist, dass die Arbeit an den Energy Charts weitgehend ehrenamtlich in der Freizeit erfolgt. Eine Förderung der Aktivitäten, war bislang, trotz mehrerer Anläufe, leider erfolglos. Seit Oktober 2017 gibt es aber immerhin ein Projekt der DBU zur Zusammenarbeit mit Fachjournalisten. Das Fraunhofer ISE unterstützt das engagierte Projekt mit Hardware und Serverzugriff, auch hat es die Arbeiten mit kleinen Eigenforschungsprojekten unterstützt.
Daten ohne Ende
In den Smard-Daten finden sich in den Kategorien Stromerzeugung, Stromverbrauch, Markt und Systemstabilität vielfältige Daten für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Strommarkt. Die Daten haben dabei eine hohe Aktualität und werden im Regelfall mit rund einer Stunde Verzögerung bereitgestellt. Nutzer können sich Daten in beliebigen Kombinationen anzeigen lassen und Grafiken erstellen, die für ihren jeweiligen Einsatzzweck zielführend sind. Weiterhin werden die Daten von redaktionellen Beiträgen begleitet, so dass auch weniger versierte Nutzer einen Einstieg in die Funktionsweise des Strommarktes finden. Für weitergehende Untersuchungen können Nutzer sich Daten komfortabel herunterladen.
Bei den Energy Charts gibt es eine deutlich größere Bandbreite an Informationen. Hervorzuheben ist dabei die Möglichkeit, alle angezeigten Leistungen sowohl gestapelt als auch in Prozent abzurufen. Ähnliches gibt es auch bei den Energien, dort werden die Balken gestapelt oder nebeneinander liegend dargestellt. Es gibt zudem jede Menge interessante Grafiken wie:
- Installierte Leistungen: Zubau und Rückbau
- Punktediagramme der Leistung
- Blockscharfe Leistungen sortiert nach Brennstoffen und Energien
- Kreisdiagramme
- Prozentuale Volllast
- Anteile Erneuerbaren Energien
- Chord-Diagramm Export „Deutschland und Nachbarländer“ sowie „Europa alle an alle“
- Spezifische Emissionen
- Börsenstrompreise aktuell (Day Ahead, Intraday, stündlich, halbstündlich, viertelstündlich) und durchschnittlich (täglich, wöchentlich, monatlich, jährlich)
- Außenhandel Strom
- Kraftwerkskarte mit Hochspannungsnetz
Das ist nur ein kleiner Einblick, denn vor allem die Daten und Grafiken sprechen für sich selbst. Es sollte auch erwähnt werden, dass das Fraunhofer ISE mit Hilfe der Energy Charts sehr gute Jahresauswertungen veröffentlicht, welche mit den Daten des Statistischen Bundesamtes abgeglichen sind. Prof. Burger ist auch bei Twitter sehr aktiv. Dort veröffentlicht er immer wieder interessante Aspekte, die mit den Energy Charts abgebildet werden können und liefert Argumente für aktuelle Diskussionen. Auch informiert er immer wieder zu Updates und neuen Features.
* Es gab bereits Tage, an denen die Erzeugung durch Erneuerbare größer als die Last war. Dies war am 08.05.2016 und am 30.04.2017 bereits der Fall. An beiden Tagen mit Unterstützung durch die Solarenergie.
Quelle
Der Bericht wurde von
der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Mattias
Hüttmann) 2018 verfasst –
der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden! SONNENENERGIE 01/2018 | Inhaltsverzeichnis zum Download