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C.H. Beck Verlag

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Die Zukunft des Klimas

Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft. Von Rupert Neudeck

Das ist ein wissenschaftliches Buch, oder noch genauer ein Buch von Wissenschaftlern, durch deren künstliche Fachsprache der vom Thema her natürlich geneigte Leser sich durchquält. Zwischendurch jubelt man auf, wenn – hurra – mal das Wort „Teufelskreislauf“ fällt. Im Beitrag von Markus Reichstein über den „terrestrischen Kohlenstoffkreislauf im Klimasystem“ heißt es gegen Schluss. Der Sturm Lothar verursachte Waldschäden, die 16 Billionen Gramm Kohlenstoff potenziell der Zersetzung durch Mikroorganismen freigaben. Insgesamt kann die Wirkungskette Klimaänderungen, daraus folgende Verstärkung von Extremereignissen, „daraus folgende Abgabe von Kohlenstoff an die Atmosphäre zu einem ‚TEUFELSKREIS‘ d.h. einer positiven Klimarückkopplung führen“. Das umgangssprachliche und verständliche Wort Teufelskreis wird hier aber als Fremdwort gleich in Anführungszeichen gesetzt. Das ist vielleicht der einzige Einwand, den ich gegen dieses sehr gründliche und bewegende Buch habe: Es ist  in einer Sprache geschrieben, die so viele ausschließt.

Dabei fängt es in dem Eingangskapitel von Herausgeber Jochem Marotzke so vergnüglich an: Was verbinde Mark Twain, Niels Bohr, Albert Einstein und den US-Baseballspieler Yogi Berra? Sie alle sollen den Slogan verkündet haben: „Vorhersagen sind schwierig, vor allem über die Zukunft“. Dieser Beitrag macht auf die Klimaziele und die möglichen Klimamodelle gründlich aufmerksam. Der künftige Verlauf der Erwärmung, so der Autor, sei „sehr wesentlich“ von den Entscheidungen der Menschheit abhängig“. Man könnte auch sagen, vom veränderten Verhalten von uns allen. Werden wir uns für einen Wirtschaftsweg entscheiden, der zu verminderten Emissionen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen führt? Oder fallen die Entscheidungen so, dass in ihrer Folge die Emissionen weiter ansteigen? Selige Wissenschaft, die das noch so schön nebeneinander stellen kann, während die ersten Inseln im Pazifik schon bald Land unter sind.

Ganz klar gesagt heißt es: „Sollten die Emissionen zunächst weiter steigen, erfordert dies umso deutlichere Minderungen später“. Das was der Beitrag und das Buch im Indikativ festhalten, reicht schon, unser Leben und unser Wirtschaftssystem gebieterisch zu ändern und nicht mehr von der freien Wahl von alternativen Lebensweisen auszugehen. „Für jeweils 500 Milliarden Tonnen Emissionen Kohlenstoff im Kohlendioxid erhalten wir also eine Erwärmung von einem Grad Celsius.“ Man kann ein Klimaziel auch in ein Budget für künftige Emissionen umrechnen. Das versucht die Politik – und wie jeder gut informierte Bürger weiß – ist sie dabei noch nicht weit gekommen, aber sie hält pathetisch an allem fest.

Die EU will die Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius beschränken –  verglichen mit dem vorindustriellen Zustand. Sehr plastisch sagt Marotzke: 2010 haben wir bereits 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff im Kohlendioxid emittiert. Das habe eine Erwärmung von einem Grad Celsius bewirkt. „Um unter zwei Grad Celsius zu bleiben, hätten wir demnach noch ein Budget von weiteren 500 Milliarden Tonnen, bei gleichbleibenden Emissionen also noch etwa 50 Jahre heutigen Wirtschaftens. Danach hätten wir – nichts mehr!“ Das klingt nicht dramatisch, ist es aber.

Es gilt in den meisten Beiträgen die Sprache der Wissenschaft, die aber nicht eine solche sein muss. Wissenschaftler bemühen sich offenbar, um ihren Ruf zu erhalten und zu steigern, in einer Sprache zu schreiben, die kaum jemand versteht. Das bringt den Leser dieser Studie der Max Planck Gesellschaft zu der Frage: Für wen das Buch denn geschrieben ist? Ist dieser Alarmruf der Wissenschaft für die Ingroup der Physiker oder zumindest derer, die Physik studiert haben, damit eben auch exklusiv für die Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben? Oder wollen die Autoren die Politiker, die Umweltausschüsse europäischer und anderer Parlamente und eben Bürgerinnen und Bürger erreichen? Ist es angedacht, dass man eine große Mehrheit des Wählervolkes potentiell damit erreichen will?

