Weiter machen: Energiewende jetzt!
“Wenn also vereinzelt gefordert wird, das EEG in Deutschland abzuschaffen oder zur Unkenntlichkeit zu verändern, beruht dies entweder auf wenig Sachkenntnis oder verfolgt dies die Absicht, den Ausbau der Erneuerbaren und damit die Energiewende zu bremsen.” Wolfhart Dürrschmidt
Wenn man die öffentliche Diskussion um die Energiewende in der letzten Zeit verfolgt, drängt sich der Eindruck auf, alles sei ganz schwierig. Noch vor kurzem mussten wir eine Stromlücke fürchten, weil der Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energien noch lange brauchen werde. Und jetzt? Jetzt geht der Ausbau der Erneuerbaren Stromproduktion plötzlich viel zu schnell – was angeblich Unmengen von technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Problemen erzeugt.
Die aktuelle Energiewende-Diskussion
Hier nur ein kleiner Ausschnitt aus der aktuellen Diskussion: die Erneuerbaren Energienals vermeintliche Preistreiber auf dem Strommarkt (siehe auch hier), neue Stromtrassen, Kapazitätsmärkte, EEG-Reform, neues Energiemarkt-Designu.s.w. Schwierig den Überblick zu behalten.
Herr Altmaier ist stolz darauf, den schnellen Ausbau der Photovoltaik in Deutschland abgewürgt zu haben (siehe hier). Die Netzbetreiber gehen von einer unverminderten Kohlestromproduktion für die Zukunft aus (siehe hier). Die Herren Teyssen (E.oN) und Löscher (Siemens) wollen eine “Radikalreform” des EEG (siehe hier). Der Verband Kommunaler Unternehmen ist mit seinen Vorschlägen kaum besser. Und Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des BDEW bei der Regionalkonferenz Energie und Umwelt forderte am 26. Juni 2013 in Ludwigshafen eine “Entromantisierung und Entschleunigung” der Energiewende. Erst mal langsam, erst der Masterplan und dann weiter machen.
Unsinn! Wir dürfen nicht langsamer, wir müssen schneller werden!
Die Energiewende ist inzwischen einer der am meisten missbrauchten Begriffe – in trauriger Nachfolge des Begriffs Nachhaltigkeit. Mit Energiewende-Hälsen, die sich laut zur Energiewende bekennen, aber noch viel lauter bremsen, ist keine Energiewende zu machen. Die Energiewende braucht verlässliche Partner. Die Energiewende ist – trotz gegenteiliger Beteuerungen nach Fukushima – immer noch weitgehend eine Bewegung von unten. Unabhängige Organisation wie MetropolSolar sind deshalb nach Fukushima nicht überflüssig geworden – im Gegenteil. Das zeigt sich auch jetzt wieder.
Erneuerbare machen atomar-fossile Energien wertlos
Wie sehen die “Perspektiven zukünftiger Energieversorgung” aus? Worum geht es bei der deutschen Energie- bzw. Stromwende-Diskussion wirklich (siehe dazu auch “Kampf um Strom” von Claudia Kemfert)? Die Energieversorger haben in eine Infrastruktur investiert, die für die Zukunft nicht viel taugt. Und sie möchten aus dieser Infrastruktur so lange wie möglich Erträge erwirtschaften (siehe hier und auch hier). Daran arbeiten sie eifrig. Durch Lobbyarbeit wurde z.B. bisher erfolgreich verhindert, dass CO2-Zertifikate schnell knapper und teurer werden und damit alte Kohlekraftwerke ihre Produktion aus wirtschaftlichen Gründen einschränken und flexible, CO2-ärmere Gaskraftwerke Vorrang erhalten.
Je weniger fossile Brennstoffe wir nutzen, umso wertloser sind die Unternehmen, die Eigentümer der Rohstoffe sind. Die entsprechenden Unternehmen gehören heute noch zu den teuersten der Welt. 100% erneuerbare Energien würden zur weitgehenden Wertlosigkeit der fossilen Brennstoffe führen und damit zur Wertlosigkeit der Unternehmen, die über diese Reserven verfügen. Dagegen wehren sie sich mit aller Macht! Im Augenblick wirkt die Vorstellung wertloser Energierohstoff-Multis sehr utopisch, ist sie aber nicht, wenn sich die erneuerbaren Energien schnell durchsetzen.
100% erneuerbare Energien bedeuten in der Konsequenz: 100% Verdrängung konventioneller Kilowattstunden. Je schneller der Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien vonstatten geht, umso schneller werden konventionelle Energien verdrängt, umso schneller verliert die alte konventionelle Infrastruktur atomar-fossiler Kraftwerke an Wert. Das wollen sich die Eigentümer dieser Infrastruktur natürlich nicht gefallen lassen. Es ist existenzbedrohend. Das gilt allerdings nur so lange wie das EEG und der Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren Energien erhalten bleiben. Deshalb wird das EEG so heftig bekämpft.
