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Berlin Verlag | Düzen Tekkal, ist Kurdin, Jesidin und Deutsche. Die renommierte Fernsehjournalistin und Filmemacherin wurde 1978 als eines von elf Kindern einer jesidischen Einwandererfamilie in Hannover geboren. Schon als Dreijährige nahm sie ihr Vater in den niedersächsischen Landtag mit. Die Frage, wie Integration gelingen kann, beschäftigt sie seit vielen Jahren. Für ihre Reportage »Angst vor den neuen Nachbarn«, in der sie jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund porträtiert, erhielt sie 2010 den Bayerischen Fernsehpreis. 2014 erlebte sie mit, wie der »Islamische Staat« (IS) im Nordirak ihr eigenes Volk verfolgte und ermordete. Was sie dort an unfassbarem Leid mitansehen musste, hat sie in dem Dokumentarfilm »Háwar – Meine Reise in den Genozid« verarbeitet.

© Berlin Verlag | Düzen Tekkal, ist Kurdin, Jesidin und Deutsche. Die renommierte Fernsehjournalistin und Filmemacherin wurde 1978 als eines von elf Kindern einer jesidischen Einwandererfamilie in Hannover geboren. Schon als Dreijährige nahm sie ihr Vater in den niedersächsischen Landtag mit. Die Frage, wie Integration gelingen kann, beschäftigt sie seit vielen Jahren. Für ihre Reportage »Angst vor den neuen Nachbarn«, in der sie jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund porträtiert, erhielt sie 2010 den Bayerischen Fernsehpreis. 2014 erlebte sie mit, wie der »Islamische Staat« (IS) im Nordirak ihr eigenes Volk verfolgte und ermordete. Was sie dort an unfassbarem Leid mitansehen musste, hat sie in dem Dokumentarfilm »Háwar – Meine Reise in den Genozid« verarbeitet.

Deutschland ist bedroht: Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen

Deutschland – Hort der bedrohten Minderheiten. Zu einem Buch von Düzen Tekkal. Von Rupert Neudeck

Die Autorin ist in doppelter Hinsicht ausgezeichnet, sie hat es geschafft, sich hier bei uns im Berufs- Sozial und Wirtschaftsleben ganz einzubringen. Und sie ist voll und ganz Jesidin geblieben und der eigenen Religion treu. Ihr Buch hat weniger den eigenen Untertitel zum Thema, als Ihr Leben in der eigenen jesidischen Familie, den Kämpfen um die eigene Selbstverwirklichung. Das ist vielleicht das stärkste Stück in dem Buch, als sie mit dem Vater zu dem Dorf der Eltern fuhr, in dem sie hätte auch geboren sein können, wenn ihr Vater nicht schon nach Deutschland ausgewandert wäre. Der Vater steht dann vor dem Grab der Großmutter und sagt, er habe auch ihre Enkelin mitgebracht, die „Journalistin in Deutschland“ sei und nach ihren jesidischen Wurzeln frage, „brach ich zusammen.“ An diesem Ort versteht sie, warum der eigene Vater nach Deutschland ausgewandert war, warum er diesem fremden Land so dankbar war, „woher unser Bildungshunger kam“.

