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Bio? Die Wahrheit über unser Essen

Bio-Taliban Peter Laufer auf der Suche nach Zertifizierungsgewissheiten für BIO. Von Rupert Neudeck

Das Buch beginnt mit Walnüssen aus Kasachstan und Bohnen aus Bolivien, die der Autor plötzlich mit dem Bio-Siegel vorfindet. Die beiden Portionen sind der running gag durch ein Buch, das einem mit viel Lust und Erkenntnisgewinn auf sehr lockere und einprägsame Weise Zugang zu einem neuen Feld der Ernährung verschafft, der zertifizierten Bio_Nahrung.

Das ist nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein köstlich und witzig geschriebenes Buch des Bio-Taliban und Professors Peter Laufer. Es macht bekannt mit den Versuchen, unser Essen, unsere Ernährung wieder so hinzubekommen, dass wir uns darüber nicht schädigen und Krankheiten einfangen. Der US-amerikanische Professor Peter Laufer hat eine sehr engagierte Art, den Ursachen der allgemeinen Nahrungs-Verunsicherung nachzugehen. Das Buch und sein Autor zeichnen auch eine Art von Humor aus, die bei strenggläubigen Puristen des Bio-Ernährens selten ist.

Gesprächspartner an verschiedenen Orten werden sehr liebenswürdig vorgestellt bei Ihren professionellen und amateurhaften Versuchen, unsere Ernährung und unser Leben wieder der Natur anzupassen. Der Autor kommt auch von Rudolf Steiner her, den er als Österreicher einstuft. In einem zentralen Kapitel behandelt Laufer die „Großväter der Ökobewegung in Europa“ und kommt auf den Vorläufer, den Pädagogen, Philosophen und Gründer der Waldorfschulen Rudolf Steiner und seine Theorien über den Nutzen der Landwirtschaft ohne chemische Düngemittel, Pestizide und Herbizide – die damals (und heute) sogenannte biologisch-dynamische Landwirtschaft. Diese Form der chemie-unbelästigten Landwirtschaft  hat von ihrem Charme und ihrer Attraktion bis heute nicht nachgelassen.

Laufer spricht mit einer Aktivistin von Global 2000, Natalie Kirchbaumer, die Nachforschungen über die Gültigkeit der Herkunftsbezeichnungen für die Supermarktkette Billa und andere Lebensmittelimporteure  Österreichs mit großer Energie betreibt. Sie reist viel in exotische Länder, aber nicht in die noblen Ferienquartiere, sondern sie geht auf Äcker, in die Büros und die Verarbeitungsanlagen und überprüft dort nicht nur, ob die Bio-Zertifikate berechtigt sind, sondern überprüft auch die Arbeitsbedingungen der dort malochenden Landarbeiter.

Sie sprechen über Spanien und Italien. Letzteres Land wird immer wieder als Land der Bio-Katastrophe gehandelt. Gab es doch eine Schlagzeile über eine Razzia, bei der 100.000 Tonnen konventionelles Getreide gefunden wurden. Diese Tonnage wurde als Bio verkauft. Kirchbaumer sagt: Italien produziere viel an Bionahrungsmitteln, aber für den Export. Im Lande selbst wird nur wenig Bio gekauft. „Das Bewusstsein der Menschen ist für Bio nicht so geschärft, wenn sie es nur für den Export produzieren“. Was sie sich wünschen würde?

„Mir gefällt Steiners Vision einer autarken Landwirtschaft. Das wäre der perfekte Biobauernhof. Es gibt solche Höfe, aber sie sind selten“, kommentiert sie diese Utopie. Als pragmatischen Kompromiss erwartet sie wenigstens, dass die Lebensmittelproduzenten sich einfach an die EU-Vorschriften halten“. Als Faustregel gilt: Möglichst nur lokale Produkte kaufen. Nicht eine Tomate aus Kasachstan. „Wenn ich Paprika aus Israel sehe, beschließe ich einfach, dass ich heute keine Paprika esse. Tomaten esse ich nur während der Tomatensaison. In den anderen Monaten esse ich keine Tomaten, weil sie nach nichts schmecken. Ich liebe Tomaten, aber die meisten schmecken wirklich furchtbar“.

Er trifft immer wieder ganz entschiedene Befürworter einer gesunden Ernährung, die ihre Wut über gegensätzliche Beispiele nicht zügeln wollen. Der Autor trifft die Lehrerin Amy McKendrick, die den staatlich verordneten Gütesiegeln nicht mehr vertraut. Sie hat es bei ihrer eigenen Tochter erlebt. Im Alter von fünf Jahren wurde bei ihrer Tochter eine bipolare Störung sowie eine Angst und eine Zwangsstörung diagnostiziert. Darauf bekam sie starke antipsychotische Medikamente. Nach einem Monat traten viele Nebenwirkungen auf. Die Mutter suchte nach alternativen Behandlungen, um die Psychopharmaka absetzen zu können. Die Medikamenten wurden durch Vitamine ersetzt und diese durch eine „Ernährung ohne Konservierungsstoffe und Nahrungsmittelzusätze ergänzt. Nach zwei Jahren dieser neuen Lebensweise wurde die negativen Diagnosen aufgehoben.

Das alles nur, sagt McKendrick, weil wir im Garten unsere eigenen Hühner halten. Sie lebt in der Kleinstadt Tehachapi, wo es kein Bioladen gibt, in dem sie Bioprodukte kaufen können. Sie gehört deshalb einer Lebensmittelkooperative an, und bekommt einen Anteil der Waren einer LKW-Ladung, die einmal im Monat an die abgelegene Gemeinde geliefert werden. McKendrick hat Landwirtschaft studiert und weiß genau, was sich auf dem US-Markt abspielt. Früher haben sie bei den Frühstücksflocken von Kashi gewusst, was das für ein exzellentes Produkt ist. Dann wurde Kashi an Kellog verkauft. „Es geht letztendlich immer ums Geld. Ich kaufe nichts, von dem ich weiß, dass es mit Monsanto zu tun hat. Mir ist klar, dass es heute keinen Sinn hat, sich an die Regierung zu wenden, wenn man die Regeln verändern will“.