Zwischendurch müssen die Autoren Manfred Milinski und Jochem Marotzke zu Beginn Ihres Reports über das Klimaspiel: Warum scheitern Klimaverhandlungen? ausrufen, wie einen Weckruf: „Der Klimawandel ist real“. Er sei von Menschen gemacht, darüber seien sich die Klimaforscher und die Delegierten auf Klimakonferenzen einig. Aber diese Einigkeit müsste sich in einer bewussten Anstrengung exekutieren, auch in einer verstehbaren Sprache für die Nicht-Gebildeten unter den Klima-Problembewussten unserer Bevölkerung zu finden. Denn die überwiegende Mehrheit würde sich gern diesen von der Wissenschaft erforschten Tatsachen stellen und nicht nur Parteiprogramme lesen oder verachten.

Das meint konkret: zu verzichten auf die blinde und nutzlose Übernahme von englischen Begriffen und Worthülsen, wie Business-as usual Szenarien oder auch die Vermeidung von Modeworten, die in den Fachsprachen gerne eine unendliche Karriere antreten und dann irgendwann verdampfen. Nachhaltig, Resilienz, Kohärenz sind drei der Modeworte im umweltpolitischen Diskus und in der umweltpolitischen Korrektheit. Irgendwo kommt jemand auf das Attribut Ungetüm: „Bevölkerungsgewichtete MPI-Veränderung“ und das geht dann den ganzen Essay weiter.

Zwischendurch kommt der eine oder andere auf eine Metapher oder eine Vergleichsbestimmung, die dann Verständlichkeit ansagt, aber diese Erwartung nicht weiter erfüllt. Im Kapitel über den Kohlenstoffkreislauf im Klimasystem beginnt Markus Reichstein ein Unterkapitel mit dem einleitenden Satz: „So wie ein Arzt eine Blutprobe entnimmt, um den Blutzuckerspiegel als einen Indikator des Stoffwechsels zu messen“, sei es zunächst wichtig, den Kohlestoffkreislauf auf der Erde genau zu beobachten. Aber dann fängt schon wieder die Geheimsemantik an.

Das Programm ist dennoch eindringlich und umfassend: Der Herausgeber Marotzke beurteilt die Möglichkeiten und Grenzen von Klimamodellen. Peter Bertholt befasst sich in einem sehr schönen Bericht über die Bienenfresser in Irland und die Silberreiher in Sibirien: Wie Vögel weltweit auf den Klimawandel reagieren?! Das Thema wie der Klimawandel schon oder noch nicht die Migration beeinflusst, hat sich Koko Warner vorgenommen. Zwei Autoren geben uns Klimainformationen für potenzielle ‚Nutzer“: und Ottmar Edenhofer, Susanne Kadner und Jan Minx versuchen eine Antwort auf eine nur bedingt alternative Frage: Ob das Zwei Grad Ziel wünschenswert und ob es überhaupt noch erreichbar ist?

Milinski und Marotzke behandeln die Frage, weshalb diese riesigen Klima-Gipfelkonferenzen so oft scheitern. Lelieveld und Andrea Pozzer handeln die Thematik Luftverschmutzung und Klimawandel unter dem Rubrum „SMOG“ ab. Martin Claußen geht der Vegetation und ihren Wechselwirkungen mit dem globalen Klima nach. Und unter dem Thema „Deeper Rooting“  behandeln Maarten Koornneef und George Coupland die Frage der Pflanzenzüchtung auf die Herausforderungen des Klimawandels. Von der Natur lernen will Robert Schlögl in der Frage der Chemischen Cos Reduktion und Hauke Schmidt und Rüdiger Wolfrum geben ein großes starkes Resümee mit dem Thema „Climate Engeneering aus klimawissenschaftlicher und völkerrechtlicher Perspektive“: Das Buch bietet sich als Arbeitsbuch für Experten der Öko-Problematik an.

