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Die Deutschen und ihre Mythen

Brauchen die Deutschen Mythen? Oder haben sie sie schon – und wissen das nur nicht? Zu einem wichtigen Buch von Herfried Münkler. Von Rupert Neudeck

Einzigartig, wie der Historiker den jeweiligen Mythos der Deutschen durch alle Epochen durchbuchstabiert, den Faust Mythos verfolgt von seinem historischen Auftreten über den Goethe Text bis hin zu Walter Ulbricht. Wie faustisch selbst Intellektuelle und Philosophen vom Weltrang des Martin Heideggers auf solche Rattenfänger wie Hitler hereingefallen sind, Bischöfe inklusive. Und, wie noch im Gespräch bei der Aufnahme des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses der Ankläger Robert Kempner den Staatsrechtslehrer Carl Schmitt verhörte: Ob er nach 1933 gefordert habe, die deutsche Gesetzgebung müsse mit nationalsozialistischem Geist erfüllt werden.

Darauf Schmitt: „Ich fühlte mich damals überlegen. Ich wollte dem Wort Nationalsozialismus von mir aus einen Sinn geben“. Kempner fragt ungläubig nach: „Sie fühlten sich Adolf Hitler überlegen?“ Schmitt: „Geistig unendlich. Er war mir so uninteressant, dass ich gar nicht darüber sprechen will.“

Walter Ulbricht schrieb am 28. März 1962 im Neuen Deutschland: Der noch zu schreibende dritte Teil des Faust werde die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der DDR sein. Damit folgte Ulbricht als Apparatschik einem weiteren Intellektuellen, nämlich Georg Lukacs, der Goethes Faust als Höhepunkt des bürgerlichen Humanismus interpretiert hatte: „Erst bei Mephisto wird die spezifisch kapitalistische Bedeutung des Geldes als Verlängerung des Menschen dargestellt“.

Marx Kommunistisches Manifest und Goethes Faust – so erklärte eben jener biedere Kommunistische Diktator Ulbricht bei Verleihung der Leipziger Ehrenbürgerschaft, seien die „Lieblingswerke der Sozialisten“.

Ähnlich glänzend und kombinatorisch im Buch von Münkler der Artikel über Nürnberg und Dresden als mythische Orte. Das „Elbflorenz“ (J.G. Herder) und die große Romantik-Stadt der Meistersinger und der „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ versinken am Ende des Krieges in die Vernichtung (Dresden) und in den Ort der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse.

Der Angriff auf Dresden am 13./14. Februar 1945 ist bis heute eine der militärisch, politisch und völkerrechtlich umstrittensten Kriegshandlungen der Westalliierten. Victor Klemperer hat minutiös die 48 Stunden der Bombenangriffe beschrieben. Möglicherweise hat ihm dieser Angriff das Leben gerettet. “Zeitgefühl war mir verlorengegangen. Draußen war es taghell. Am Pirnaischen Platz, in der Marschallstraße und irgendwo über der Elbe brannte es lichterloh. Der Boden war mit Scherben übersät, Ein furchtbarer Sturmwind blies. Natürlicher oder Flammensturm? Wohl beides“.

Die Stadt brannte mehrere Tage. Sie wurde zunächst für die neuen DDR Machthaber eine willkommene Gelegenheit, auf den barbarischen Bombenkrieg der Westalliierten hinzuweisen und sie anzuklagen. Der mythische Ort Dresden, so die Kombinatorik von Münkler, griff wieder nach dem Sturz der Mauer. Als Helmut Kohl, weitere Facette des mythischen Ortes Dresden, am 19. Dezember 1989 im Flughafen Dresden Klotzsche landet, um sich mit Hans Modrow, dem noch amtierenden Chef der DDR Übergangsregierung zu treffen, war dem Kanzler klar: Die deutsche Einheit wird kommen. In seinen Erinnerungen schreibt er. „Als die Maschine ausgerollt war, ich auf der untersten Stufe der Rolltreppe stand, Modrow mich mit versteinerter Miene auf dem Flugfeld erwartete, drehte ich mich zu Rudi Seiters um und sagte: ‚Die Sache ist gelaufen!’“

Der Wiederaufbau der Frauenkirche, die am 15. Februar 1945 vormittags eingestürzt war, während des Feuersturmes hatten sich Temperaturen von bis zu 2000 Grad entwickelt, wurde zu einem Abschluss der Wiedervereinigung, auch mit dem beliebtesten West-Ministerpräsidenten, den der Osten gerne akzeptierte: Kurt Biedenkopf.

Nun hatte die DDR auch ihre Probleme mit der Geschichtslegitimation: Sie universalisierte das Nazi Holocaust Erbe, während Österreich es externalisierte. Die DDR wollte die Zeit der Nationalsozialisten als die letzte (?) Etappe im sich verschärfenden Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus begreifen. Nicht die deutschen Mentalitäten waren verantwortlich für die ungeheuren Verbrechen der Nazizeit, es war eine kleine Gruppe von Monopolkapitalisten. Und die ostelbischen Großgrundbesitzer mit dem Reichspräsidenten Hindenburg an der Spitze.

