Bürgermacht – Eine Streitschrift für mehr Partizipation
Ein Buch, das Mut macht. Wer das Buch „Bürgermacht“ von Professor Roland Roth aufmerksam liest, kann eine Menge „Mut zu sozialen und politischen Experimenten“ (S. 36) schöpfen.
Es enthält viele positive Beispiele und ermutigende Formulierungen zu mehr und direkter Bürgerbeteiligung. Auf Theorie und Praxis der Partizipation geht der Autor auf etwa 300 Seiten (mit über 250 Literaturbelegen) ausführlich ein. Seine Erfolgsgeschichten „zwischen Brandenburg und Brasilien“ wirken ansteckend und motivierend.
Das Buch will einen Beitrag zur „Demokratisierung liberaler Demokratien“ (S. 10) liefern. Einführend werden die Eckpunkte einer Reform in Richtung „Bürgerdemokratie“ (S. 10) skizziert. In Kapitel I wird das „Bürgerschaftliche Unbehagen“ angesprochen, in Kapitel II geht es um Alternativen und in Kapitel III gibt der Autor Orientierungshilfen für engagierte Bürgerinnen und Bürger. In einem abschließenden Plädoyer erläutert der Autor seine These: Die Zeit ist reif für mehr Demokratie!
Prof. Roth bringt viele neue Begriffe in die Diskussion (z.B. „Bewegungsgesellschaft“, S. 96) und erinnert an wichtige Forderungen, die im Zusammenhang mit der „Planung von unten“ relevant sind. Bekannte Beispiele aus den 70er-Jahren, wie der „Wiedenfelser Entwurf“ und die „Anwaltsplanung“, erscheinen nach der Lektüre des Buches in einem modernen Licht und man gewinnt den Eindruck, dass wir vor einer Renaissance der Bürgerbeteiligung stehen – und dies hoffentlich nicht nur verbal!
Ganz besonders interessant ist das Buch ab S. 141, wo auf die „Bürgerkommunen“ (S. 143) und die „Bürgergutachten“ (S. 145) eingegangen wird. Auch der „Bürgerhaushalt“ (S. 179ff) und die „Bürgerschulen“ (sog. „Escola Cidada“, S. 185) in der brasilianischen Großstadt Porto Alegre machen neugierig, wie Bürgerengagement auf lokaler Ebene alternativ funktionieren kann. Referierte Beispiele von „Bürgerhaushalten in Deutschland“ (S. 192ff) zeigen, wie man auch bei uns zu einer „Vitalisierung der Demokratie“ (S. 213 und S. 215) und zu sogenannten „Demokratie-Audits“ (S. 235) gelangen kann.
Das III. Kapitel („Demokratie lernen“) wird ab S. 249, mit der sehr schön gelungen Gegenübersetzung des Demokratieverständnisses von Hannah Arendt und Max Weber begonnen und mit aktuellen Beispielen zur „Jugendpartizipation“ (S. 291) ergänzt. Leider geht der Autor auf die Kehrseite des „Lernens im Engagement“ (wie er es wissenschaftlich nennt, S. 295) nicht weiter ein, so dass viele negative Dimensionen und Blockaden der „gesteuerten Demokratie“ (S. 303) ausgespart bleiben. Viele Jugendliche, die sich erfolglos an Fachplanungs- und Bauleitplanungs-Verfahren beteiligt haben, verlieren schnell die Lust, sich weiter zu engagieren.
Diese Kommunikationserfahrungen mit der Behörde bzw. der Kommune wirken meist langfristig negativ und führen zu „Ohnmachts-Bürgern“. Diese Bürger ziehen sich häufig ins Private zurück und wollen nichts mehr mit Politik und Verwaltung zu tun haben. Wie man auf diese „schlafende Bürgermacht“ einwirken und sie mobilisieren kann, ist nach wie vor eine offene Frage.
Nach der Lektüre des Buches weiß man, dass es „ohne Druck von unten“ (S. 306) zu keiner wirksamen Bürgermacht kommen wird. Insofern macht das Buch Mut, sich an vielen Orten politisch und kritisch einzubringen und sich gemeinwohlorientiert zu engagieren.
Quelle
Edmund A. Spindler 2011