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Die Lobby-Republik

Politik oder Lobby? Zu einer Grundfrage, die Jean-Jacques Rousseau noch nicht kannte. Von Rupert Neudeck

Das Buch von Hans-Martin Tillack macht sehr nachdenklich. Ein Thema ist damit auch angetippt, das der Autor selbst kaum angeht: Die Politiker- und Wahl-Distanz der Bürger, die bis zu 50 Prozent nicht mal mehr wissen, was das Königsrecht der Demokraten ist und zu wählen verzichten, hat gewiss auch in der Macht der Lobbys und der zu bereitwilligen Art der Politiker zu tun, sich ihnen an den Hals zu werfen. Fast sollte man das inhaltlich sehr gut recherchierte Buch von hinten lesen. Denn die beiden letzten Kapitel schlagen dem Fass noch mal den Boden aus. Es geht einmal um das Bestechungs- und Lobby-anfälligste Gewerbe der Welt, das auch in Deutschland fröhlich Urstand feiert: die Waffenlobby und Rüstungsindustrie-Vertretung. Und um die Schlacht um den Strom. Oder anders formuliert, wie man selbst mit der Sonne und dem Wind wahnsinnige Börsengewinne machen kann, die ja – wie Franz Alt uns immer beschworen hat – uns keine Rechnung schicken. Bei den Rüstungsgeschäften muss man den Atem anhalten.

Die Dimensionen sind so, dass man schlucken muss. In einer Studie von 1511 Seiten, die der neuen Ministerin von der Leyen helfen sollte, den Augiasstall auszumisten, werden Vorhaben angetippt, die zusammen 57 Milliarden Euro verschlingen werden. Das sei, so der Autor, das „Achtfache der Kosten des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21“ und zehnmal so viel wie damals jedenfalls (2014 – die Summe für den neuen Flughafen Berlin-Brandenburg. Es geht dabei immer um die Kosten für den Steuerzahler. Und es geht um leckere Einnahmen für die Rüstungsindustrie, die sich ein Verhältnis zu dem Verteidigungsministerium verschafft hat, das diese Industrie wie die Zwillingsschwester des Ministeriums aussehen lässt. Der 4-Milliadren Auftrag für den neuen Panzer Puma, der an Rheinmetall und Kraus-Maffei-Wegmann gegangen ist, war in dem Sinne dieser Studie „eine Entscheidung zur Unterstützung der deutschen Rüstungsindustrie“.

Gegen alle sonstigen volkswirtschaftliche Interessen und Regeln wurde akzeptiert, dass die beiden großen Industriefirmen den Panzer gemeinsam entwickeln und damit „Wettbewerb ausgeschlossen“ sei. Das fragt dann manchmal beschämenderweise nur die Fraktion der Links-Partei im Februar 2014. In der Antwort auf die Frage, was dann für das Scheitern des Projekts vorgesehen ist, heißt es: „Vertragsstrafen sind im Beschaffungsvertrag nicht vereinbart, da sie im Zuge der Vertragsverhandlungen aufgrund der Monopolstellung des Auftragnehmers nicht durchsetzbar waren“. Ständig sind die Bestellungen aus dem Ministerium „alternativlos“. So auch bei dem Fall der Fregatte vom Typ F 125: Hier hat die Politik eine Zusammenarbeit zwischen den „Thyssen-Krupp- Marine Systems und der Lürssen Werft als alternativlos angesehen“.

Und: „Die Politik nahm wesentlichen Einfluss auf die Vergabe, um den Erhalt industrieller Kernfähigkeiten in Deutschland zu unterstützen“. Wählen wir dafür unsere Politiker? Dass sie die Rüstungsindustrie mit allen ihren Exporten boomen lässt, nach Saudi-Arabien, nach Kolumbien, nach Mexiko, nach Israel usw.? Dann kommt noch die Geschichte der Bestellung der gescheiterten Aufklärungsdrohne vom Typ Euro Hawk. Von der Leyen bekam die Folgen der Misswirtschaft in ihrem Ministerium und Generalstab zu spüren und wollte gleich auf eine andere Drohne umsteigen. Für die Drohne hatte das Ministerium schon über 600 Millionen Euro ausgegeben – um am Ende festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Flugzulassung im deutschen Luftraum fehlten.

