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Angela Merkel: Daran glaube ich

Der Gärtner und Marie Curie  – Die Vorbilder der Angela Merkel. Von Rupert Neudeck

„Hätte man mich im Alter von 17 oder 18 Jahren nach meinen Vorbildern gefragt, hätte ich geantwortet: Na klar habe ich Vorbilder“. Und da habe sie sich mal an ihr erstes Vorbild erinnert, neben den Eltern, die ja nun mal die wichtigsten Bezugspersonen sind. Aber dann gibt es da noch einen: „Ich erinnere mich an einen Gärtner. Dieser Gärtner führte die Gärtnerei auf dem Hof“. Das könnte Günter Jauch ruhig in seinen Millionärsfrage aufnehmen, wer kann da gemeint sein?

Es war Angela Merkel, noch lange bevor sie Bundeskanzlerin wurde. Der Herausgeber des Buches Volker Resing sagt zu Recht. So ungeschützt und persönlich hat sie später nie wieder von ihrer Kindheit gesprochen wie bei diesem Evangelischen Kirchentag 1995. An diesem langen Text läßt sich die Gedankenwelt von Angela Merkel sehr gut nachlesen, da ihre Rede noch nicht so stark von Vorsicht und taktischer Rücksichtnahme geprägt ist wie spätere Dokumente.

Was auffällt, wie bibelfest die Merkel war und ist. Wenn sie ein Zitat hat, dann kann sie es gleich herleiten. Als vor einiger Zeit im Magazin der Süddeutschen Zeitung auf kurze Fragen knappe Antworten erbeten waren und der Piraten-Politiker Johannes Ponader die Frage gestellt hatte: „Stellen Sie sich vor, ich werde ihr Nachfolger. Welche drei Dinge geben sie mir als Tipps auf den Weg?“ Merkel zitiert darauf kurz: „Luthers Bibelübersetzung Spr. 16,18: ‚Wer zu Grund gehen soll, ´der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall‘“. Später hat ein Redenschreiber – und wir kennen sie ja nicht – in eine Rede ein Bibelzitat eingefügt. Bei der Korrektur des Entwurfs schrieb Merkel an den Rand: „Bitte Lutherbibel verwenden, nicht die Einheitsübersetzung“. Damit ist auch gesagt, die Merkel ist stärker der kirchlichen Subkultur verhaftet und hat mehr christliche Sozialisation eingesogen, als wir uns das bisher in unserer Schulweisheit vorstellen konnten. Wir erwarten das auch nicht, weil sie ja ihr Leben, schon gar nicht das private vor sich herträgt.

Auch sagt sie nicht das, was fast jede Frau in der Politik immer wieder sagt, dass man als Frau viel heftiger und ellbogenstärker kämpfen und die doppelte Energie aufwenden muss um zu einer solchen Position zu kommen. Das hat man aus dem Mund von Merkel nie gehört. Das einzige was man von ihr mal gerade erfahren kann, steht in dieser Rede zu den Vorbildern der eigenen Geschichte. Da enthüllt sie, dass es ein Mensch war, dem sie nach der Schwärmerei für Schlagersänger, Eiskunstläufer, Tänzer ganz besonders verehrt hat. Marie Curie, die Physikerin. Als erstes habe sie interessiert, dass sie aus Polen sei, denn einer ihrer Großväter stamme auch aus Polen. So hat die Curie in Polen unter russischer Besatzung gelebt und ist dann geflohen, aufgebrochen nach Paris.

Dort war sie am Ende des 19. Jahrhunderts eine große Ausnahme, denn sie studierte Physik und konnte mit einer ihrer Arbeiten das Element Radium entdecken. „Sie hat diese Entdeckung gemacht, weil sie ganz festdaran geglaubt hat, eine gute Idee zu haben. Sie musste dazu tonnenweise Pechblende aus der Tschechei kommen lassen.“ Das sei ungeheuer anstrengend und gefährlich gewesen, denn Radium ist stark radioaktiv. Sie ist dann auch noch Professorin geworden. Marie Curie wurde aber nicht in die Französische Akademie aufgenommen, „weil man ihr als Frau das wohl doch nicht gegönnt habe!“.

