Deckname Adler – Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste
Ein exemplarischer Fall von Geheimdienstversagen. Zu der Nach-Kriegs-Biographie des Schlächters von Lyon, Klaus Barbie. Von Rupert Neudeck
Das Buch schilderte einen Skandal, den man lange als Skandal bei der Lektüre mit sich herumträgt. Der Schlächter von Lyon, der hardcore Nationalsozialist Klaus Barbie war jahrelang in Diensten des US-amerikanischen Geheimdienstes. Ausgerechnet der Mann, der in dem besetzten Frankreich und dann noch in Lyon den designierten Chef der französischen Widerstandsfront, Jean Moulin, zu Tode foltern und der die 41 jüdischen Waisenkinder des Waisenhauses von Yzeu bis nach Auschwitz brachte, der bei Kriegsende nicht die geringste Umkehr-Fähigkeit und Bereitschaft zeigte, wurde in den „heißen Krieg der Nachrichtendienste“ eingeordnet und stand auf der payroll einiger westlicher Geheimdienste. Der Kalte Krieg hatte ja schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begonnen und er begann als der „Heiße Krieg der Nachrichtendienste“.
Trotz Barbies Biographie, die natürlich in den damaligen Netzwerken prominent gespeichert war, hatte der Führungsoffizier und CIC Agent John Demmer das Ziel, den deutschen Gestapo- und SD-Offizier zu eigenen Zwecken zu verwenden. Am 20. März 1947 beantragte er daher beim CIC-Hauptquartier in Stuttgart die Erlaubnis, Barbie als eigenen Informanten auf einen mutmaßlichen sowjetischen Spionagering in Schwäbisch Gmünd anzusetzen. Der Vorschlag Demmers wurde von seinem Vorgesetzten in Stuttgart abgelehnt. Er verfügte, Barbie solle so schnell wie möglich festgenommen werden. Aber Barbie war verschwunden. Er hatte seinen alten Kriegskameraden, Kurt Merk, wiedergetroffen, der schon in München beim CIC arbeitete. Als im Jahre 2006 in Folge des Nazi War Crimes Disclosure die letzten Akten über Barbie bekannt werden, findet sich ein Dokument, dass der SS-Hauptsturmbannführer Barbie das CIC schon 1946 mit Informationen versorgte, obwohl er damals noch nicht offiziell als Quelle gezeichnet war.
Das Buch beschreibt Schritt für Schritt diese unglaubliche Karriere, im ersten Teil behandelt der Autor Hammerschmidt den Schlächter von Lyon. Seine Kindheit ist von der Reitpeitsche gekennzeichnet, immer dann, wenn er etwas falsch machte, musste er heftig dafür büßen. Der Weg in die Auszeichnung des Sicherheitsdienstes und in die Folterkammern von Lyon und Dijon waren damit vorgezeichnet. Der zweite Teil beschreibt die Verpflichtungen Barbies durch den US-Geheimdienst bis 1951, behandelt auch die Verpflichtungen durch den deutschen Bundesnachrichtendienst.
Im Dritten Teil wird es dann noch dramatischer; Klaus Barbie wird als Klaus Altmann in Bolivien (1951 bis 1983) ein wertvoller Nachrichtenjäger im Dienste der westlichen Mächte eingeschlossen des deutschen Nachrichtendienstes. Der Autor beschreibt auf Grund der exzellenten Aktenlage die Ermittlungsbemühungen deutscher Staatsanwaltschaften, seine Tätigkeiten unter dem Decknamen ADLER Mai 1966 bis Dezember 1968. Dann die Bemühungen der „Klarsfeld Bande“, wie es heißt zu seiner Enttarnung in Bolivien. Der vierte Teil widmet sich dem Prozess gegen Klaus Barbie nach dessen Ausweisung nach Frankreich 1983.
Das einzige Thema, das das Buch nicht aufgreift, was der Leser sich aber umso fragt: Brauchen wir neben den wirklichen Diensten der freien Gesellschaft eigentlich diese sog. Geheimdienste, diese Sicherheitsdienste verschiedener Couleur, die alle in irgendeiner Weise darauf aus sind, die Werteordnung zu verletzen. Die das immer tun mit dem Hinweis auf höhere Werte. In Deutschland haben die Verfassungsschutz- und Geheimdienste bis 2013 die größte Staatskrise ausgelöst, die man sich vorstellen konnte. Dennoch sind diese total beschädigten und im Innersten unzuverlässigen Dienste nicht abgeschafft worden. Auch dieses Buch enthält ein nicht ausdrückliches Plädoyer für die Abschaffung der Geheimdienste.
Barbie lebte immer auch unter der letzten Drohung, er könnte nach Frankreich ausgeliefert werden. Deshalb war er so sauer, dass sein eigener Sohn am 6. April 1968 in Bolivien eine Französin heiratete, weil dieser Fall natürlich beim französischen Konsulat aktenkundig wurde. Barbie hatte wie andere Nazi-größen in Lateinamerika, wie Eichmann, wie Hans Rudel, wie Mengele, in den lateinamerikanischen Diktaturen eine gewisse Protektion. Er noch mehr, weil er dem Diktator General Banzer seinen eigenen Geheimdienst aufbaute. Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren gegen Barbie am 22. Juni 1971 eingestellt. Daraufhin trat Beate Klarsfeld in Aktion. Man wusste, dass sich Barbie in Bolivien unter einem anderen Namen aufhielt: Altmann. Noch 1973 war er so frech, dass er sich in einem Brief an seinen Freund Hans Gwinner wandte: Die „Franzmänner“ geben nicht auf, schrieb er. So wie sie auch nicht glauben konnten, dass „der Gefreite Adolf die ‚Grande Nation‘ in sechs Wochen derart aufs Haupt schlug, dass sie sich von diesem Schrecken nicht erholt haben. Sie sollten doch nun mich und ihren Nationalhelden in Ruhe lassen“.