Für Lobbyisten ist das der leichtest zu korrumpierende Industriebereich in Deutschland. Immerhin sind ja – wie es so blöd heißt – „unsere Jungens und Mädels“ mittlerweile im Kampf mit Terroristen z.B. in Afghanistan und da brauchen sie das beste Gerät. Dass nun herauskommt, dass das berühmte Gewehr G 36 seit Jahren nicht mal schießen konnte, macht ja nichts. Deutsche Soldaten müssen ja geschützt werden von oben durch Drohnen, von der Seite durch dreifache Mauern und durch ein System, das sie gar nicht zum Schießen kommen lässt. Ob das Gewehr schießen kann oder nicht, ist für den normalen Bundeswehrbetrieb drittrangig. Wie eng die beiden Bereiche  verwoben sind, kann man daraus entnehmen, dass in den Jahren 2010 bis 2013 38 Beamte aus dem Verteidigungsministerium bei neuen Arbeitgebern anheuerten, mit denen sie in ihren alten Dienstposten zu tun hatten. Und, es kam heraus, dass in den Jahren davor insgesamt 157 Mitarbeiter des Ministeriums und/oder der Bundeswehr eine „Tätigkeit bei der Firma EADS oder deren Töchter aufgenommen“ hatten.

Im Kapitel über den Kuddelmuddel bei der Einführung der „Es wird-schon-werden-Währung“ Euro wird bekannt, dass die Aufnahme Griechenlands verspätet um zwei Jahre wegen der bekannten schlechten Daten 2001 auch damit zu tun hat, dass Kanzler Gerhard Schröder sich nicht entgehen ließ, die deutsche Rüstungsindustrie durch den Ankauf von 170 Leopard -2-Panzer von Kraus-Maffei Wegmann bezahlen oder entgelten zu lassen. Ebenso kaufte völlig unsinnigerweise das nicht bedrohte Griechenland für rund 2,3 Milliarden Euro U-Boote bei der Kieler-Howaldts-Werft, die heute zu Krupp gehört. Der Autor zitiert einen griechischen Ökonom, Alexandrow Avatangelos, der später erklärt: Griechenland habe die U-Boote gekauft, „damit wir in den Euro kommen“.

Bei der Lobby mit dem Strom geht es ähnlich kunterbunt zu. Die Unternehmer kümmern sich nicht mal um die faule Semantik. „Verschmutzungsrechte“ ist ein Wort, das eigentlich für jeden, der mal Immanuel Kant oder das Evangelium oder das Grundgesetz gelesen hat, schon als Begriff sich verbietet. Aber Deutschland, Europas größte Verschmutzer-Nation, überschwemmte den Markt mit diesen Verschmutzungsrechten, die auch „Emissionslizenzen“ hießen. Die Energieversorger stellten die ihnen kostenlos zugestellten Zertifikate den Stromkunden in Rechnung und erhielten starke „Windfall-Profite“. Im Oktober 2010 machte Angela Merkel ihre Ankündigung wahr und kippte den zehn Jahre zuvor beschlossenen Atom-Ausstieg. Nach der Wahl wollte man auch das Image der Energieversorger aufbessern. Die Werbeagentur PRGS, die sich nach Fukushima Advice Partner nannte, schlug den „Schulterschluss zwischen Kernkraft und Erneuerbaren Energien“ vor: Kernkraft also als Alternative zu dem dreckigen Kohlestrom und als Beendigung der Abhängigkeit von Erdgas und damit von der russischen Dominanz.

Das Buch ist sehr intim eingestiegen in die Lobby-Szene in Berlin und damals in Bonn. Was die alles anstellen auch bei ahnungslosen Journalisten, ist erstaunlich. Die Atomlobbyisten waren sicher die innovativsten beim Spiel auf der Klaviatur der deutschen Seele. Sie lanzierten die Vermarktung der „Women in Nuclear“ in der Brigitte. Sie organisieren eine pro Atomkraft Rede durch die Mehrzweckwaffe aller Talk-Shows Arnulf Baring zur Feier des 50. Geburtstags des Atomforums in Berlin. Beim Atomforum waren schon die ex-Staatssekretärin der Grünen, Margareta Wolf und der ex-Wirtschaftsminister unter Schröder Wolfgang Clement, angestellt.

Besonders laute Lobbyverbände sind der BSW, der „Bundesverband Solarwirtschaft“, der seit Februar 2012 in der Friedrichstrasse mitten in Berlin residiert und der Bundesverband Windenergie. In der Energiepolitik sei das öffentliche Bild bunter geworden. War früher der Verband der Ökostrombranche eine Domäne der Grünen, so steht ab Ende 2013 an der Spitze des Bundesverbands Erneuerbare Energie der Christdemokrat Fritz Brickwede. Die Strompreise sind noch nicht stabilisiert. Im Januar 2014 sagt Gabriel in schöner Offenheit: Man könne niemandem versprechen, dass die Kosten nicht weiter steigen werden. Eine große Rolle spielt in der Lobby Szene die ehemalige Kanzleramtsministerin Hildegard Müller als Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.

