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Die Natur Europas

Denkt man an die Ökonomie und die Politik, dann steht Europa derzeit nicht gut da. Ganz anders, wenn man an die Natur denkt – wie ein schönes Buch bezeugt. Eine Rezension von Professor Udo E. Simonis

Europa steht derzeit nicht gut da – wenn man die Ökonomie und die Politik zum Maßstab nimmt. Da tut es gut, sich die Natur Europas anzusehen. Dazu verhilft einem ein wunderschönes, umfangreiches Buch über in Europa heimische Tiere, Pflanzen und Pilze, das von einem internationalen Autorenteam aus Botanikern und Zoologen verfasst wurde.

Während die Ökonomie Europas auf Einheitskurs getrimmt und die Politik auf Integration gepolt wird, ist die Natur Europas ein wahres Beispiel an Vielfalt. Der Subkontinent beheimatet eine unglaubliche Zahl von Tieren, Pflanzen und Pilzen – vom Alpenmurmeltier bis zur Zauneidechse, von der Atlaszeder bis zum Zypressenschlafmoos, vom Austernseitling bis zur Ziegenlippe.

Das Buch stellt diese ökologische Vielfalt in Text und Bild – als individuelle Porträts – vor und zeigt so zugleich im Detail die imposante Schönheit der Natur Europas. Jeder dieser Steckbriefe enthält neben den charakteristischen Merkmalen auch Angaben über die Verbreitung und detailgenaue farbige Abbildungen zur eindeutigen Bestimmung der jeweiligen Art.

Es ist in zwei Teile gegliedert, in die Betrachtung der verschiedenen Lebensräume (S. 8-57) und die Mannigfaltigkeit der Arten selbst (S.58-495). Ein Glossar wichtiger Begriffe (von Abdomen bis zu Zwergstrauch), ein detailliertes Register (von Aal bis Zizeria minima) und ein penibler Bildnachweis schließen den Band ab (S. 496-512).

In Europa haben sich viele herrliche, faszinierende Landschaften ausgebildet, von fast wüstenartigen Gebieten im südöstlichen Spanien bis zu den kargen Weiten der arktischen Tundra. Sie sind zugleich vielfältige Lebensräume, die im Buch (Teil I) nach Küsten, Süßgewässern, Gebirge und Hochland, Waldland und Agrarland, Siedlungen und Städten und nach den Großregionen Mittelmeer und Tundra gegliedert sind. Zahlreiche Tiere und Pflanzen dieser Lebensräume werden mit kurzen Texten und schönen, teils spektakulären Bildern porträtiert – meist vier pro Seite.

Der stets angeführte lateinische Eigenname der jeweiligen Art garantiert, dass keine Verwechslungen aufkommen können und sorgt auch gelegentlich für spontane Sympathieübertragung – dann zum Beispiel, wenn aus dem Vielfraß der Gulo gulo wird. Auch dieses Buch bestätigt, dass in den Großstädten erstaunlich viele Arten vorkommen, wobei aber deren Anpassungsfähigkeit an die Nähe zum Menschen die zentrale Rolle spielt.

Den meisten Raum über die Arten (Teil II des Buches) geben die Autoren, manchen mag es erstaunen, nicht den Säugetieren und auch nicht den Vögeln, sondern den wirbellosen Tieren und den Pflanzen. Allzu spektakulär können die Bilder und Merkmale von Schmetterlingen sein, wie zum Beispiel das Kleine Nachtpfannenauge, von Bäumen, wie zum Beispiel der Spitz-Ahorn und von Pflanzen, wie zum Beispiel der Schachblume.

Zum Ausgleich gibt es dann aber auch einige großformatige Bilder von Säugetieren und Vögeln, vom Rothirsch und vom Hirschkäfer, vom Rotkelchen und den Elritzen, von Reptilien, Amphibien, Fischen und auch von Pilzen, wie zum Beispiel den Stockschwämmchen, die alle einen Schönheitswettbewerb gewinnen könnten.

Das Buch ist mit großer Liebe und Akribie gemacht – und könnte so selbst auch einen Schönheitswettbewerb gewinnen. Und weil es trotz seiner mehr als 2500 farbigen Abbildungen auch noch relativ preiswert ist, hat es viele Leserinnen und Leser verdient. Es ist ein Nachschlagewerk mit einer Fülle an Informationen und wertvollen Details, eine Wissensquelle für Naturliebhaber – und solche, die es werden wollen.

Eines muss aber noch gesagt werden. Das Buch gibt eine Bestandsaufnahme der Vielfalt der Natur Europas. Es ist kein Buch über deren Gefährdung durch den Menschen, die Wirtschaft, die Politik. Deshalb sei angefügt, dass diese Natur bewahrt und geschützt werden muss – wofür dieses schöne Buch die passende Botschaft liefert.

Quelle

Udo E. Simonis 2014 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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