Beate Klarsfeld kam einmal nach Peru-Lima geflogen, als sich Barbie nach Peru abgesetzt hatte, wurde aber dann des Landes verwiesen. Es gab das Auslieferungsgesuch Frankreichs, Pro forma wurde Barbie verhaftet und kam in ein Luxusgefängnis. Es war gestattet, innerhalb der verschiedenen Gefängnishöfe sich zu bewegen, Sport zu treiben. Klarsfeld flog nach Lima am 6. Februar 1973, aber wurde nach drei Tagen festgenommen und des Landes verwiesen. Zehn Tage später flog sie erneut nach Lateinamerika und demonstrierte in la Paz gegen die amerikanische Besatzungsmacht in Deutschland, die eine Auslieferung Barbies im Jahre 1950 verweigert hatte.
Alles in diesem unglaublich reichen und voller Detail angefüllten Buch ist ein nicht ausdrückliches Plädoyer, zugunsten von funktionierenden Staaten die Nachrichten und Geheimdienste aufzugeben. Sie erscheinen dem Leser wie ein Krebsübel, das sich in diesem Fall auch noch spektakulär entwickelt. Denn der Gestaposchlächter von Lyon ist nicht nur derjenige, der vom CIA bezahlt und angeworben wurde bis 1951, sondern der auch noch in Bolivien geradezu ein Instrument der Diktatoren wurde, der den Geheimdienst und andere Sicherheitsdienste dort aufbaute.
Der Autor zitiert aus einem Brief an seinen Freund Gwinner Einsichten, die auch von deutscher offizieller Entwicklungshilfe gar nicht weit entfernt sind: „Demokratie: Ja, ein schönes Wort, wenn du satt bist und einen dick gefüllten Geldbeutel hast. Das hat eben das Volk in Südamerika und in der sog. Dritten Welt nicht. Dann geht man zum reichen Onkel nach Amerika, eben zum ‚fionfo monetario‘ und lejht es sich“. Zurückgeben sei schwer und so entstehen die sozialen Unruhen.
Barbie war fast eine rechte Hand von General Banzer. Er baute mit den Geheimdienst auf, der parallel zum antikommunistischen Kreuzzug des Militärs gegen die Opposition sich auf die Repression im Innern konzentrierte. Geheimdienste in Diktaturen – so nah kommt der Autor an eine Erkenntnis, die er dann doch nicht ziehen möchte – sind in einem Dilemma. „Sie müssen den Untergrund zerschlagen, um ihre Effektivität zu beweisen, und sie müssen die andauernde Drohung durch eben diesen Untergrund glaubhaft darstellen, um sich nicht selbst überflüssig zu machen.“
In den Aufgabenbereich der Geheimdienste kamen auch immer stärker die Repressionen gegen die politische Linke, die Guerilleros, die Studenten, die Lehrer und katholische Geistliche. Barbie, so schreibt der Autor, wurde durch sein NS-Repressionswissen zu einer Komponente der Militärstrategien und geheimdienstlichen Repressionsmethoden der Banzer-Diktatur in Bolivien. Er wurde aber auch zu einer innenpolitischen Gefahr. Denn das Treiben der Nazi-Mafia in Lateinamerika blieb ein Thema der Weltpresse. Es gab ja neben Barbie in Bolivien den Sassen in Ecuador, den Rauff in Chile, den Rudel in Paraguay, den Schwend in Peru. Die Lage begann auch weltpolitisch sich zu wandeln, nachdem der neue US-Präsident 1976 Jimmy Carter wurde, der auf eine ganz neue Menschenrechtspolitik sich ausrichtete. Es wurde damals die ODESSA-Protokoll gefunden. Dieses gibt an, dass die ODESSA (Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen) auf die Entführung Eíchmanns mit einem weltweiten Treffen von mehr als einhundert Teilnehmern reagiert habe, bei dem dem Staat Israel der Krieg erklärt und den israelischen Terrorkommandos die doppelte Blutrache versichert wurde.
Der in Quito/Ecuador residierende Alphons Sassen erklärte schon 1984, dass es eine solche Geheimorganisation nicht gebe, sie sei ein Konstrukt, es habe ein Netzwerk gegeben, das in Lateinamerika operierte und auf das in den 60er Jahren auch der Bundesnachrichtendienst zurückgriff, das aber nichts mit dem Odessa Protokoll zu tun hatte. Barbie war nicht müde, seine Strategie in Bolivien populär zu machen, in dem er sagte, „er habe, wie die bolivianischen Streitkräfte die Guerilla Che Guevaras besiegt hatten, damals ein Land vor dem Kommunismus gerettet“.