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O.W. Barth Verlag

© O.W. Barth Verlag

Der Dalai Lama und seine Vision für die Menschheit

Die Macht des Guten: Geld und Macht machen nicht glücklich. Zu einer neuen Biographie des Dalai Lama. Von Rupert Neudeck

Die Biographie des Dalai Lama, geistliches Oberhaupt der Buddhisten, von einem amerikanischen Wissenschaftler namens Daniel Goleman ist eigentlich die unendliche Variation des immer gleichen aber attraktiven Gedankens: „Es kommt nicht darauf an, was man glaubt; sondern auf das, was man tut!“ Und wenn die Religionen, Ideologien, Philosophien, politischen Parteien und Menschheitsvereine darauf achten und das durchsetzen würden, gäbe es keinen Zweifel daran, dass die Menschheit im beständigen Fortgang zum Besseren ist. Als der Dalai Lama mit dem christlichen Priester Bill Crews in Sydney zusammen ist, der eine ganze Latte von Suppenküchen, Obdachlosenunterkünften, Einrichtungen für kostenlose medizinische und zahnärztliche Betreuung macht, war gleich zu erkennen, dass der Reverend dem Dalai Lama nicht nur gefällt. Der Dalai Lama macht auch gleich mit, Hand in Hand, um  menschliches Elend zu lindern. „Er band sich auch gleich selbst eine Schürze um und half bei der Essensausgabe“.

Das Buch lebt von der Bestreitung der journalistischen Medien. Es kommt immer auf den – wie die Franzosen sagen – point de vue, den Ausgangspunkt an: Der Dalai Lama bestreitet alle Statistiken, auch die der UNO, die uns weismachen wollen, dass alles schlechter wird. Es kommt darauf an zu vergleichen. Wenn die UN-Weltstatistik sagt, dass 0,7 Prozent aller Menschen eines gewaltsamen Todes sterben, dann muss man nur 200 Jahre zurückgehen. Oder zehntausend Jahre. Dann ergäbe sich ein deutlicher Rückgang: Von einem gewaltsamen Ende unter fünf bis zehn Sterbefälle auf einen gewaltsamen Tod bei ungefähr hundertvierzig Sterbefällen. Der Dalai Lama wurde 1935 geboren. Als der Krieg zwischen China und Japan ausbrach, dann der zweite Weltkrieg kam, dann der Bürgerkrieg in China, dann der Korea-, dann der Vietnamkrieg usw. Aber er glaubt, dass sich im Gesamtüberblick die Verhältnisse zum Besseren gewendet haben. Aber nur dadurch, dass es immer wieder ganz großartige Menschen gibt, die nicht einen Moment aufhören, gleich etwas zu tun. Rebecca Henderson erzählt dem Dalai Lama von den Müttern, die sich verbündet haben, um die Möglichkeit auszunutzen, Strom nur noch aus nachhaltiger Quelle zu beziehen.

„Es fing mit ein paar Müttern in meinem Wohnzimmer an, und jetzt sind es tausende im ganzen Land“. Marshall Ganz, auch ein großer Kenner der Bürgerrechtsbewegung, berichtet von  einer lateinamerikanischen Hausfrau in Chicago, die zur Aktivistin wurde, weil viele Kinder in ihrer Gegend an Asthma litten. Verursacht durch Kleinstaub aus zwei Kohlekraftwerken. „Sie löste eine Bewegung aus, die schließlich zur Schließung der Kraftwerke führte“. Diese Nachrichten kommen aber oft nicht vor. Der Dalai Lama sagt: Die Medien haben eine besondere Verantwortung, die Menschen aufzuklären und „ihnen nicht nur die schlechten Nachrichten zu unterbrieten, sondern auch das, was ihnen Hoffnung macht.“ Man muss alles berichten, aber „zugleich muss auch aufgezeigt werden, was man ändern kann, um die Dinge zum Besseren zu wenden. Sonst fühle man sich von all den schlechten Nachrichten überfordert und schlicht demoralisiert“.