Der Autor teilt die Meinung von MKendrick, dass die USA in diesen Fragen der Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel rückständig sind. Sie sei, sagt die Aktivistin, fast so weit, Amerika zu verlassen und irgendwo hinzuziehen, „wo man tatsächlich etwas gegen die Dinge unternimmt, die unseren Planeten und die Menschen zerstören“.

Das Gesetz zur Kennzeichnung genveränderter Lebensmittel wurde 2012 in Kalifornien abgelehnt. 2013 kam es aber zu einer radikalen Veränderung im Marketing, die nicht gesetzlich geboten war. Damals verkündete Whole Foods, die Unternehmen werden alle genveränderten Lebensmittel im Programm bis zum Jahr 2018 auszeichnen. Das löste Proteste aus. Der Chef der Handelsorganisation Grocery Manufacturing Association, Louis Finkel, protestierte. Diese Kennzeichnung könnte Verbraucher zu dem Glauben verleiten, „diese Lebensmittel wären anders und stellten ein besonderes Risiko dar“.

Dieser Louis Finkel wusste um diese P.R. Geschichten, war er doch bei EXXON – Mobil verantwortlich gewesen für die Beziehungen zur Regierung. In der Food Villa trifft er eine große Schar von Kunden. Auch dort feiert das zweideutige Wort „natürlich“ Urständ. Al Baylacq erklärt wie ein Prediger: Bio wird dadurch bestimmt, dass es frei von Chemikalien und Insektiziden ist. „Ich fühle mich damit am wohlsten, sowohl privat, indem ich nur chemiefreie Lebensmittle esse, als auch geschäftlich“.

Das Buch hat unglaublich viele Erlebnisstrecken, auf dem Weg bis nach Bolivien, dem Land, aus dem die zertifizierten Bohnen kommen. Es sind Reportagen, die immer ganz locker geschrieben sind. Der Höhepunkt ist dann die Reise von La Paz bis nach Charagua, dem Ort, wo der Autor den Hersteller seiner Bohnen aus Bolivien findet. Damit ist der Bann des Versprechens gebrochen. Er trifft dort den Fürer der Guarani, Carayuri, der neben seiner Arbeit auf dem Bauernhof Lehrer an der Grundschule ist. Er hat für Peter Laufer eine Botschaft an die Amerikaner, die seine Bohnen essen: „Erzählen Sie ihnen vom schlechten Zustand unserer Häuser und unserer Straßen. Wir haben kein Trinkwasser und keine Elektrizität. Wir brauchen Grundlagen, um gut zu leben und um besser zu leben“.

Der Autor kündigt immer an, wenn er mal vom Faszinosum einer Landschaft oder einer gebauten Wildnis sein Journalistengewissen oder seine Journalistenidentität beiseite lässt. Auf dem Weg nach Charagua beginnt sein Fahrer müde zu werden. Er beginnt zu gähnen. Laufer bietet an zu fahren, das lehnt er aber ab. Er zieht die Plastiktüte mit Koka Blättern heraus. Laufer erlebt den Reiz der Wirkung dieser Droge. Ob das Bio-Koka sei, unterbricht der Autor während der Fahrt die Stille, „ganz Journalist“. Nein,  sagt der Fahrer, „aber es gebe Bio-Koka. Das Buch lebt von der Gewissheit, dass es für uns alle gut sein sollte, über die „Geschichte unserer Nahrungsmittel vom Feld bis auf den Teller Bescheid“ wissen zu sollen.

Das Problem mit dem Zertifizieren ist das uralte Problem: wer kontrolliert die Zertifizierer, wer wählt sie aus, wer bezahlt sie? Und wenn man weiß wer sie bezahlt, wer lässt sich von denen bestechen, denn sie sind ja keine Mönche oder Nonnen. In Italien erfährt er, dass manche Landwirte nicht aus Überzeugung Biobauern werden, sondern weil es Zuschüsse dafür gibt und das ein wachsender Markt sei. Vielleicht sei es dann nur ein gutes Geschäft. In dem Fall mag der Zertifizierungsprozess nicht so gut funktionieren, denn man bezahlt die Leute, die den Hof für die Zertifizierung überprüfen. Der Bauer, den der Autor wie viele andere spricht, ist misstrauisch, denn man bezahlt die Zertifizierer dafür, dass kontrolliert wird. Und es herrsche Wettbewerb zwischen den Zertifizierungsinstituten.

Man muss sehr viel wissen über die Nahrungsmittel, wo immer man lebt, und darf auch misstrauisch sein. Wenn er, sagt der Gesprächspartner in Italien, in ein Restaurant gehe, trinke er keinen Wein, weil dafür Sulfit verwendet wird, auch wenn Bio auf dem Etikett steht. Später schaut der Autor die Weinflasche an und sieht, dass er am Barrea See gekauft wurde. Und haargenau steht auf der Flasche das „contiene solfiti“(enthält Sulfit). Sie sagen, so der Bauer weiter, es sei Wein aus Bio-Weintrauben. Aber von den verwendeten Sulfiten bekomme er Kopfschmerzen. Also ist es mit dem Zertifizieren nicht so weit wie wir es dringlich in Gegenwart und Zukunft brauchen.

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Quelle

Rupert Neudeck 2015Grünhelme 2015

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