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C.H. Beck Verlag | Aung San Suu Kyi

© C.H. Beck Verlag | Aung San Suu Kyi

Aung San Suu Kyi: Ein Leben für die Freiheit

Eine politische Heilige – Aung San Suu Kyi, eine Biographie. Von Rupert Neudeck

 

Das ist eine Biographie dieses neben Nelson Mandela wahrscheinlich erstaunlichsten Menschen unserer Lebenszeit. Es waren nicht 27 Jahre auf der Gefängnisinsel Robben Island, aber sie war seit 1989 fünfzehn Jahre unter Hausarrest und konnte erst sehr spät aufatmen.

Die Sturheit, mit der die eingesperrte Aung Suu Kyi sich ihren Weg zum Erfolg ihrer politischen Arbeit bahnte, hatte für den Leser des Buches von Andreas Lorenz auch Parallelen zur Südafrika-Apartheid Zeit. Denn auch hier ging es um Sanktionen als einziges Mittel einer gewaltfreien Bewegung, die versucht, politisch Erfolge durchzusetzen. Das einzige Mittel gegenüber einem diktatorisch halsstarrigen Regime sind Wirtschaftssanktionen auch dann, wenn sie Arbeitsplätze in der Bevölkerung kosten.

Was man zu der Freiheitsheldin wissen muss, beschreibt der Autor in den ersten Kapiteln. Sie ist die Tochter eines berühmten Vaters und einer strengen Mutter. Sie wird 1945 in turbulenten Zeiten geboren. Burma ist nach dem Weltkrieg immer noch britische Kronkolonie. Alle in Europa kennen den River Kwai Marsch und den gleichnamigen Film mit dem berühmten Schauspieler. Aung San wird der Unabhängigkeitsheld, der sich besonders in der Zeit der Siegeszüge der Japaner in Südostasien bewährt. Sie lebt in Oxford, sie lernt Michael Aris kennen, sie heiraten, bekommen zwei Kinder. Sie will nach Burma, zunächst nur um es zu besuchen. Aber es kommt anders. Die revolutionär-rebellische Bewegung gegen die Militärautokratie braucht einen Anführer. Das ist die Stunde der Dame aus Oxford. Damals war bei Aung San Suu Kyi der Geschichtstutor an der Universität Rangun, Nyo Ohn Myint zu Gast. Er hatte heimlich eine Lehrergewerkschaft gegründet, und sollte jetzt mit Aung San Suu Kyi Kontakt aufnehmen. Man war in diesen Kreisen der Überzeugung, dass sie als Tochter des Nationalhelden die richtige Anführerin für die Bewegung sein könnte. Doch sie zögerte anfangs heftig. Doch dann kam sie zurück zu Nyo Ohn Myint und sagte: “Let’s do it“.Damit hatte sie ganz eindeutig und klar die Grenze zur Politik überschritten.

Das Buch nennt das Datum des 24. August 1988, als sie ins Rangoon Hospital fuhr, um der Toten zu gedenken, die hier 14 Tage vorher zur Behandlung eingeliefert wurden. Sie hielt dabei ihre erste Rede: Burma sollte das politische System bekommen, das die Menschen in Burma wollten. Sie rief gleichzeitig dazu auf, nur friedlich zu demonstrieren. Dann gab es noch die Rede vor der Shwegadon-Pagode, dazu kamen jetzt Tausende Menschen, die sich auf den Weg zu dem „golden glitzernden Wahrzeichen der Stadt“ machten. Viele waren auch gekommen, um die Tochter des Unabhängigkeitshelden zu besichtigen. Michael Aris, ihr Mann und die beiden Kinder Alexander und Kim begleiteten Aung Suu Kyi. Sie wurde radikal in dem Sinne, dass sie einmal getroffene Entschlüsse nicht mehr änderte.