EEG als Garant für weiteren EE-Ausbau
Das EEG mit dem Einspeisevorrang ist der Garant dafür, dass Millionen Solar-Akteureund private Windinvestoren sich mit nach wie vor hohem Risiko (siehe z.B. TAZ-Artikel “Windkraft bringt kaum Renditen“) am Umbau der Energieversorgung beteiligen – und nicht dass Hartz-IV-Empfänger unsozial belastet werden (siehe auch Blogbeitrag “Vorsicht! Nebelkerzen und Torpedos” und die aktuelle EUROSOLAR-Anzeige).
Wind und Sonne sind nicht regelbar (eine verzögerte Abgabe von Wind- und Solarstrom ins Netz oder spontanes Wegschalten ist natürlich heute schon möglich). Immer dann, wenn besonders viel Wind- und Solarstrom da ist, geht der Preis an der Börse nach unten. Deshalb können wir Wind- und Solarstrom nicht einfach dem “freien Markt”, den es im Energiemarkt ohnehin nicht gibt (siehe “Marktversagen“), überlassen. Deshalb brauchen wir das EEG – sicher modifiziert, aber nicht im Grundsatz demontiert!
Wind und Sonne, die wir heute nicht nutzen, sind für immer für die Energieumwandlung verloren. Den Wind der heute weht, müssen wir heute ernten. Die Sonne, die heute scheint, müssen wir heute einfangen. Wir können uns die Energieumwandlung nicht aufsparen. Erst nach der Umwandlung können wir Wind- und Solarstrom speichern, wenn es gerade keine bessere Nutzung gibt. Carpe diem! Das ist ein fundamentaler Unterschied zu fossilen Energien: Wenn wir Erdöl, Erdgas und Kohle heute nutzen, sind sie für immer verloren. Fossile Energien sind bereits gespeichert. Und wir lösen mit der Nutzung den Speicher auf. Aus klimapolitischen Gründen sollten wir so wenig wie möglich davon noch verbrennen. Denn aus der Atmosphäre bekommen wir das CO2 praktisch nicht mehr raus. Wir müssen “das Zeug” im Boden lassen. Der Trend geht mit Fracking u.a. aber gerade mal wieder in eine andere Richtung (siehe in diesem Zusammenhang auch “Öl- und Gassuche in Bürstadt“).
Wie soll ausgeregelt werden?
Wind- und Solarstrom fällt an, wenn er anfällt. Das als Argument gegen die Erzeugung von Wind- und Solarstrom zu verwenden, ist absurd. Darüber als Befürworter der Erneuerbaren Energien zu lamentieren, ist sinnlos wie ein Kropf. Das einzige, was Sinn hat, ist, sich darauf einzustellen. Klar ist, dass Wind und Sonne aufgrund des natürlichen Angebots die dominanten Energiequellen der Zukunft sein werden. Ihr Anteil an der Stromerzeugung wird immer größer. Am 7. Juli hat Solarstrom in Deutschland in der Mittagszeit bereits fast 24 GW Leistung geliefert (bei rund 35 GW installierter Leistung) bei etwa doppelt so hoher Nachfrage (siehe auch hier).
Nicht zu einem fluktuierenden Angebot an Wind- und Solarstrom passen: schwer regelbare Kraftwerke wie Atom- und Kohlekraftwerke. Gut dazu passt alles, was fehlendes Angebot kurzfristig ausgleichen kann (z.B. Gas-BKHW oder Lastabwurf durch vorübergehende Abschaltungen regelbarer Verbraucher) bzw. umgekehrt Strom-Überschüsse sinnvoll nutzen kann. Besonders interessant sind Systeme die einen Übergang zwischen Strom und Wärme schaffen (z.B. Wärmepumpen mit großen Pufferspeichern für Starkwindzeiten im Winter), immer dann wenn Strom als Strom beim besten Willen nicht mehr sinnvoll unterzubringen ist.
Immerhin wollen wir nicht eine Stromwende, sondern eine Energiewende hin zu 100% erneuerbaren Energien und da gehören Raumwärme und Mobilität als große Brocken dazu. Mit Biomasse sollten wir in diesem Zusammenhang behutsam umgehen und sie so effizient wie möglich nutzen – wir haben nicht so viel davon und sie kann und sollte eine Speicher- und Regelfunktion wahrnehmen (siehe auch folgender Abschnitt).Bioenergien sind deshalb besonders wertvoll!
Autos zu Blockheizkraftwerken – CarSharing statt Abwrackprämie
Können wir den Umbau des Energiesystems technisch bewältigen? Warum eigentlich nicht? Wir wären technisch und wirtschaftlich in der Lage Millionen BHKW-Motoren zu produzieren, verteilt über Deutschland zu installieren (siehe auch hier) und in einem virtuellen Kraftwerk miteinander zu vernetzen. Das ginge im Prinzip auch – wie bei der Stomeinkaufsgenossenschaft e.optimum aus Walldorf – an den traditionellen Energieversorgerstrukturen vorbei. Auch Lichtblick zeigt, in welche Richtung die Entwicklung gehen kann.