Es fehlt dem Buch eine kritische Einführung in das Thema: Weshalb Parteien und Parlamente nicht souveräner sind und sich die Unterstützung der Industrie- und Wirtschaftslobby selbst souverän bestellt und in klaren Dosen einräumt, um damit immer wieder zu demonstrieren, wer der Souverän in Vertretung des letztgültigen – des Volkes nämlich – zu sein hat. Begriffsgeschichtlich ist es ja immer schon verdächtig, wenn ein dubioses Institut sich einen englischen Namen zulegt. Das kann nur verdächtig sein.

Tillack berichtet von einem grandiosen Verschiebebahnhof zwischen ehemaligen Groß-Beamten und Groß-Politiker und Parteipolitiker, die schamlos in die besser bezahlte Wirtschaft gehen, als deren politisch-pragmatische Agenten. Das Buch beginnt mit der Feststellung, dass es alles legal und legitim ist, Partikularinteressen in Berlin und vorher in Bonn zu vertreten. Diese Interessenverbände können aber zu einer Art Gegen-Parlament und Gegen-Repräsentanz ausarten und die 12.000 Lobbyisten an den markanten Punkten und den supervornehmen und teuren Appartements in Berlin sind eine Art Gegen-Parlament geworden.

Es fehlt auch der Bereich der Ethik, der sogar dem common sense entspricht, weshalb es eben dahin kommt, dass die Hälfte des Souveräns keine Lust mehr hat, sich an den Modalitäten des Gemeinwesens und seiner Politik zu beteiligen. Kurz gesagt, es gibt auf dieser diffusen Ebene zwischen Parlament und Wirtschaftslobby keinen Anstand mehr. Dass der Großkanzler Schröder den nicht hatte, war schlimm genug. Dass seine Partei ihm darin, in dieser Unanständigkeit gefolgt ist, spricht nicht für die Partei. Dass ein amtierender Kanzler der Bundesrepublik nach Ende seiner Amtszeit den Posten eines führenden Aktionsausschusses bei der russischen Firma Gazprom-Tochter Nord Stream  einnimmt, ist schon ein Hammer. Die anderen Parteien bieten ähnliche Beispiele von fehlendem Anstand. Ronald Pofalla ist so ein Beispiel, der aus dem Kanzleramt auch gleich in die gutbezahlte Position des Beraters der Deutsche Bahn einsteigen wollte.

Aber selbst die Grünen sind anfällig geworden. Das macht die Parteien so marode, dass man niemandem unter den jungen Studenten und Berufstätigen noch empfehlen kann, in sie einzusteigen und ein gutes Stück Lebenszeit zu investieren. Dass Politiker nicht ein besseres Image haben in der Bevölkerung, liegt auch an ihnen bzw. ihren Verbänden, den demokratischen Parteien. Manchmal dementieren solche Übertritte alles, was an Anstand und Moral in einer politischen Repräsentanz noch gefordert sein sollte. Dass der Minister für Entwicklungshilfe Dirk Niebel gleich zu dem mächtigen Waffenproduzenten Rheinmetall geht, haben die Wähler, die Hälfte der Wähler, die es noch gibt, mit dem Ausschluss der FDP aus dem Bundestag bezahlt.  Man kann die Lobbyisten auch als Bestechungsagenten und Korruptionsanbieter bezeichnen und wäre damit der Wahrheit näher, als mit dem distanzierten englischen Begriff der Lobby.

Das Buch hat einige Gipfelaussagen. So wenn der Ex-Journalist und Lobbyist Michael Inacker beschrieben wird, der auf die Frage, warum er nicht Staatsekretär werden wollte, antwortete: „Da verdient man so wenig“. Und das „so wenig“ kann man sich unter Millionen Bürgern, die ihr Auskommen haben, aber es nicht dicke haben, gleich vorstellen. Das wenige sind 12.500 Euro.

Mir fehlt der Bereich des Fernsehens als Lobby-Förderer durch viel zu viel Einladungen in die leider hypertroph auch als Gegenparlament agierenden Talk-Shows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das hat einen verheerenden Einfluß auf ein gut funktionierendes Staatswesen im Sinne des Gesellschaftsvertrages“.

