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Wie viel E-Auto braucht ein Mensch?

In den letzten Jahrzehnten sind unsere Autos immer größer und schwerer geworden. Eine Analyse von Götz Warnke

Jede Golf-Generation ist größer als die vorherige, und die vor wenigen Jahrzehnten gebauten Parkplätze werden immer enger, weil immer größere Autos darauf stehen. Dabei gibt es genügend Beispiele, dass es auch anders ginge.

Spätestens mit dem steigenden Autoaufkommen der 1990er Jahre wäre eine Größenreduktion sinnvoll gewesen. Doch das Gegenteil geschah, zumal mit dem SUV noch ein raumgreifender Fahrzeugtyp hinzukam. Das Auto hatte sich längst von einem Gebrauchsgegenstand zu einem Repräsentationsgegenstand gewandelt. Es ging nicht mehr um den Bedarf an Mobilität, sondern um das Bedürfnis nach Selbstdarstellung. Im Alltag verwechseln Menschen ja häufig die Begriffe „Bedarf“ und „Bedürfnis“. Das ist hier auseinander zu halten. Denn Bedarf meint das, was wir nötig haben, und Bedürfnis steht dafür, was wir gern hätten, was wir uns wünschen oder wovon wir träumen. Und wenn es um die Frage geht, was ein „Mensch“ braucht, dann ist damit der durchschnittliche deutsche Autonutzer bzw. Autobesitzer gemeint, also alle Menschen, die meinen, sie hätten einen alltäglichen Bedarf für die Nutzung eines Autos. Sicher gibt es einige Menschen, die weder den „Bedarf“ noch das „Bedürfnis“ in diese Richtung haben, aber diese Gruppe kann hier außen vor bleiben. Immerhin sprechen die 45 Millionen zugelassenen, höchst unterschiedlichen PKWs in Deutschland für einen gewissen Bedarf, zumal ein erheblicher Anteil deutlich keine Repräsentationsfahrzeuge sind.

Grundfakten
Es gibt eine endlose Menge an Statistiken zum Thema Auto in Deutschland, aber wir können uns hier auf ganz wenige Fakten beschränken:

Ein PKW wird im Durchschnitt ca. 45 Minuten pro Tag genutzt; rund 40 % der PKW werden an einem durchschnittlichen Tag gar nicht genutzt. 68% der Berufspendler benutzen das Auto. Die durchschnittliche Strecke zum Arbeitsplatz beträgt 17 km, hin und zurück also wochentäglich 34 km. Selbst der durchschnittliche Fernpendler, der über 60 Minuten für eine Strecke benötigt, hat nur 55 km zur Arbeit zurückzulegen, also insgesamt 110 km an einem Arbeitstag.

Eine Untersuchung der HUK-Coburg auf Basis einer Telematik-Erhebung von 25 Millionen Fahrten zeigte 2018: Rund 50% der Autos legten in einem Zeitraum von acht Monaten an keinem Tag mehr als 250 Kilometer zurück. Und bei den übrigen Fahrzeugen, die in dem Zeitraum mehr als 250 km weit fuhren, machten Fahrten mit dieser Tagesreichweite gerade einmal ein Prozent aus. Der durchschnittliche PKW-Besetzungsgrad in Deutschland liegt seit Jahren bei 1,5 Personen pro PKW.

Und was wünscht der durchschnittliche Autofahrer? Zuverlässigkeit, sowie eine kostengünstige und umweltfreundliche Mobilität.

Soweit die Fakten. Wie muss also das entsprechende Auto aussehen bzw. gestaltet sein. Dazu hier mehrere Punkte:

Antrieb
Wenn man die o.a. Nutzungsdaten und die Wünsche der Autofahrer berücksichtigt, kommt als Lösung das vollelektrische Fahrzeug (BEV) bzw. E-Auto dabei heraus: Ein heutiges E-Auto muss selbst bei überdurchschnittlichen Strecken zur Arbeit hin und zurück – Fernpendler einmal ausgenommen – höchstens einmal pro Woche aufgeladen werden – dies kann z.B. zu Hause, am Arbeitsplatz, oder beim Einkauf zwischendurch geschehen.

