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Atomkraft – nein danke!

Die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung. Ein mutiges und Mut-machendes Buch. Sternsteins dramatische Geschichte der Anti-Atomkraftbewegung. Von Rupert Neudeck

Das ist ein Mut-machendes Buch. Es kann uns wiederaufrichten und bestärken, wenn wir einmal am Boden liegen als Organisation oder Bürgerinitiative oder Betriebsgruppe wenn uns mit der reinen Gandhi Methode etwa s nicht gelingt. Wolfgang Sternstein hat ein dramatisches Buch geschrieben, das uns den Mut gibt, weiter auf Gewaltfreiheit Überparteilichkeit und demokratischer Organisationsstruktur  zu bestehen.

An mehreren Stellen des Buches ist der Autor eben nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Teilnehmer, Täter, Akteur, der sich den Unbilden der Witterung  aussetzt damals im Kampf um Whyl. Da muss sich der Autor und Wissenschaftler auch mal in die doppelten Schlafsäcke legen, um die Kälte bei der ersten großen geschichtsträchtigen Bürgerinitiative zu ertragen. Er schildert den 24. Februar 1975, den Tag nach der Wiederbesetzung des Bauplatzes bei Whyl. Der Autor war nach Weisweil gekommen, hatte die Nacht bei einer Pfarrersfamilie verbracht und war dann zum Bauplatz gezogen.

„Wir saßen zitternd um ein kleines Feuer, ob vor Kälte aus Angst oder beidem, muss offen bleiben. Gegen zwei Uhr kroch ich schließlich übermüdet und schlotternd vor Kälte in den doppelten Schlafsack. Es wurde ein kurzer Schlaf. Gegen fünf Uhr weckte mich der Ruf: Sie kommen. Aus den Dörfern der Umgebung hörte man Kirchenglocken und Alarmsirenen. Aber es war nur ein falscher Alarm die Bereitschaftspolizei hatte in Lahr eine beträchtliche Streitmacht von sechs Hundertschaften zwei Teleskopwagen für Flutlicht und vier Wasserwerfer zusammengezogen.“

Das Buch legt ein Konzept vor, an das sich jeder halten kann, der Gewaltlosigkeit in einer Bürgerbewegung will. Es ist geschrieben mit dem Atem dessen, der dabei gewesen ist, der genau beobachtet hat, aber aus der Rolle des Beobachters auch immer wieder herausgegangen ist. Gewaltlosigkeit kann und muss manchmal zusammengehen mit illegalen Aktionen, aber auch bei denen muss die Gewaltlosigkeit höchster Grundsatz sein. Nicht umsonst erinnert sich Sternstein immer wieder zur eigenen Legitimation an die Zeit und die Vorbildperson Gandhi. Der Autor ist auch in der Lage, etablierten Politiker zuzugestehen, dass sie lernen können.

So legt Sternstein Wert darauf, dem späteren Ministerpräsidenten Lothar Späth „ein Ruhmesblatt“  zuzuschreiben. Die berühmte und wegweisende Offenburger Vereinbarung war das Ergebnis eines Einlenkens der Landesregierung, und daran war der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU im Stuttgarter Landtag Späth ganz maßgeblich beteiligt. Im Abschnitt 7 der Vereinbarung hieß es: „Die Bürgerinitiativen bekennen sich zur Gewaltlosigkeit. Sie lehnen gesetzwidrige Handlungen und ihre Unterstützung gegen Landesregierung und KWS ab.“

Der Gewaltverzicht der Landesregierung erwies sich als Chance für die Bürgerinitiativen. Sternstein beschreibt herrliche Einzelkämpfer, so den Kommunisten Konstantin Ehret, den Hartmut Gründler, den Hans Hermann Wüstenhagen. Er beschreibt die ganz andere Ausgangslage der Bürgerinitiativen in Whyl, wo sie von Winzern und eher konservativen und gläubigen Bauern im Kern gebildet wurden. Beim Aufstand gegen Atomkraftwerke im Norden der Republik gab es eine ganz andere Ausgangslage, die der Autor auch ungeschminkt beschreibt.

Mehrere verschiedene, auf Moskau oder Mao Tse Tung fixierte K-Gruppen waren dabei, den gewaltlosen Kampf der Bürgerinitiativen für ihre Zwecke dann auch militant zu benutzen, mit z.T. irregeführter Strategie. Einen Bauplatz zu besetzen, für den ein dreijähriges Baustopp Moratorium gerichtlich verkündet war, ist unsinnig.  Ungeschönt gibt er auch den Bericht über das Scheitern der Bewegung in Brokdorf.