Sie erklärte der großen Menge, die zur Shwegadon-Pagode gekommen war, dass Burma ein demokratisches Mehrparteiensystem braucht. Sie sagte: Es sei wahr, dass sie im Ausland gelebt habe und mit einem Ausländer verheiratet sei. Und, wie der heutige burmesische Journalist Aung Zaw erklärte: „Sie verließ die Shwegadon Pagode als Führerin der neu belebten Oppositionsbewegung“. Sie hielt Traditionen immer hoch. So bat sie in der Zeit der höchsten Konfrontation die Massen, ihre Sympathien für die Armee nicht zu verlieren. Die große Führerin wollte immer einige Hindernisse nicht richtig wahrnehmen, weshalb wir jetzt eine Ikone vor uns haben, die aber immer noch Politik macht. Dann begann ein wirklich heißer Kampf um die demokratischen Rechte. Es gab einen Wahlkampf. Überall, wohin sie bei Wahlauftritten kam, gelang es ihr, das Publikum für sich und ihre Sache zu gewinnen. Aber es wurden die ersten Mitglieder ihrer Partei NDL verhaftet. Sie war immer schon schmal, wog gerade mal 60 Kilo, jetzt verlor sie an Gewicht. Aber dann kam es zur Wahl, und die von ihr gegründete „National League for Democracy“ (NLD)  hatte einen überwältigenden Sieg errungen. Aber die Militärjunta dachte gar nicht daran, das Ergebnis der Volkswahl auch nur im Schein zu akzeptieren. Es kam zum Hausarrest der Führerin für sechs Jahre. Sie lebte in dieser Zeit bis 1996 wie in einem Käfig. Sie hatte 392 Sitze von 492 realen gewonnen bei dieser Wahl und das mit 60 Prozent der Stimmen. Sie blieb stur im Land. Es gab eine Menge an Versuchungen für sie, bis hin zum tragischen Tod Ihres Mannes in London, der sie vorher im Krankenhaus noch gern gesehen hätte. Aber sie wusste, das Regime würde sie nie wieder ins Land hineinlassen, also ließ sie den eigenen Mann alleine sterben.

1991 bekam sie den Friedensnobelpreis, um ihr noch mehr Reputation und Aufmerksamkeit zu- zuwenden. Sie dufte natürlich nicht zur Preisverleihung nach Oslo fahren. Ihr eigener 18jähriger Sohn durfte die Dankesrede der Preisträgerin  vorlesen, aber mehr durfte er auch nicht tun.

Das Buch beginnt mit einer langen Einführung in burmesische Zeitgeschichte, die ja sehr stark durch den Vater der am 19. Juni 1945 geborenen Aung San Kyi geprägt wurde. Der Vater ist nach einer Periode der Lehr- und Wanderzeit dabei, mit den Japanern oder den Chinesen Kontakt aufzunehmen. Das einzige Ziel die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Dafür geht er sogar mit dem Teufel in einen Pakt. Er wird bis nach Tokio gebracht, wo er mit den für Burma gefährlichen Japanern anbandelt, die ebenso Schlimmes planen wie die Briten. Er ist kein Freund der Gewaltlosigkeit und der Ahimsa wie Mahatma Gandhi, steht eher auf der Seite des anderen Inders, Subhas Chandra Bose, der sich auf der Suche nach Waffen sogar mit den Nazis und den Faschisten verbündet. Aung San bewundert die Japaner ob Ihrer harten Disziplin. Er kam im März 1943 zum zweiten Mal nach Tokio, wo er sogar einen hohen Orden vom Kaiser verliehen bekam. Die Japaner bedrängten ihn, für ihre Sache in  Burma loszuschlagen. Aber er hielt sie hin. Er meinte, sie müssten einmal die Ausbildung ihrer Soldaten verbessern und auch das eigene Kommando übernehmen und nicht unter den Japanern schießen.