Die E-Autos sind wegen ihrer gegenüber Fossil-Fahrzeugen einfacheren Technik zuverlässiger, brauchen weniger Wartung, und sind durch den effizienten E-Motor sowie die Rekuperation sparsam im Verbrauch – insbesondere bei städtischem Stop-and-Go-Verkehr. Sie sind umweltfreundlich, da sie vor Ort keine Emissionen ausstoßen, und sie tragen, anders als Verbrennerfahrzeuge, nicht zur Aufheizung der Städte bei.

Bei leichten E-Autos wäre sogar eine Teilentsiegelung unserer Städte möglich, indem man statt asphaltierter Parkplätze künftig Rasensteine verwendet – ohne die Befürchtung haben zu müssen, dass Bremsflüssigkeit, Getriebeöl und Hydrauliköl im Boden versickern.

Speichern/Laden
Eine mehr als ausreichende Akku-Kapazität für die o.a. Anforderungen dürfte zwischen 28,5 Kilowattstunden wie beim alten Hyundai Ioniq Elektro und 35 Kilowattstunden wie beim künftigen Sion von Sono Motors liegen. Er sollte selbstverständlich für schnelles Laden, bidirektionales Laden und für Wechsel-Akkus ausgelegt sein. Das ermöglicht quasi unbegrenzte Reichweite sowie eine Stromversorgung von Geräten (Camping-Kühlschrank) und gegebenenfalls sogar des Hauses (Vehicle to Home/V2H). Dadurch könnte man im Sinne der Sektorkoppelung große Speicherkapazitäten für die Energiewende bereitstellen. Auch die Laternen-Parker ließen sich über solche oder solche Wechsel-Akkus versorgen. Zudem muss das E-Auto über eigene Solarzellen verfügen, um sich während der überwiegenden Standzeiten unabhängig vom Stromnetz aufladen zu können (VIPV/Vehicle integrated PV). Forscher des Fraunhofer ISE gehen sogar davon aus, dass man künftig in sonnigen Breiten die Energie für die PKW-Jahresfahrleistung von ca. 15.000 km gänzlich über VIPV abdecken kann.

Fahrwerk
Der Unterschied zwischen einem seine Passagiere vor Regen etc. schützenden Motorroller (wie z.B. der alten BMW C1) und einem Auto ist die Standsicherheit bei Glätte durch Eis und Schnee, sowie bei großen zu transportierenden Lasten. Und diese Standsicherheit wird nicht erst durch vier Räder erreicht, wie uns die aus dem Kutschenbau stammende Konstruktionstradition des Autos vorgaukelt, sondern bereits durch drei. Vorteil solcher Trike-Fahrzeuge: sie haben prinzipiell einen geringeren Rollwiderstand und sind leichter, was natürlich Energie spart. Bleibt die Frage nach der Konfiguration: ein oder besser beide Räder nach vorn, also Delta- oder Tadpole-Ausführung?

Auch dieses lässt sich rational entscheiden, nämlich entsprechend der an der Tropfenform orientierten Stromlinie von Fahrzeugen und der höheren Stabilität im Geradeauslauf: die Tadpole-Konstruktion hat Vorteile – zwei Räder sollten also nach vorn. Einige solcher E-Trikes wie der Nobe oder der Sondors gehen gerade an den Start. Wichtig ist, dass die Breite der Reifen nicht überdimensioniert wird und so den Rollwiderstand erhöht.