Das Buch versammelt Texte, die schon gesprochen, als Reden gehalten und veröffentlich wurden. In dieser Zusammenstellung ist es eine große Lese-Überraschung. Die Autorin und Kanzlerin beschreibt, wie das Evangelium und die Nachfolge Christi natürlich keinen Anspruch erfüllen, gleich das Richtige zu entscheiden. Z.B. in der Umweltpolitikgibt es für viele gegensätzliche Dinge verschiedene Argumen5te. Z.B. die Bohrinsel „Brent Spar“. Es war für sie eine klare Entscheidung, sich gegen die Versenkung der Plattform auszusprechen. Aber der Pächter dieser Plattform sieht das anders. „Er ruft bei uns im Ministerium an und fragt, ob wir überhaupt wissen, was wir tun“? Er sagt, dass er mit Shell wenig zu tun habe, dass er gerade renoviert und investiert habe, dass er jetzt sogar mit Brandanschlägen rechnen muss. Merkel steht weiter zu ihrer Entscheidung, muß aber noch mal alles durchdenken.

Oder die Nordseeschutzkonferenz zum Thema Fischerei. Da gibt es jetzt stark umweltbelastende Fangmethoden, die den Untergrund aufwühlen und die kleineren Fischer nicht mehr entkommen lassen, weil die Löcher in den Fischnetzen sich immer mehr verengen. Die Fischer in ihrem Wahlkreis klagen, dass sie ihrem Beruf aufgeben müssen, weil sie dann auf Rügen nicht mehr genug gefischt werden können, und die Quoten nicht ausreichen, weil man mit den Fischer eigentlich gar nichts mehr verdienen würde. Dann überlegt sie, wie sie dem Kirchentag damals sagte, ob sie anders entschieden hätte, wenn sie drei der Fischer aus ihrem Wahlkreis – „tolle Menschen, prima Kerle“ – zu der Konferenz mitgenommen hätte? Dann wäre es ihr schwergefallen zu sagen: „Gut, damit wir die Umwelt nicht ruinieren, müßt ihr halt euren Beruf aufgeben. Nun seid ihr eben 50 Jahre alt, wir können uns euren Beruf nicht mehr leisten“. Sie will nur sagen, wie schwierig dieser Konflikt ist. Und: „Wenn ich überzeugt bin von einer Sache, ist das nicht schlimm“, dann hält sie das auch gegen die Fischer-Nachbarn durch.

Es sind insgesamt 13 Interventionen aus Ihrer Zeit als Vorsitzende der CDU oder auch als Kanzlerin. Es sind Texte zu Europa und der Welt, zu Gesellschaft und Gerechtigkeit. Zu Religion und Öffentlichkeit. Z.B eine ganz lange und ausführliche Rede zum hundertsten Geburtstag des Evangelischen Pressedienstes. Da kommt es zu einem der ganz seltenen privaten Einschübe. Es verwundere sie, dass der Eindruck entstehen konnte, Freude und Protestantismus passen nicht zusammen. Jedenfalls sei ihr das nie in den Sinn gekommen als evangelische Pastorentochter, auch – und jetzt kommt diese seltene Stelle – wenn  man von ihr von Zeit zu Zeit Bilder sähe, „auf denen ich etwas heruntergezogene Mundwinkel habe, was irrtümlicherweise mit Freudlosigkeit verwechselt wird. Ich glaube, es handelt sich dabei eher um eine erbliche Veranlagung, die bestimmt auch 100 Jahre zurückreicht“. Damit ist sie dann wieder beim angesagten Thema: Hundert Jahre evangelischer Pressedienst.

Und dann der Gärtner, der für das Kind und die junge Angela Merkel und Ihr Naturbewußtsein von größerer Bedeutung war als akademische Lehrer. Dieser Mann hatte viel Zeit für sie. So konnte man von ihm allerhand erfahren. Wie man Blumenpflanzen pikiert oder wann die Alpenveilchen gut sind. „Es war eine unglaublich warme, vertrauensvolle gute Atmosphäre, in der ich schmutzige Möhren essen durfte, in der ich faul sein durfte. Dieser Mann hat bei mir das Gefühl der Verbundenheit zur Erde, zum Boden, zur Natur geweckt. Ich spüre heute selber, wie wichtig Zeit ist“.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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