Gerade das letzte Kapitel macht auf die Bedenklichkeit einer technischen Lösung des Klimaproblems aufmerksam, die es so nicht geben darf. Dafür sprechen auch die übrigen Beiträge. Es macht aber schon bedenklich, wenn es allein im rechtlichen Raum heißt: nach Artikel 1 des Weltraumvertrages haben alle Staaten das Recht, den Weltraum zu friedlichen Zwecken zu nutzen. Dabei geht es rechtlich erst mal darum, dass diese Nutzung allen Staaten zugute kommen soll. Diese Verträge sind aber letztlich nicht auf die Anbringung zur Reflektion des Sonnenlichts zugeschnitten. Doch muss man davon ausgehen, dass einer solchen – das Wort wiegt schwer – Weltraumnutzung dann im Zweifelsfall auch nichts aus den Verträgen entgegensteht.  Gerade dieser Schlussbeitrag des Buches macht deutlich, was auch Naomi Klein in ihrem neuen Buch lang und breit reflektiert: Wir werden es nur mit einer grundlegenden Änderung unserer Denk- und Lebensgewohnheiten schaffen, die Klimakatastrophe abzuwenden.

Allein mit Gerichtsurteilen und den alten rechtlichen Abgrenzungen, dem Vorsorgeprinzip allein wird es nicht gehen. Denn das Vorsorgeprinzip galt immer schon und hat nicht gehindert, dass wir jetzt in einer Sackgasse verharren und kaum daraus kommen, wenn wir nicht alle bisherigen Begriffe, Statusrechte und Formate ändern. Souveränität zu Lande, zu Wasser und in der Luft allein bei den Einzelstaaten wird uns nicht weiterbringen. Die Menschheit muss viele dieser welt-existentiellen Fragen auch als Bevölkerung in die Hand nehmen und mitentscheiden. Denn auf was die Großindustrien noch kommen, davon legt dieses Buch auch Zeugnis ab. Das „Weißen“ von Wolken auf hoher See ist erlaubt, in den marinen Eigengewässern von den Küstenstaaten zu genehmigen. Für das „Weißen der Wolken“ auf Hoher See sei der Flaggenstaat zuständig, der diese Aktivitäten auf Hoher See kontrollieren kann. Kann er? Die Mehrheit der kommerziellen Schiffe tragen Panama-, Cayman-, Liberia-, Zypern-, Belize-Flagge. Warum, muss man ja nicht sagen: weil man damit viele soziale und sonstige Verpflichtungen los wird. Eine – noch ein Beispiel – Modifikationen von Zirruswolken (das klingt schon verboten, wenn man es geschrieben sieht oder ausspricht) ist rechtlich nur an dem Chicago Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt zu messen. Aber ob man damals schon bei der Explosion der zivilen und militärischen Luftfahrt an so etwas überhaupt hat denken können, valde dubito, da muss man zweifeln. Die Autoren bemerken: Entscheidend sei die Frage, ob die „Freiheiten des Luftverkehrs auch Flüge zur Modifikation von Zirruswolken erfassen“.

Wie präzise die Untersuchungen laufen, die Robert Schlögl über die Chemische CO2-Reduktion berichtet, macht die Kompliziertheit des Themas noch einmal neu deutlich. Die biologische Reduktion von CO2 erbringt die biobasierten Kraftstoffe, die alle aus der Biomasse in einer Art Bioraffinerie genutzt werden müssen. Es gibt schon Verfahren wie die zur Gewinnung von Biodiesel und die Fermentation zu Bioethanol oder Biomethanol.

Das Buch und seine Autoren wagen auch das auszudrücken, was die Politik kaum für möglich hält: Einmal das klar auszusprechen, was wir noch nicht wissen und möglicherweise nie wissen werden. Robert Schlögl hält noch einmal fest, dass es eindeutig notwendig ist, den weiteren Anstieg der CO2 Emissionen zu reduzieren. Dazu bedarf es vieler Maßnahmen über das ganze Energiesystem hinweg. Es sei fraglich, ob man mit den Mitteln der Biologie CO2 reduzieren kann und Kohlenstoff über Biomasse aus der Atmosphäre ziehen soll. Das „carbon farming“ wird nur begrenzt nützlich sein, dagegen müssen die Folgen für die konkreten Ökosysteme besonders für längere Zeiträume bedenklich stimmen und werden kaum schätzbar sein.

Der Verlag sollte das Buch für eine zweite Auflage noch einmal auf sprachliche Verständlichkeit und die Vermeidung von Fachchinesisch hin bearbeiten, um es dann in einer zweiten Auflage herauszubringen. Wetten, dass diese zweite Auflage besser verkauft werden wird als die erste?

Jochem Marotzke/Martin Stratmann „Die Zukunft des Klimas“ – online bestellen!

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Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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