Bestraft wurden nicht die NS Mitglieder und Mittäter, obwohl es am Anfang auch eine Entnazifizierung gab, es wurden eher die Fabrik- und Großgrundbesitzer verfolgt, die man der ökonomischen Basis des Faschismus zuordnete. Der Rest der Bevölkerung war dadurch entlastet. Der Großteil der DDR-Bürger wurde dadurch zu „Siegern der Geschichte“ erklärt. Diese Formel, so Münkler, habe dieselbe Funktion gehabt wie das „Beschweigen und die Schuldfreiheitsgesetze im Westen“.

Bis heute wirkt diese merkwürdige Universalisierung der Schuld und die Erklärung der Deutschen auf der richtigen Seite zu Siegern der Geschichte verkehrt und hat zur Folge, dass z.B. die deutsche Bundeskanzlerin Merkel alles mögliche an Aufarbeitung der Vergangenheit nachholen will. „Diese Formel (Sieger der Geschichte) breitete sich sofort aus, wie ein Kreis im Wasser, in das man einen Stein geworfen hat. Jeder Bürger der DDR konnte sich nun als Sieger der Geschichte fühlen. Dadurch, dass man dem Volk diese Schmeichelei sagte und es entlastete, war es dann leichter zu regieren.“ So zitiert der Autor den DDR Schriftsteller Stephan Hermlin: Es sei eben schwer, auf die Dauer Leute zu regieren, die sich „irgendwie schuldig fühlen“.

Doch dieser antifaschistische Gründungsmythos reichte wohl nicht, wie der Staats und Parteiführung klar wurde. Man suchte nach Vorbildern, an die man anknüpfen durfte: Da waren einmal aus der Zeit der Reformation Martin Luthers 1917-1526 die Bauernkriege. Das Volk versuchte damals zum ersten Mal die Gesellschaft revolutionär umzuwälzen. Das war natürlich ein Drahtseilakt.

Und der kundige Münkler beschreibt auch diesen Mythen Fall spannend. Luther hatte die Bauern ja verraten. Alexander Abusch formulierte ganz früh, dass der Irrweg des Deutschen Geschichte damit begonnen habe, als Luther der Reformation die politische Spitze nahm und gegen die aufständischen Bauern Partei ergriff.

Man brauchte aber nicht nur Thomas Müntzer, denn der war ja gescheitert, man musste auch eine Erfolgsgeschichte haben. Deshalb machte man sich an Martin Luther selbst heran. Höhepunkt war das Lutherjahr 1983, die feiern aus Anlass des 500. Geburtstags Luthers, die weitaus größer ausfielen, als die zum 100 Todestag von Karl Marx.

Die DDR wollte zusätzlich den „geistigen Anspruch auf die Bauernkriege als revolutionäres Erbe“ auch als Kunstwerk sichtbar machen. In Erinnerung an die Schlacht von Frankenhausen, bei der geschätzt 6.000 Soldaten und Widerstandsleute abgeschlachtet wurden, wurde der Künstler Werner Tübkes beauftragt, ein gewaltiges Werk zu errichten: Auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen wurde ein Panorama errichten, das dem Bauernkrieg gewidmet war. Mit einer bemalten Fläche on 1722 qm und einer Höhe von 14 Metern und einem Umfang von 123 Metern übertrifft das Kunstwerk sogar die Fresken von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle.

Der zweite Ergänzungsmythos waren die Befreiungskriege 1813 – 1814. Der Aufstieg Preußens wurde – schwierig genug zum Kompensationsmythos für die nachlassende Prägekraft der Antifa- Erzählung. Es wurde aber auch hier geradegebogen, so wie es der Staatspropaganda entsprach. Man berief sich auch auf das Nationalkomitee Freies Deutschland, das nach der Stalingrad Niederlage daran erinnert, dass wir in Deutscher Geschichte große Vorbilder hätten: „Vor hundertdreißig Jahren wandten sich die besseren Deutschen, von Stein, Arndt, Clausewitz, Yorck von Russland aus über die Köpfe verräterischer Machthaber hinweg an das Gewissen des deutschen Volkes.“ Gegen die „verräterische Adenauerbande“ setzte man auf die führenden Köpfe der preußischen Militärreform, Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz.

Erleichtert wurde das natürlich durch das Bündnis in Tauroggen mit der russischen Armee. An der Neuen Wache unter den Linden in Berlin wurden 1964 Statuen der Generäle Scharnhorst, Blücher, Gneisenau und Yorck aufgestellt. Aber 1989 brach das erst mal alles zusammen. Zwar gab es noch einen letzten Versuch, den Aufruf „Für unser Land“, der von 200.000 Menschen unterschrieben wurde. Münkler: „Der antifaschistische Gründungsmythos der DDR hatte die Konkurrenz mit dem Gründungsmythos der Deutschen im Westen, mit Währungsreform und Wirtschaftswunder verloren. Daran änderte sich auch nichts, als in den 90 er Jahren immer wieder Künstler und Pfarrer auf den DDR Gründungsmythos besinnen wollten, wenn es darum ging, dass man im falschen System dennoch ein richtiges Leben führen konnte.

Ein erkenntnisreiches Buch, das uns Deutschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Mythen Spiegel vorhält, in dem wir uns erkennen können, wenn wir wollen – oder uns neue geschichtliche Mythenbilder im Nationalstaat oder im neuen Europa errichten können.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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