Das einzige, was ich angedeutet finde, sind Informationen über die Religion. Für die Jesiden ist Gott allmächtig und barmherzig, sieben Engel sind ihm untergeordnet. Tausi Melek ist der wichtigste unter ihnen, der im Auftrag Gottes die Welt und auch Adam und Eva schuf. Im Zentrum der Religion steht der Akt er Auflehnung des Engels: Gott befahl Tausi Melek, sich vor Adam zu verneigen. Tausi Melek aber weigerte sich, weil er sich nur Gott unterwerfen konnte. „Der Engel lehnte sich gegen einen Befehl Gottes auf, um die Einzigartigkeit Gottes zu bekunden.“ Und weil Tausi Melek ähnlicher scheint wie Luzifer aus der Bibel oder Iblis aus dem Koran, so gelten viele Jesiden manchen Muslimen als „Teufelsanbeter“. Der zentrale Ort (vg. Mekka, Rom) der Jesiden ist das Heiligtun in Lalisch. Eigentlich solle jeder Jeside einmal im Jahr nach Lalisch pilgern, aber 2015 kann man den Ort nur mit Waffen verteidigen. Die Jesiden missionieren nicht, denn man kann nur als Jeside geboren werden. Beide Elternteile müssen Jesiden sein. Das übertrifft die Hermetik der jüdischen Religion noch um einiges. Es gab auch schon in der Zeit von der Baath Partei im Irak und später unter Saddam Hussein Gefahren für das alltägliche Leben der Jesiden. Wenn – so die Autorin – ein Jeside früher von Mosul nach Bagdad fuhr, um dort einen neuen Pass zu beantragen, konnte es geschehen, dass er im Bus erschossen wurde. Wenn man sich als Jeside zu erkennen gab, konnte es lebensgefährlich werden. Im nächsten Kapitel wird die Chronologie verlassen und die Autorin ist schon jemand, die einen eigenen Film in der Martin Buber Oberschule in Berlin-Spandau macht, um mit den Schülerinnen und Schülern zu diskutieren. Da waren die Klassen 8 bis 10 versammelt und die Autorin konnte sich in die jungen Muslime gut hineinversetzen.

Mehrere Kapitel später erläutert sie, wie sie zur Fernsehjournalistin wurde und dann noch bei RTL. Nach dem öffentlichen Erscheinungsbild des Senders hätte man der Autorin einen anderen Sender gewünscht. Aber es war wahrscheinlich die exotische Verpflichtung des Skandalsenders, mal eine Ausländerin mit – wie die Autorin sagt – „Migrationsvordergrund“  zu haben. Aber sie hat wohl ihre Themen damals durchsetzen können, die alle Tabu-Bruchthemen sind als das sind Intensivtäter mit Migrationshintergrund, Ehrenmord in der eigenen Gesellschaft, Polygamie. Der letzte Film wurde auch spannend, weil der Sohn des Vaters, der da seine zweite Frau nach Berlin holt, von seiner Angst erzählt, dass er in der Schule wegen seines polygamen Vaters angemacht wird. Und noch größer sei seine Angst, dass jemand meinen könnte, er würde sich auch eine Zweite Frau nehmen. Das zeigt die Kluft zwischen den Generationen. Der Vater, der aus einer anderen Zeit kommt, der Sohn, der in der westlichen Moderne groß geworden ist. Auf den letzten Seiten diese Kapitels wird die Autorin sogar Fernsehkritikerin, mehr in Richtung RTL denn ARD-ZDF. Im Zusammenhang mit dem Film, den sie über den aus Bayern ausgewiesenen Mehmet gemacht hat und die Feststellung, dass die Geschichte im Fernsehen zu kurz war, bricht es aus der Autorin heraus: Warum die wichtigen Themen im Fernsehen nicht mehr Sendezeit bekommen. „Warum darf ich nicht differenzieren, warum muss ich ein bestimmtes Bild herstellen?“

Auch im dritten Teil hat sie unsere ganze Sympathie. Freunde von ihr, auch islamische Theologen haben ein Unbehagen mit der Repräsentanz der Muslime in Deutschland, der wir uns stellen müssen. Die 3,6 Mio. Muslime werden nur zu 20 Prozent von den vier großen Verbänden repräsentiert. Die vier Verbände sind die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion, abgekürzt DITIB, der Islamrat der Bundesrepublik Deutschland, der Verband der islamischen Kulturzentren und der Zentralrat der Muslime (ZdM), der auf Grund der immerwährenden Interviewbereitschaft von Ayman Mazyek noch eine größere Rolle spiel unter den Vieren als eigentlich vorgesehen von den Zahlen. Dass der DITIB immer noch in Deutschland eine solche Position hat ist ein Skandal. Eine staatliche Stelle in Ankara versorgt die deutschen Muslime mit türkisch sprechenden Imamen. Komme da nur niemand auf böse Gedanken. Es ist die babylonische Gefangenschaft der deutschen Muslime, aus der sie sich nur irgendwann selbst befreien können.