Er erklärte dann später: „Ich ging nach Japan, um meine Leute zu retten, die wie Ochsen unter den Briten zu kämpfen hatten. Aber nun werden wir wie Hunde behandelt.  Wir sind weit entfernt von der Hoffnung, das Stadium des Menschen zu erreichen, und um auch nur das Ochsenstadium wiederzuerlangen, müssen wir mehr kämpfen.“ Er konnte sogar die Karen gewinnen, sich dem Widerstand anzuschließen. Auf einem Geheimtreffen in Rangun entschuldigte er sich für die Morde an den Karen, ausgeführt von seiner Armee. Die Unterhändler der Karen fanden ihn gut, er gestand ihnen ein eigenes Bataillon zu. Er gründete im August 1944 die „Antifaschistische Freiheitsliga des Volkes“. Eine Partei, die vor der NLD eine ganz große Rolle spielen sollte, weil sie alle zusammenbrachte: Buddhisten, Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschaften, Frauen- und Jugendverbände.

Das Buch ist sehr liebevoll gestaltet. Es enthält wunderbare und kaum bekannte Fotos von der Familie, von den beiden Söhnen Alexander und Kim, den sie übrigens nach dem Lieblingsroman „Kim“ des britischen Schriftstellers Rudyard Kipling so genannt hat. Sie mochte nicht das Wort von der „Ikone“, das ja immer so schnell verwandt wird. Die Ikone ist etwas Festes, aus Stein gemeißelt, sie ist aber lebendig. Sue wurde für Asien das, was Nelson Mandela für Afrika war: die Verheißung eines Lebens in Würde und ohne Privilegien und mit Politikern, die für das Wohl des großen gemeinen Volkes arbeiten. Autor Andreas Lorenz hat sie mehrere Male gesehen, auch interviewt, berichtet aber über die Zurückhaltung und die ständige Weigerung, sich einem Persönlichkeitskult zu unterziehen. Das macht sie noch größer, als sie es schon ist. Das Buch zitiert aus der Zeit des Hausarrestes einen Witz, der in Rangun zirkulierte, als die Militärs eine unumkehrbare Militärherrschaft eingerichtet hatten. Sanda Win, die Tochter des ehemaligen Militärdiktators, die nie ohne Pistole ausging, habe Aung San Suu Kyi zu einem Duell herausgefordert.

Die Lady, wie sie schon genannt wurde, habe abgelehnt und gesagt: „Lass uns mal unbewaffnet gemeinsam eine Straße hinuntergehen und dann sehen, wer von uns am Ende der Straße noch am Leben ist“. Das Buch lebt von den wenigen Begegnungen, die der Autor seit 1996 mit ihr hatte. Und er berichtet von der letzten Begegnung, die wieder sehr stark die etwas zurückhaltende Kultur der Asiaten zeigt. Im Juni 2014 habe er sie das letzte Mal im Parlament gesehen. Da wollte er sie spontan fotografieren. Aber ein Beamter habe sich dazwischen gestellt und gesagt: No Photos. Aung Suu Kyi habe das beobachtet und habe den Kopf unmerklich geschüttelt und gelächelt. Sie hat ihre Privatsphäre so gut abgeschirmt, wie das später nur Angela Merkel gelungen ist. Deshalb lebt das Buch von unglaublich fleißigen Zeitzeugen und Büchern, die der Autor mitbenutzt hat.

2015 wird Saung Suu Kyi 70 Jahre alt. Sie hat nicht mehr allzu viel Zeit. Aber sie kann sich trösten mit dem zitierten Nelson Mandela, der schon 75 Jahre alt war, als er am 10. Mai 1994 erster schwarzer Präsident Südafrikas wurde. Der Autor fragt, geradezu liebevoll und eben nicht hämisch, ob man ihr das Präsidentenamt wünschen soll? Bei den fast unlösbaren Problemen, vor denen das Land steht? Sie spricht von einer verlorenen Generation. Damit meint sie alle Burmesen unter 55 Jahren. „Wir müssen noch einmal ganz von vorne anfangen“. Das Schönste, was sie den Burmesen gegeben hat, hat sie der ganzen Welt geschenkt. Das Idealbild einer Politikerin, die Hoffnung geben kann und die größtes Vertrauen genießt. Das Wort Popularität ist dafür zu schwach, wie man nach der Lektüre dieses guten Buches weiß.  

Andreas Lorenz „Aung San Suu Kyi: Ein Leben für die Freiheit“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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