Ganz stark wird das Buch, wenn der Autor noch mal auf die irrwitzigen Entsorgungsprobleme in einem eigenen Kapitel hinweist und betont, dass wir uns mit dem Entsorgungsproblem Lasten für künftige Generationen aufgebürdet haben.  Was werden künftige Generationen wohl über uns denken, fragt der Autor, „denen wir um des kurzfristigen Vorteils der Stromproduktion für etwa 100 Jahre willen die Erblast von 100.000 Tonnen radioaktiver Abfälle hinterlassen, die sie für mindestens 100.000 Jahre vor der Biosphäre abschirmen müssen?“ Sternstein ist wie in dem ganzen Buch auch hierbei klar: „Sie werden uns verfluchen“.

Er beschreibt den Niedergang des BBU, der durch die Abwanderung einiger der besten Mitkämpfer zu den Grünen sich ergab.  Petra Kelly und Roland Vogt hauten ab, betonten aber, dass die außerparlamentarische Arbeit weiterhin das Herz  ihrer Tätigkeiten sein sollte. So war es dann aber nicht, der Autor hat auch hierbei seine Fähigkeit nicht beiseite gelassen,  schonungslos analytisch zu sein. Nach 35 Jahren Beobachtung des Disputs BBU und Partei der Grünen muss er feststellen, dass man sich nicht einigen konnte.

Er hätte sich damals – 1977 – nicht vorstellen können, wie gründlich und rasch der Anpassungsprozess der Grünen an eine normale staatssubventionierte Partei geschehen würde. „Wofür die SPD ein Jahrhundert immerhin ein knappes Jahrhundert geraucht hat, schafften die Grünen in weniger als zwei Jahrzehnten“. Von den vier Säulen, die die Partei getragen hatte – Ökologie, Gewaltfreiheit, soziale Gerechtigkeit, Basisdemokratie – sei wenig übriggeblieben. Ausgerechnet die Grünen führten Deutschland n der Koalition mit der SPD nach 54 Jahren wieder in einen Krieg.

Ein harsches Urteil, aber es wird legitimiert durch einen Autor, der sich nie geschont hat und der den gewaltfreien Weg Gandhis mit allen Beschwernissen konsequent gegangen ist, als Wissenschaftler wie als Aktivist. Er ist auch in den großen Politik-Fragen radikal geblieben, das macht den Charme des Buches aus, mit dem sich jeder auseinandersetzen muss, der wegen der mangelnde Wahlbeteiligung und sonstigen durch fun and business begründeten Bürgerpassivität seine Sorgen hat. Die Bundesrepublik, sagt Sternstein sei ihrer Verfassung gemäß eine Demokratie, aber sie sei jetzt auf dem Wege zu einer Lobbykratie. Gemeinwohlorientierte Bürgerinitiativen wollen diesem Trend entgegenarbeiten, sie seien daher, im Gegensatz zum „Verfassungsschutz“, im besten Sinn d es Wortes die Hüter und Schützer der Verfassung. Auch in Bezug auf den siegreichen Kapitalismus hat er seine klare Einschätzung.

Nach einem Resümee des Berichts des Club of Rome 1972 über die „Grenzen des Wachstums“ schriebt der Autor: Das kapitalistische System kenne nur Expansion oder Krise, Sieg oder Untergang. Es ähnelt darin den Weltimperien, die alle untergegangen sind Die Zukunft des Kapitalismus sei demzufolge düster. „Er ist dem Untergang geweiht und wird seinem Gegenkonzept Sowjetkommunismus früher oder später nachfolgen“.

Immer wieder wird der freie und weite Horizont deutlich, den der Autor besitzt, der immer auch selbstkritisch sein muss. So verweist er auf Theodor Heuss bei einer kritischen Wertung des „Allheilmittels Plebiszit“ für eine lebendige Demokratie. Sie seien, so schreibt er zustimmend, auch eine „Prämie auf Demagogie“. Und der Autor zitiert auch zustimmend den großen Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi: „Die beste Verfassung taugt nichts, wenn die Menschen nichts taugen!“

Ein bewegendes freimütiges Buch, dass gerade jungen Menschen die Augen öffnen kann, welche Möglichkeiten eine freie demokratische Gesellschaft demjenigen eröffnet, der sich für das Gemeinwohl  in Gegenwart und Zukunft einsetzen will.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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