Es ist spannend, weil den Dalai Lama nicht ein Geruch von Unnahbarkeit umgibt, auch wenn viele ihn weiter als „Seine Heiligkeit“ ansprechen, was er aber bestimmt als lustig empfindet. Er ist in lebhaft-produktivem Kontakt mit der Wissenschaft, nennt einige der Wissenschaftler seine Freunde. So mit dem Gesichtspsychologen Paul Ekman, der ihm sein Schlüsselerlebnis erzählt: Er sei mit vierzehn Jahren von seiner Mutter im Stich gelassen worden, „und das ist mein Leben lang ein emotionales Muster für mich gewesen: von einer Frau im Stich gelassen zu werden“. Der Psychologe hat ein Programm aufgelegt, das den Titel führt: „Cultivating Emotional Balance“ (CEB), in dem Methoden der tibetischen Tradition mit moderner Psychologie verbunden werden“. Der Wissenschaftler ist mittlerweile ein Freund des Dalai Lama geworden, wie das vielen so geht, die in seine Nähe kommen und sich seiner Attraktion, seiner Herzenswärme gar nicht mehr entziehen können.

Das, was bei Franz Alt in seinem neuen Interview-Buch mit dem Dalai Lama als gezielte Botschaft herauskommt, ist schon lange bei dem Dalai Lama angelegt; wie der Biograph es auch beschreibt. Die Religionen hätten Jahrtausende Zeit gehabt, ein ethisches Denken zu errichten, aber es ist ihnen noch nicht gelungen. Deshalb, so kann man schlussfolgern, dürfen sie sich nicht wundern, dass sich viele an außerreligiösen Morallehren orientieren. „Ich denke an all die Ärzte und Helfer, die sich in Darfur oder Haiti oder anderen Konflikt- und Katastrophengebieten selbstlos einsetzen“. Es mögen auch Gläubige darunter sein, aber viele andere sind es nicht. Es sind einfach Menschen, die ein echtes Mitgefühl haben, und den Entschluss mittragen, die Leiden anderer zu lindern.

Der Dalai Lama ist ein Genie der Freundschaft und der Freundschaften. Wen er in seinem unglaublich konzentrierten und gar nicht umtriebigen Leben alles kennengelernt und dann zum Freund gemacht hat, ist nach Lektüre des Buches kaum zu überschauen. Deshalb kann man nur einige Beispiele geben. Sunjit Bunker Roy in Indien ist auch so ein persönlicher Freund des Dalai Lama. Er hat 1972 das „Barefoot College“ gegründet, das seinem Namen Ehre macht. Durch diese Arbeit, die nicht auf offizielle Bildungsgänge setzt, sondern mit den Intelligenz-Anlagen auch von ganz ungebildeten analphabetischen Menschen rechnet, hat sich die gesellschaftliche Stellung der Frau enorm erhöht in armen ländlichen Gemeinde in Indien. Roy hat nach seinem Studium die Grassroots kennengelernt, er war über 40 Jahre in einem Dorf in Rajasthan, nachdem  er als freiwilliger Helfer in einem armen Dorf im Bundesstaat Bihar gearbeitet hatte. Er war dem Aufruf von Gandhi gefolgt, die Ärmsten in den Dörfern zu unterstützen und hatte fünf Jahre beim Brunnenbau in Tilonia mitgeholfen, bevor er das „Barefoot College“ gründet. Bei den Schülern handelt es sich meist um analphabetische Frauen aus ärmlichen Dörfern, die schon Enkel haben. Wenn sie als Solarstrom-Expertinnen in ihre Dörfer zurückkehren, genießen sie hohen Respekt. Roy sagte zum Dalai Lama: die beste Investition sei die Ausbildung von Großmüttern. Die meisten sind in Indien zwischen 40 und 50 Jahre, ohne Schulbildung, aber tolerant und mutig. Das Barefoot College arbeitet auch in den Dörfern, in denen es kein Radio, kein TV, kein Kino, kein Theater gibt mit Handpuppen, die gesellschaftliche relevante Themen darstellen, weshalb man seine Frau nicht schlagen soll, weshalb man sauberes Trinkwasser braucht, weshalb Kinder die Schule besuchen müssen.