Das Buch ist etwas zu schnell gemacht. Es fehlt ein Abkürzungsverzeichnis, das ganz dringlich ist, weil der Autor nur so mit Abkürzungssiglen herumwirft. Und es fehlt ein Personenregister, denn es ist ja sehr personalintensiv. Die Kapitel über die manipulierbaren Freundschaften in der Politik sind genüsslich zu lesen, weil sich diese großen Herren der Wirtschaft immer gern nach Mallorca einladen, ob das der Bundespräsident Wulff oder der ex-Außenminister Westerwelle waren. Eine gewaltige Rolle, geradezu ein heimlicher Bundesminister mit Kabinettsrang so wirket das, was die neue Politsprache einen Eventmanager nennt: Manfred Schmidt, der mischt nun überall mit. Es ist ein Augiasstall geworden, diese Lobbyrepublik. Wohlanständig und damit demokratisch ist da kaum noch etwas, auch wenn der Autor noch an manchen Stellen hilflos für Milde und Schonung plädiert.

Was diese Republik nicht braucht, ist eine Fortschreibung dieser Berliner Lobby-Gegenregierung, die manchmal gar nicht so anti sein muss, weil sie in das Schreiben der Gesetze mit Honoraren aus der Schatulle der Regierung einbezogen werden. Tillack bemerkt, dass die Bundesregierung von 2009 bis zum Sommer 2013 die Summe von 978 Millionen Euro für externe Beratungen ausgegeben habe. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag listete das Innenministerium auf 300 Seiten die einzelnen Aufträge auf, viele davon an die Firma von Roland Berger, dem heimlichen Gegen-Kanzler in Berlin wie die Anwaltskanzleien Freshfields, Redecker Kellner Dahs und White & Case. Der ehemalige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Alfred Tacke beschreibt diese Praxis schamlos: „Wenn wir schnell ein Politikkonzept brauchen, fragen wir Unternehmensberater wie McKinsey oder Berger“.

Im Bericht des Rechnungshofes wurde vermerkt, dass der Einsatz externer Berater „bei Normsetzungsverfahren“ keine Seltenheit war. 2009 durfte die Firma Linklaters einen kompletten Gesetzentwurf zur Bankenrettung für den damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verfassen. Wenn schon der Rechnungshof den Ministerien zu viel Sorglosigkeit vorwirft, warum ist die lebendige Öffentlichkeit in Deutschland denn noch immer nicht in der Lage den Rahmen und dem Raum, in dem sich diese regierenden Lobby Agenturen und Großkanzleien ausbreiten zu beschränken. Das hat gewiss auch mit der Zunahme von Berufswechseln zu tun, prominente Journalisten wechseln ähnlich wie Ministeriale gern von der Zeitung oder den elektronischen Medien zu den meist von den Gehältern lukrativeren Positionen in den Kanzleien der Werbebranche. Ein Ministerium zahlte einer Firma 17.200 Euro, damit deren Mitarbeiter an einer Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestages teilnehmen konnten.

Das Paradebeispiel, wie verflochten die Interessenverbände der Wirtschaft, die Großparteien und die Großpositionen der Regierungen des Bundes und der Länder sind, liefert Cornelia Yzer von der CDU. Erst hochgelobt als jüngste Staatssekretärin, wechselte sie ganz schnell und jung zum Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA), um jetzt wieder fröhlich auf eine Regierungsbank in Berlin zu steigen, sie wurde CDU-Wirtschaftssenatorin. In der Phase der Gesetzesformulierungen, sagte Yzer, die Königin der Doppelspitze in einer Person, können wir „konstruktiven Einfluss auf den Gesetzestext nehmen, auch juristische Hilfe bei Formulierungen anbieten“.

Nicht überraschend, dass auch die BILD Zeitung eine Rolle spielt. Der Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft, Chef eines Think Tanks, Michael Hüther hat sogar eine eigene Kolumne in der BILD-Zeitung, in der er gegen das Rentenpaket der Großen Koalition oder den Mindestlohn zu Felde ziehen kann und darf. Das ganze Buch von Tillack darf überschrieben werden: „Verkehrte Welt“. Noch leben wir Noch-Demokraten in einer „verkehrten Welt. Die Abgeordneten sind arme Schweine. Selbst fachlich zuständige Parlamentarier erfahren von der Existenz eines Gesetzentwurfs „auf Wunsch“. Als Abgeordneter, so der Grüne Gerhard Schlick, sei man darauf angewiesen, dass einem ein Verbandsvertreter das Papier zukommen lassen. Es klingt wie „verkehrte Welt“. Wann beenden wir sie?

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Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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