Wir wissen, dass (Gas-)Blockheizkraftwerke (mit kombinierter Erzeugung von Strom und Wärme aus Biogas, Holzgas, Pflanzenöl oder auch Erdgas als Brücke ins Solarzeitalter) das Stromnetz wunderbar ausregeln können. Sie müssen dort stehen, wo ihre Abwärme immer voll genutzt werden kann. Damit sie ihre Wirkung am Besten entfalten und möglichst wenig Brennstoff benötigen, müssen sie sinnvollerweise netzgeführt sein und nur dann zum Einsatz kommen, wenn Wind- und Solarstrom Lücken lassen. Dann aber hätten sie nur eine sehr begrenzte (und im Lauf der Zeit immer kleiner werdende) Zahl von Betriebsstunden. Das wäre eine volkswirtschaftliche Kapitalvernichtung?
Ein durchschnittliches Auto steht 23 Stunden am Tag herum, wird also nur 365 Stunden im Jahr bewegt und eher im Stop and Go im Stadtverkehr als mit “Volllast” auf der Autobahn. Bringt uns das zur Überzeugung 45 Mio. PKW seien eine volkswirtschaftliche Fehlinvestition, die wir schleunigst beenden sollten? Massenhaft auf CarSharing umsteigen (1 CarSharing-Auto ersetzt 7 private PKW) und Autos so effizient wie möglich nutzen? Endlich mal die Umwidmung öffentlichen Raums für CarSharing-Stellplätze in Städten so regeln, dass der Ausbau des CarSharing dadurch nicht behindert wird? Und…
Gott bewahre. Das wäre das Schlachten einer heiligen Kuh! In der Krise der Automobilindustrie wurde sogar eine Abwrackprämie erfunden und mit 5 Mrd. EUR ausgestattet, um den volkswirtschaftlichen Unsinn massenhafter Automobilisierung weiter zu fördern. Was sonst? Mit 5 Mrd. EUR könnte man auch ganz ordentlich Blockheizkraftwerke bezuschussen, die dann nicht unter dem Zwang stehen würden, 5.000 Stunden oder länger zu laufen, um sich betriebswirtschaftlich zu rechnen, sondern netzgeführt betrieben werden können. Mal sehen, wie viele neue Stromtrassen wir dann noch brauchen.
Statt Schwerter zu Pflugscharen: Automobile zu BHKW (die Idee ist nicht neu, siehe hier). Der Bezug ist absichtlich gewählt: denn Energiewende ist Friedenspolitik!
Wir messen ganz offensichtlich mit zweierlei Maß. Wir stellen jedes Jahr Millionen von Automotoren her, die wir dann mit 100 oder 200 Volllaststunden im Jahr betreiben bzw. die meiste Zeit sinnlos auf der Straße herumstehen lassen. Das liegt deutlich unter den 1000 Volllaststunden für eine Photovoltaik-Anlage oder 2000 Volllaststunden für ein Windrad im Binnenland, die die Kritiker der erneuerbaren Energien immer wieder ins Feld führen (die Zahl der Volllaststunden bei Wind und Sonne kann aber deutlich erhöht werden, wie Matthias Willenbacher in seinem “Unmoralischen Angebot” ausführt).
Die Energiewende ist machbar und exportierbar
Die Deutschen waren doch mal bekannt für ihre Ingenieure. Und deren Satz ist “Geht nicht, gibts nicht.” Solange diese Ingenieure wie bei der Mannheimer ABB aber stolz auf große Braunkohle-Bagger sind (Youtube-Video siehe hier), sieht es düster aus (siehe auch Blog-Beitrag “Windräder verschandeln die Landschaft“). Millionen intelligente Köpfe und Milliarden Euro werden dafür bewegt, immer mehr Zerstörung anzurichten, statt sie für den Umbau der Energieversorgung einzusetzen.
Alles furchtbar kompliziert mit der Energiewende? Erst mal ganz langsam? Nein.
Wir sind nicht in der Lage unser Energiesystem bei voller Wahrung der Versorgungssicherheit in kurzer Zeit umzubauen? Das wäre doch gelacht!
Wir können, wir müssen nur wollen und aufhören, uns von interessierter Seite Sand in die Augen streuen zu lassen.
Was im Energiebereich in Deutschland passiert, ist keine innerdeutsche Angelegenheit. Es hat weltweite Signalwirkung. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im Hochtechnologieland Japan hat energiepolitische Beben ausgelöst – in Deutschland (zunächst) den energiepolitischen Konsens zur Energiewende. Eine gelungene Energiewende in Deutschland würde ein noch viel größeres – positives – Beben auslösen! Weltweit!
Die Energiewende könnte die Bundestagswahl entscheiden (siehe hier). Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die positive Ausrichtung der Energiewende ein Topthema bei den Wahlen wird! Und sich alle Parteien gezwungen sehen, sich für einen schnellen Umbau der Energieversorgung zu engagieren!
Quelle
Daniel Bannasch 2013MPS Energie Institut 2013 MetropolSolar Rhein-Neckar e.V. 2013