300 Jahre „Nachhaltigkeit“ – Sylvicultura oeconomica
Warum ein Buch feiern – oder gar lesen – das vor 300 Jahren eine „Anweisung zur wilden Baumzucht“ gab? Die Antwort: Weil wir in der 1713 erschienenen „Sylvicultura oeconomica“ des sächsischen Oberberghauptmanns Hans Carl von Carlowitz den Urtext des heutigen Nachhaltigkeitsbegriffs finden. Eine Rezension von Ulrich Grober & Udo E. Simonis
Ausgangspunkt dieses barocken Buches ist die Ressourcenkrise seiner Zeit: der einreißende Große Holtz=Mangel. Es ist eine prognostizierte, noch keine akute Krise. Die Abbildungen im Buch verweisen auf die Ursachen: die Umwandlung von Wald in Ackerland infolge von Bevölkerungswachstum, Raubbau am Wald, ausgelöst von erster Industrialisierung und zunehmender Gier in der Gesellschaft. Carlowitz kritisiert das auf kurzfristigen monetären Gewinn – auf Geld lösen – ausgerichtete Denken seiner Zeit.
Und dann entwickelt er eine überwölbende Idee: sass die Consumtion des Holtzes sich im Rahmen dessen bewegen müsse, was der Wald-Raum zu zeugen und zu tragen vermag. So dass eine Gleichheit zwischen An- und Zuwachs und dem Abtrieb des Holtzes erfolget und die Nutzung immerwährend, continuirlich und perpetuirlich stattfinden könne.
Das ist tief gedacht und klar formuliert. Es geht hier nämlich um die schon früh umstrittene Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie. Der Maßstab für die Consumtion sei nicht der Markt, sondern das wieder wachsen, das Nachwachsen des jungen Holzes. Forstleute sprechen heute von Verjüngung, Ökologen von Regenerationsraten und Umweltschützer von der Tragfähigkeit der Ökosysteme. Carlowitz unterscheidet zwischen unserer oeconomie und der Haushaltung der Natur – also der Ökologie. Und er fordert die behutsame Einbettung der menschlichen Ökonomie in die große Haushaltung von mater natura – in die Biosphäre.
In diesem Zusammenhang präsentiert Carlowitz einen Terminus, der die langfristige zeitliche Kontinuität von Naturnutzung zum Ausdruck bringen soll: Bei der Erörterung, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuirliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentbehrliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag, erscheint der Urtext unseres heutigen Nachhaltigkeitsbegriffs.
Carlowitz spricht hier von „nachhaltender Nutzung“. Diese Partizipialform drückt etwas Wesentliches aus, die Gleichzeitigkeit von „nachhalten“ und „nutzen“. Es geht ihm um eine Nutzung, die von vornherein so angelegt ist, dass sie nachhält. Es ist dieselbe Polarität, die schon in den Begriffen „bebauen“ und „bewahren“ der biblischen Schöpfungsgeschichte steckt. In der modernen Formel „sustain“ und „develop“ erscheint sie in neuer Fassung. Diese Balance von Selbstsorge der Gesellschaft (nutzen) und Vorsorge für kommende Generationen (nachhalten) gilt es immer wieder neu zu suchen und zu finden.
Carlowitz‘ Wortschöpfung etablierte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in der Fachsprache der deutschen Forstleute. An Forstakademien wie Tharandt und Eberswalde entwickelte sich ein Forstwesen, das weltweit bewundert und nachgeahmt wurde. Im 19. Jahrhundert übersetzte man „Nachhaltigkeit“ dann in andere Sprachen. Ins Englische zum Beispiel mit „sustained yield forestry“. In dieser Fassung wurde der Terminus zur Blaupause des modernen Konzepts „sustainable development“, das von der Brundtland-Kommission 1987 in alle Welt getragen wurde.
Nachhaltigkeit als Begriff ist also ein Geschenk der deutschen Sprache an das globale Vokabular und an die Weltgemeinschaft. Dafür sollten wir dem barocken Edelmann und sächsischen Europäer Carlowitz heute dankbar sein. Was die Neuauflage angeht, muss der besondere Dank an den Herausgeber Joachim Hamberger und den Verlag gehen, die das Buch liebevoll aufbereitet und zu etwas Besonderem gemacht haben – ein Schmuckstück, das heute vermittelt, wie wertvoll Bücher früher einmal waren.
Eine editorische Notiz erläutert die Details: Die Frakturschrift wurde durch eine moderne Schrift ersetzt. Zur besseren Lesbarkeit wurden moderate Änderungen und notwendige Korrekturen gegenüber dem Original vorgenommen. Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel, ein Glossar und ein Register wurden angefügt und ermöglichen so eine gut erschließbare Textfassung. Zusätzlich eingefügte historische Stiche und Drucke illustrieren diesen Urtext der Nachhaltigkeit auf wunderschöne Weise.
Und für den Schutzumschlag wurde ein prächtiges Landschaftsgemälde von Albrecht Altdorfer verwendet, eine Pionierleistung der Malerei, die um 1520 entstand. Es wurde also alles unternommen, Carlowitz‘ Werk für eine breitere Schicht von Leserinnen und Lesern zu erschließen – auch für Wissenschaftler, die jetzt erst beginnen, sich mit den komplexen Fragen der Nachhaltigkeit zu befassen.
Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) war der Schöpfer des Begriffes der Nachhaltigkeit. Mit der Sylvicultura oeconomica (1713) legte der Universalgelehrte das erste geschlossene Werk über die Forstwirtschaft vor.
Quelle
:: Ulrich Grober ist Journalist und Publizist, Autor des Buches „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“ :: Udo E. Simonis 2012 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Kurator der Deutschen Umweltstiftung