Entfernungspauschale: „Eine Katastrophe für die Städte“
Der Verkehrsforscher Helmut Holzapfel fordert den Bund auf, die Erhöhung der Pendlerpauschale zu stoppen. Sie sei eine Umverteilung nach oben und ein Angriff auf die Verkehrswende.
Klimareporter°: Herr Holzapfel, die Bundesregierung will die Pendlerpauschale erhöhen, obwohl etwa das Umweltbundesamt seit Langem eine Senkung dieser und anderer klimaschädlicher Subventionen fordert. Doch die im Wesentlichen von der CSU durchgesetzte weitere Anhebung wird aktuell kaum kritisiert. Steuern sparen angesichts generell stark gestiegener Preise ist beliebt – können Sie das nicht nachvollziehen?
Durchaus, doch man muss die Gesamtlage betrachten. Der Bundeshaushalt ist extrem defizitär, gerade bei Zukunftsaufgaben wie dem Klimaschutz wird trotz der zusätzlichen Milliarden aus dem Sondervermögen gespart. Hingegen wird eine ökologisch und sozial schädliche Subvention wie die Entfernungspauschale erhöht. Das ergibt keinen Sinn. Und es ist ein Angriff auf die Verkehrswende.
Es wird ja nur die Kilometerpauschale bis Kilometer 21 von 30 auf 38 Cent erhöht …
Das verstärkt die soziale Schieflage erneut. Denn der damit verbundene Steuernachlass von zusätzlich rund zwei Milliarden Euro pro Jahr entlastet wieder vor allem die Reichen im Lande, Haushalte mit wenig Einkommen bekommen kaum etwas.
Wieso?
Nur wer viel Steuern zahlt, erhält viel zurück. Menschen mit hohen Einkommen bekommen derzeit durch die Pauschale im Schnitt 539 Euro im Jahr erstattet, Menschen mit geringem Einkommen 196 Euro.
Verkehrswissenschaftliche Daten zeigen, dass vor allem Gutbetuchte weite Wege zur Arbeitsstätte zurücklegen. Die Hälfte der zusätzlichen zwei Milliarden, also eine Milliarde, fließt daher an die reichsten zehn Prozent unseres Landes, an das unterste Zehntel der Einkommenspyramide gehen nur 71 Millionen.
Die Geschichte mit der schlecht bezahlten, autofahrenden Krankenschwester, die entlastet werden soll, ist völliger Unsinn.
Im Übrigen ist die Belastung der Autonutzer durch die Spritpreise in den letzten Jahren real, also unter Berücksichtigung der Einkommenssteigerung, nicht gestiegen.
Und es gibt eine weitere Schieflage: Wer seinen meist kürzeren Arbeitsweg umweltfreundlich zu Fuß oder mit dem Rad bewältigt, bekommt nur dann etwas heraus, wenn bei der Berechnung der Kilometerpauschale die generelle Werbekostenpauschale bei der Steuer überschritten wird.
Steuernachlässe wie die Kilometerpauschale sollen ja auch Geld für Investitionen freimachen, damit wir besser leben können. Dem können Sie nichts abgewinnen?
Wie denn? Niemand wird sich jetzt schnell ein Haus bauen, weil mehr Pendlerpauschale gezahlt wird. Langfristig besteht allerdings die Gefahr, dass wir unsere Siedlungsstruktur weiter zersplittern. Ein großer Vorteil unseres Landes besteht doch darin, dass hier im Vergleich etwa zu den USA alles noch kompakter angelegt ist und die Pendlerwege dadurch kürzer sind.
Dies spart den Menschen Lebenszeit, täglich, und Kosten für den Verkehr. Und es macht unser Land auch im Krisenfall resilienter, ein unschätzbarer Wert, falls einmal die Energieversorgung kollabiert. Das scheint der Politik egal zu sein.
Sollte die Pauschale ganz abgeschafft werden?
Genau, zumindest sukzessive. Eine Abschaffung der Pauschale, wie sie vom Bundesrechnungshof und auch von internationalen Organisationen wie der OECD empfohlen wurde, würde nach Berechnungen des Umweltbundesamtes bis zum Jahr 2030 eine Treibhausgas-Minderung von rund zwei Millionen Tonnen CO2 bringen. Durch die jetzt geplante Aufstockung der Pauschale wird sich der CO2-Ausstoß bis 2035, wie man grob abschätzen kann, um ebendiesen Betrag erhöhen.
Welche Effekte berechnen Sie da ein?
Der Pendlerverkehr mit dem Pkw wird wachsen, wenn wir ihn weiter und noch stärker subventionieren. Zudem wird das Konzept der Stadt der kurzen Wege hintertrieben, da man mit kurzen Distanzen die Werbekostenpauschale nicht erreicht und nicht gefördert wird, beim Fahren weiter Strecken aber schon.
Bereits heute benutzen 68 Prozent der Pendler das Auto, und dessen Benutzung dürfte nun weiter steigen. Das ist eine Katastrophe für die Städte, die ja das Ziel des Pendelverkehrs sind, und für die dort lebenden Menschen. Mehr Autopendler bedeuten eine Belastung durch Abgase, Lärm und Unfallgefahren, während die Städte dringend bessere Luftqualität und Schritte Richtung Klimaneutralität brauchen. Deswegen lehnt der Städtetag die Pendlerpauschale ebenfalls ab.
Wenn die negativen Folgen so eindeutig sind, gibt es keine Chance, die Erhöhung noch abzubiegen?
Ich hoffe sehr auf die Haushaltsberatungen im Bundestag. Diese Fehlentscheidung, die auf den Druck einiger Landräte der CSU zurückzuführen ist, die Neubaugebiete an den Mann und die Frau bringen wollen, gehört dringend revidiert. Die SPD als Koalitionspartner kann dieser Umverteilung der Einkommen nach oben eigentlich nicht zustimmen.
Helmut Holzapfel leitet das Zentrum für Mobilitätskultur in Kassel. Der Bauingenieur, Stadtplaner und Verkehrswissenschaftler ist emeritierter Professor an der Uni Kassel, aber aktuell dort noch Lehrbeauftragter. Sein Fachbuch „Urbanismus und Verkehr“ erschien jetzt in überarbeiteter Neuauflage und hat die Relevanz der Stadt der kurzen Wege und attraktiver urbaner Lebensbedingungen zum Thema.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!