Nahverkehr als Klimaschutz-Schlüssel
Eine Studie des Umweltbundesamts zeigt, wie der notwendige Ausbau des ÖPNV funktionieren könnte – und auch zu finanzieren wäre. Umwelt- und Sozialverbände sind dafür und erinnern an den im Koalitionsvertrag versprochenen Modernisierungspakt.
Ohne einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wird Deutschland seine Klimaziele im Verkehrsbereich nicht erreichen. Das ist die zentrale Botschaft einer neuen Studie des Umweltbundesamtes (UBA) mit dem Titel „Luftreinhaltung und Klimaschutz durch Stärkung des ÖPNV“.
Darin wird ein Zielszenario entworfen, das zeigt, wie Busse, Bahnen und S-Bahnen bis 2045 ausgebaut werden müssten – und wie groß die finanzielle Lücke dabei ist. Durch einen gezielten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs würden bis 2045 zehn Prozent des Autoverkehrs auf Busse und Bahnen verlagert.
Besonders der Busverkehr spielt eine Schlüsselrolle. „Es steht ein Jahrzehnt wachsender Busangebote bevor“, heißt es in der Studie.
Denn während Regionalzüge vor allem die mittleren und weiten Distanzen zwischen Städten bedienen, und die S-Bahn in den Ballungsräumen die raumverbindende Rolle übernimmt, bleiben ländliche und suburbane Räume vielfach unterversorgt. Dort sollen „Plus-Bus“-Linien oder Schnellbusse künftig die Lücken im Schienennetz schließen.
Auch im Umland der Metropolen, wo die S-Bahn das Netz nicht vollständig abdeckt, ist ein dichteres Busangebot nötig. In den Großstädten selbst dagegen wird die Stärkung aller Nahverkehrsarten erforderlich sein – von der U-Bahn über die Tram bis zur Regionalbahn. Busse stoßen dort schon heute vielfach an ihre Kapazitätsgrenzen.
„Die Finanzierung des ÖPNV muss verlässlich sein“
Die Modellrechnungen der UBA-Studie zeigen eine stark steigende Kostenentwicklung. Selbst wenn das Angebot nicht ausgebaut würde, steigen die Kosten danach bis 2045 inflationsbedingt um rund 70 Prozent. Mit der Umsetzung des Zielszenarios erhöhen sie sich noch einmal um denselben Prozentsatz. Das bedeutet: Von rund 32 Milliarden Euro im Jahr 2023 klettern die jährlichen Kosten auf 93 Milliarden im Jahr 2045.
Doch die bisher absehbaren zusätzlichen Einnahmen halten mit diesem Anstieg nicht Schritt. Das Delta zwischen den Mitteln und den nötigen Ausgaben beträgt 2045 rund 37 Milliarden Euro jährlich. Und das betrifft allein den Betrieb – die Finanzierung der Infrastrukturinvestitionen ist dabei noch nicht berücksichtigt.
Derzeit stützt sich der ÖPNV auf drei Säulen: Fahrgeldeinnahmen, Zuschüsse der öffentlichen Hand und ergänzende Einnahmen wie Sponsoring oder Bürgerticket-Modelle. Die Bedeutung der ersten Säule nimmt ab, nicht zuletzt durch das Deutschlandticket, das zwar die Nachfrage gesteigert hat, aber den Einnahmenanteil drückt. Die zweite Säule, die Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen, gewinnt entsprechend an Gewicht.
„Die Finanzierung des ÖPNV muss verlässlich sein“, mahnen die Studienautor:innen. Einnahmeausfälle in der ersten und dritten Säule müssten notfalls durch die zweite kompensiert werden.
Empfohlen wird dabei, die Finanzierung der Infrastruktur von den laufenden Betriebsmitteln zu trennen – etwa durch einen Infrastrukturfonds. Vorteil: So ließen sich Planungs- und Bauvorhaben langfristig absichern.
Auch sollten Zuständigkeiten klar zugeordnet werden: Wenn der Bund Standards vorgibt, müsse er nach dem Konnexitätsprinzip auch den entsprechenden Finanzierungsanteil übernehmen.
Arbeitgeberbeitrag wie in Frankreich
Neben mehr Steuergeld werden in der Studie ergänzende Finanzierungsmodelle diskutiert. Dazu gehören Arbeitgeberbeiträge, Bürgertickets, Studierenden- oder Anliegerabgaben sowie Instrumente der Bepreisung des Autoverkehrs – etwa Mautsysteme oder eine stärkere Parkraumbewirtschaftung. Diese Maßnahmen könnten nicht nur Einnahmen generieren, sondern zugleich die gewünschte Verkehrsverlagerung vom Auto auf Bus und Bahn unterstützen.
Besonders realistisch erscheint laut Studie die Einführung eines Arbeitgeberbeitrages für die ÖPNV-Finanzierung, wie er etwa in Frankreich erhoben wird. Unternehmen könnten die Ausgaben für den Beitrag durch Einsparungen bei der Parkplatz-Bereitstellung für ihre Beschäftigten kompensieren, wird argumentiert.
Ein bundesweites Bürgerticket wäre laut der Studie finanziell ergiebiger, es sei aber juristisch heikel, solange es kein flächendeckendes Angebot als Gegenleistung gibt.
Der größte Knackpunkt bleibt die politische Realität. In Zeiten knapper Haushalte und wachsender Skepsis gegenüber Klimaschutzmaßnahmen droht der Fokus auf die Sicherung des Status quo. „Damit wird der ÖPNV seinen ihm möglichen Klimaschutzbeitrag nicht erreichen“, warnen die Autor:innen.
Dabei zeigten Beispiele aus Österreich und der Schweiz, dass ein massiver Ausbau durchaus machbar ist – wenn die Finanzierung gesichert wird.
Zivilgesellschaft fordert Neustart
Die Klima-Allianz Deutschland verweist in einer Stellungnahme zu dem UBA-Szenario darauf, dass eine Verlagerung des Autoverkehrs auf Bus und Bahn in der genannten Größenordnung mehr als 5,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen und gleichzeitig die externen Kosten durch Unfälle, Luftverschmutzung, Lärm, Treibhausgasemissionen und Stau um jährlich fast 20 Milliarden Euro reduzieren würde.
Die Klima-Allianz bezieht sich dabei auf Berechnungen des Thinktanks FÖS aus dem vorigen Jahr. „Der Ausbau des ÖPNV hat also das Potenzial, einen substanziellen Teil der Klimaschutzlücke im Verkehr zu schließen“, so das Bündnis von rund 150 Organisationen aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft.
Laut dem jüngsten Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung überzieht der Verkehrssektor seine Zielwerte um jährlich fast 20 Millionen Tonnen CO2.
Die Allianz argumentiert, dass mit dem absehbaren Verfehlen des Ziels von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 Maßnahmen zur Verkehrsverlagerung und zur Stärkung von ÖPNV und Schiene stärker in den Blick rücken müssten. „Es braucht deshalb den Ausbau- und Modernisierungspakt wie im Koalitionsvertrag angekündigt.“ Die UBA-Studie gebe hier klare Orientierung, wie ein solcher Ausbau funktioniert und finanziert werden kann.
Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz sagte dazu: „Mit einem attraktiven Deutschland-Angebot im ÖPNV holt die Politik das Vertrauen in einen modernen Staat zurück. Wir fordern deshalb im Klimaschutzprogramm die Umsetzung des Ausbau- und Modernisierungspaktes, einen Investitionsfonds für den ÖPNV und einen Neustart der bisherigen Finanzierung.“
- Das „Konzept für einen beitragsfinanzierten ÖPNV“ finden Sie hier
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!