Der Dalai Lama ist überzeugt – in Indien hatte er das gelernt -, dass der Umbau auf dem Land stattfinden muss. Aber er war damit schon bei seinem Besuch in China 1955 konfrontiert worden, als die kommunistische Führung noch um seine Gunst warb, 4 Jahre vor seiner Flucht nach Indien. Dem Dalai Lama war damals schon bewusst, dass die Erneuerung in den Ländern Indien und China bei der Landbevölkerung beginnen muss, nicht in einigen Großstädten. Bunker Roy lud der ihn ein, die Ausbildung in Solartechnik auch in den tibetischen Siedlungen überall anzubieten. Das „Barefoot College“ hat sich regelrecht auf die Ausbildung von Hunderten Solartechnikerinnen spezialisiert. Ein solcher Mensch wie der Dalai Lama erlebt selbst den Klimawandel und die Umweltzerstörung als eigenen Schmerz. Die Zerstörung riesiger Waldflächen auch in Tibet und am Oberlauf der Flüsse können die flussnahen Gebiete nicht vor Bodenerosion schützen. Die chinesische Regierung habe versucht, den Holzeinschlag zu verringern, aber mit Bestechungsgeldern würde es weiter gelingen den Raubbau fortzusetzen. Da wird der Dalai Lama manchmal fast heftig. In Indien und China fehle es an Verantwortungsbewusstsein. „Alles dreht sich einfach um Geld, Geld, Geld“. Die Menschen beuten die Natur aus und kümmern sich nicht um die bedrohten Arten und die Bedrohung für die künftigen Generationen. Mit seinem Biographen kämpft er für radikale Transparenz. Wenn man sich aufmerksam klarmacht, wohin einen die Anschaffung eines Smartphones zurückführt, nämlich bis in die entferntesten Ecken der Welt, bis in den Kongo, wo Bergarbeiter hemmungslos und ohne jede Beobachtung ausgebeutet werden. Mit unserem Kauf decken wir kriminelle Machenschaften, menschenfeindliche Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Verwerfungen. Manchmal kann Radikale Transparenz wenigstens dafür sorgen, dass den Firmenchefs das Image ihrer Firma etwas wert ist.

Auch der Dalai Lama muss die Balance halten zwischen dem, was er sich leistet an Umweltbelastung und dem Vorbild, das er selbst bleiben will. Carl Amery, der verstorbene deutsche Umweltaktivist und Schriftsteller, war zu dem Entschluss gekommen, aus ökologischen Gründen nicht mehr zu fliegen. Als der Dalai Lama während des Indisch-pakistanischen Krieges nach Südindien gebracht wurde, lernte er einen Gandhi-Jünger kennen, der das Auto ablehnte und die Wege nur mit einem traditionellen Ochsenkarren zurücklegte. Das war für den Dalai Lama zu extrem, er musste Entfernungen schneller überwinden. Sein Biograph schreibt: „Das gilt auch für seine Reisen rings um den Globus, von denen, wie man sicher sagen darf, sehr viele Menschen profitieren“. Goleman beschreibt den Alltag von „Seiner Heiligkeit“, der dem Grabspruch des Gründers der Gesellschaft Jesu, Ignatius von Loyola, folgt:

Non coerceri maximo, contineri tamen a minimo divinum est. Vom größten sich nicht besiegen zu lassen, aber im Kleinsten den Überzeugungen die Treue halten, ist göttlich.

So macht er immer sofort das Licht aus, wenn er aus einem Raum geht. Er nimmt nie ein Wannenbad, aber zwei Duschbäder. Der Dalai Lama, wie wir ihn über dieses Buch erleben, hält niemals etwas für vergeblich. Das Wort frustriert kommt nie vor. Die kleinen Dinge sind wichtiger als wir ahnen, denn sie befähigen uns, niemals etwas sein zu lassen aus der Einschätzung es sei zu wenig. Die schlimmen Nachrichten hören wir andauernd, aber selten werde gesagt, „was wir tun können, um die Gefährdung so gering wie möglich zu halten“. „Vor Gewalt schrecken wir augenblicklich zurück, aber der Klimawandel und die Umweltzerstörung erreichen uns nicht so unmittelbar, weil sie einen schleichenden Versuch nehmen.“ Und es bleibt ihm die unverbrüchliche Erkenntnis. „Wer die Natur schädigt, vermehrt die Armut“.                                                                                                                                                                                                                                               

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Quelle

Rupert Neudeck 2015 Grünhelme 2015

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