Wie der Abschied von der Kohleverstromung bis 2040 gelingen kann
Agora Energiewende regt „Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens“ an und legt elf Eckpunkte zur schrittweisen Dekarbonisierung des Stromsektors bis 2040 vor.
Nach dem historischen Klimaschutzabkommen von Paris steht Deutschland wie alle anderen Länder in der Pflicht, sein Energiesystem von Treibhausgasen zu befreien („Dekarbonisierung“). Agora Energiewende hat deshalb einen konsensorientierten Vorschlag für einen geordneten Rückzug aus der klimaschädlichen Verstromung von Braun- und Steinkohle bis zum Jahr 2040 ausgearbeitet. „Wir schlagen der Bundesregierung vor, zeitnah einen ,Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens‘ einzuberufen“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Hierbei geht es um einen vertrauensvollen Dialogprozess unter allen Beteiligten, in dem ausgewogene und faire Kernelemente des Abschieds von der Kohleverstromung ausgehandelt werden. Der Vorschlag von Agora Energiewende benennt dazu elf wesentliche Eckpunkte.
„Die Energiewirtschaft hat ein Recht auf Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Wenn die Politik aber beim Thema ‚Dekarbonisierung des Stromsystems‘ weiter den Kopf in den Sand steckt, dann schafft das die größtmögliche Verunsicherung für alle Beteiligten“, warnt Graichen. Ziel des ,Runden Tisches Nationaler Kohlekonsens‘ sollte es sein, noch 2016 zu einer politisch und gesellschaftlich breit getragenen Vereinbarung zu kommen. „Diese Vereinbarung sollte – analog zum Atomkonsens – in ein Kohleausstiegs-Gesetz münden, das mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlossen wird“, sagt Graichen.
Damit Deutschland einerseits seine Klimaschutzziele einhalten kann und andererseits Sicherheit und Bezahlbarkeit der Stromversorgung erhalten bleiben, schlägt Agora Energiewende vor, die Kohlekraftwerke in Schritten von zunächst maximal drei Gigawatt Leistung pro Jahr (das entspricht drei bis vier großen Kraftwerken) stillzulegen und damit 2018 zu beginnen. „Um die Klimaschutzziele zu erreichen, sollte 2040 das letzte Kohlekraftwerk vom Markt gehen“, sagt Graichen. „Zudem ist es unumgänglich, dass künftig keine neuen Braunkohletagebaue mehr aufgeschlossen werden.“
Das Eckpunkte-Papier von Agora Energiewende sieht vor, die Abschaltung der Kohlekraftwerke so kostengünstig wie möglich zu gestalten. Das bedeutet im Wesentlichen, analog zum Atomausstieg die jeweils ältesten Kraftwerke nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze abzuschalten, wobei diese Altersgrenze im Laufe der Jahre gesenkt würde. Im Gegenzug müsse sich die nationale Politik verpflichten, künftig keine weiteren einseitigen Belastungen der Kohle einzuführen. Geboten seien lediglich die endgültige Stilllegung der im Zuge des Kohleausstiegs frei werdenden CO2-Zertifikate im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems und eine Stärkung des Emissionshandels insgesamt
Um die Belastungen der Braunkohleregionen abzufedern, gehören zu einem Kohlekonsens verlässliche strukturpolitische Maßnahmen über den gesamten Zeitraum bis 2040. Die Braunkohlereviere sollen daher mit 250 Millionen Euro im Jahr gefördert werden. „Da die Energiewende im Wesentlichen auf Bundesebene beschlossen wurde, sollten die zusätzlichen Strukturhilfen vollständig aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden. Die hauptbetroffenen Bundesländer wissen wiederum am besten, welche strukturpolitischen Maßnahmen vor Ort am sinnvollsten sind, sie sollten deshalb über die Verwendung der Mittel entscheiden“, empfiehlt Graichen.
Überdies sollte ein Fonds eingerichtet werden, der die Folgelasten der Rekultivierung der Braunkohletagebaue nach dem Ende der Braunkohleförderung übernimmt. Anstelle der bisherigen Rückstellungspraxis der Tagebaubetreiber sollte künftig eine Abgabe von etwa 2,50 Euro pro Megawattstunde Braunkohlestrom in diesen Fonds eingezahlt werden. Er würde so über die Jahre auf mehrere Milliarden Euro anwachsen. „Wir sollten frühzeitig klären, wie wir nach Auslaufen des Kohleabbaus mit der Rekultivierung der Braunkohletagebauen umgehen, sonst kriegen wir später die gleichen Diskussionen wie aktuell bei den Atomrückstellungen“, sagt Graichen.
„Die Dekarbonisierung des Stromsystems wird nur in einem fairen und ausgewogenen gesellschaftlichem Konsens gelingen. In diese Richtung zielt unser Vorschlag: Er verlangt allen Beteiligten etwas ab, vermeidet jedoch unbillige Härten und setzt auf den Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Zudem gibt er Planungssicherheit und ausreichend Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen. Das gilt für die Kraftwerksbetreiber genauso wie für die Braunkohlekumpel und die Regionen, die derzeit noch von der Braunkohle leben“, erläutert Agora-Direktor Graichen.
Das Impulspapier „Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens: Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors“ steht unten in einer Kurz- und einer Langfassung zum Download bereit. Die Langfassung enthält zusätzlich zur Erörterung der elf Eckpunkte auch umfassende Modellierungsergebnisse, unter anderem zu den – eher geringen – Auswirkungen des Konzepts auf die Strompreise. Diese wurden vom Beratungsunternehmen Enervis Energy Advisors im Auftrag von Agora Energiewende erarbeitet.
Am Mittwoch, 13. Januar, stellt Agora Energiewende das Konzept in Berlin öffentlich zur Diskussion. Beiträge werden erwartet von Prof. Dr. Klaus Töpfer (Vorsitzender des Rates der Agora), Prof. Dr. Martin Faulstich (Sachverständigenrat für Umweltfragen), Dr. habil. Christian Growitsch (Universität Hamburg), Dr. Wolfgang Krüger (Industrie- und Handelskammer Cottbus), Joachim Diehl (Innovationsregion Rheinisches Revier) sowie von Julius Ecke (Enervis Energy Advisors).
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