Karossereie-Aufbau
Wie wir oben bei den Autofakten gesehen haben, werden die alltäglich notwendigen Strecken meist im Nahbereich zurückgelegt. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei weit überwiegend um Stadtverkehr, Landstraßen oder in der Geschwindigkeit begrenzte Autobahnen im Dunstkreis von Großstädten handelt. Schon wegen der Dichte z.B. des Berufsverkehrs dürfte das durchschnittliche E-Auto im Alltag höhere Geschwindigkeiten als 100 Stundenkilometer gar nicht erreichen. Damit können wir aber auch endgültig Abschied nehmen von den Konstruktionstraditionen, die uns insbesondere durch den hoch motorisierten Autobahnwagen vorgegeben waren: eine möglichst flache Kühlerhaube und eine möglichst kleine Angriffsfläche für Seitenwind (auch wenn das heute durch das kantige SUV-Design karikiert wird).

Die künftigen Autos können auch in ihrer Frontpartie eher stromlinienförmig hoch als flach sein, zumal der E-Motor an die Achsen und der Akku in den Fahrzeugboden „wandert“. Das E-Auto wird also eher einem Rumpler-Tropfenwagen gleichen als einer „Flunder“ von Ferrari. Das wird auch dadurch möglich, dass die Seitenwind-Empfindlichkeit wegen der geringen Geschwindigkeit von 100 km/h keine große Rolle spielt – schließlich dürfen auch große Reisebusse auf Autobahnen die gleiche Geschwindigkeit fahren. Durch die hochbauende Karosserie sinkt die vom Fahrzeug in Anspruch genommene Grundfläche – bei steigender Nutzfläche im Innenraum.

Wichtig bleibt eine Energie sparende Stromlinie; schließlich schlägt in dieser Kategorie der siebensitzige Schlörwagen von 1939 – zum Hohn auf alle heutigen Konstrukteure – weiterhin jeden am Markt befindlichen PKW.

Sitzplätze
Selbst ein kleines E-Auto wie der Renault ZOE verfügt heute über 5 Sitzplätze; große SUVs oder Vans haben teilweise 7 Sitzplätze und mehr. Bei einem durchschnittlichen PKW-Besetzungsgrad von 1,5 Personen müssten im Allgemeinen 3 bis 4 Sitzplätze (ein Notsitz) ausreichen – z.B. für Familien, Fahrgemeinschaften etc. Der Fahrersitz sollte vorn zentral in der Mitte angebracht sein, wie es bei Teslas LKW Semi oder eben auch beim Schlörwagen der Fall ist. Das verschafft dem Fahrer eine bessere Übersicht und hilft insbesondere in der Stadt Unfälle zu vermeiden. Zudem kann der Fahrer so auf beiden Seiten aus dem Auto steigen und ggf. die gefährlichere Straßenseite vermeiden.

Fazit

© dgs.de / Götz Warnke | Unsere Autos sind zu fett geworden; sie passen nicht einmal mehr auf die vor wenigen Jahrzehnten gebauten Parkplätze.


Das Auto der Zukunft muss kleiner, leichter, energieeffizienter und sauberer als der heutige Durchschnitts-PKW werden. Denn Vorteil eines kleinen und leichten Autos ist die höhere Reichweite bei gleicher Batteriekapazität. Bei letzterer stellt sich immer mehr die Frage, ob das auch hier zu beobachtende zunehmende Wachstum Richtung 100 kWh nicht der allgemeinen Gigantomanie der Autoindustrie folgt, mit immer größeren und immer imposanteren Fahrzeugen immer mehr Geld zu verdienen.

Dem entgegen muss der PKW zurück geführt werden zu einem Nutzobjekt, das den Bedarf an Mobilität deckt, und weg von einer Repräsentations-Ikone, die das Bedürfnis nach Selbstdarstellung ihrer Besitzer befriedigen soll. Das Auto wird – und das zeigt auch das Mobilitätsverhalten in der Pandemie – aus dieser Welt nicht mehr verschwinden. Aber wenn diese Form der Mobilität nicht zu einem weiteren „Sargnagel“ für unser Klima werden soll, müssen wir sie auf das menschliche Maß zurückführen.

Quelle

Der Bericht wurde von der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Götz Warnke) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | SONNENENERGIE 01/2021 Das Inhaltsverzeichnis zum Download!

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