Die Autorin ist selbst Jesidin, aber sie fühlte sich dem Muslimischen Forum mit einer bestechenden Begründung zugehörig. Die staatsrechtliche Stellung der DITIB ist umstritten, aber wenn es zusätzlich nicht zu Anerkennung der DITIB im deutschen Organigramm käme, würde das bedeuten, dass der türkische Staat über diesen Verband öffentliches Recht Macht ausübt. Sie hat sich durchgesetzt und ist wie selbstverständlich im Muslimischen Forum: Unsere Ursprungsländer sind wie sind heute vom Islam dominiert, in der Vergangenheit waren für ihre Familie Muslime Beschützer aber auch Verfolger. Mit dem gleichen Recht könnte ein bewusst christlicher Deutscher auch Mitglied werden, denn die Christen leben in vielen Länder des Nahen Ostens in einer zu großen Teilen verfolgten Situation.

Das Buch hat für viele etwas, z.B. für eine Volkspartei wie die SPD. Der eigene Vater ist 27 Jahre Mitglied der SPD. Stolzes Mitglied der SPD, weil das ja für jemanden, der sich darauf vorbereitet immer hier zu leben, eine zweite Heimat sein kann. Die Sozialdemokraten und die Grünen hätten sich sehr stark mit der Einwanderergesellschaft auseinandergesetzt. Als Gerhard Schröder Kanzler wurde, knallten bei der Autorin zu Hause die Korken. Aber die Partei habe es versäumt, nicht nur die Eltern, sondern auch die Migrantenkinder einzubinden. „Meine Generation ist enttäuscht von der SPD, weil sie die Themen, die für uns wichtig sind, nicht mehr aufgreift.“ Sigmar Gabriel beteilige sich am Pegida Bürger-Dialog. Dann fährt er als Wirtschafts-Minister nach Saudi Arabien, ohne deutlich zu machen, was es an diesen Ländern zu kritisieren gibt. Ich finde unklug, den Begriff Assimilation negativ hier einzuführen.

Das wirkt wie die Übernahme des Satzes von Erdogan bei seiner Wahlrede in Dortmund: „Assimilation ist Menschenrechtsverletzung“, als ob der Präsident weiß, was eine Menschenrechtsverletzung ist. Außerdem ist das je nach Einwanderungsland, Herkunft und Bindekraft des Landes den Einwanderern überlassen. Die deutschen Immigranten in den USA sind alle assimiliert und deshalb keine schlechten ex-Deutschen oder US-Bürger. Ob sich jemand ganz dem übergibt, was die neue Heimat für ihn bereithält oder nicht, ist ganz allein seine Sache. Sie zitiert auch noch mal den schönen Satz der Kanzlerin zur Flexibilität und wie wir da noch gar nicht weitergekommen sind. Aber „in Deutschland wirst du von der Bürokratie müde gemacht“. Mit klarer Bewusstheit schreibt sie und das ist für Deutschland leider ganz wahr: Die Bürokratie ist  ein wesentliches Integrationshindernis.

Das Schlimme an den 743 Angriffen auf Flüchtlingsheime war die Tatsache, dass wir bislang keine Aufklärung hatten. Im Osten, wo es die ersten Übergriffe gab (Freital, Tröglitz, Heidenau), gibt es eine Polizei, die genau so arbeitet, wie die ostdeutsche Polizei während der zehn Jahre NSU-Krise. Immer mehr auf Seiten der Rechten, deshalb können sie auch so gut untertauchen.

Während der Lektüre hatte ich das Gefühl, die Autorin sollte noch mehr Mut zu einem ganz persönlichen Stil haben. Das Buch wirkt partienweise wie von anderen mit-geschrieben. Man weiß ja nicht, was Urich Gutmair geschrieben hat. Und dass die Autorin ihrer Agentin dankt, ist für mich auch eher eine Distanz zum persönlichen Zeugnis.  

Düzen Tekkal „Deutschland ist bedroht: Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen“ – online bestellen!

Berlin Verlag
Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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