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Die Zukunft in unseren Händen: Menschliches und nicht-menschliches Leben …

… und wie man beides bewahren sollte. Zu einem Buch des Tiefenökologen Arne Naess. Von Rupert Neudeck

Arne Naess ist ein Geheimtipp unter denen, die die Erde und Schöpfung nicht zerstört wissen wollen. Er ist der erste (?) ökologische Philosoph. Aber vielleicht stimmt das nur semantisch, denn auch Philosophen wie Schopenhauer, Immanuel Kant, waren große Bekenner der Achtung und des Respektes vor der Natur, deren integraler Teil wir ja sind.

Arne Naess aber ist ein Ökosoph. Und für den Ökosophen stellen sich die Verhältnisse neu ein. Es gilt nicht unbedingt das Wachstumsgesetz, auch nicht die Gesetze des Kapitalismus oder der gemilderten sozialen Marktwirtschaft. Am Schluss des nun auch deutsch vorliegenden Buches „Die Zukunft in unseren Händen“ kommt er auf die Bibel, das Alte wie das Neue Testament.

Er betont, dass die „autotelische Einzigartigkeit des Menschen“, also von unsereinem im Alten Testament bestritten wird. Im Psalm 104,18 heißt es doch: „Die hohen Berge sind dem Steinbock Zuflucht und die Felsklüfte dem Klippdachs!“ Das heißt auch, dass Menschen nicht unbedingt an diesen Klippschiefern verdienen sollen. Und deutlicher: Diese Tiere haben auf die Berge und Felsen einen klaren Anspruch wie der „Mensch auf die Dinge, die er braucht, um ein gesundes und gottesfürchtiges Leben zu führen“.

Der Mensch, also wir sollen Wächter und Hüter der Natur sein. „Der Herr Gott nahm also den Menschen und setzte ihn in Edens Garten, dass er ihn bebaue und pflege“ (Genesis 2,15). Viele Stellen in der Bibel sind in ihrer Aufforderung ganz klar: Der Mensch trägt eine Verantwortung für sein Handeln. Was Gott geschaffen habe, darf nicht der Ausrottung anheimfallen, „nicht einmal die Schlangen im Garten Eden“.

Wenn Naess bemängelt, dass das Alte Testament nicht auf die Wächterrolle en detail eingeht, so kann man natürlich als Christ sagen, das hat er uns freigestellt-. Im Neuen Testament gibt es das Gleichnis von dem getreuen und dem ungetreuen Diener: „Es pflanzte jemand einen Weinberg, umgab ihn mit einem Zaun, grub eine Kelter. Darauf verpachtete er ihn an Winzer und ging außer Landes“. Als sie dem Mann später seinen Anteil und Ertrag an der Weinernte abgeben sollen, weigerten sich die Winzer, denn es lief nicht gut für sie. Deshalb heißt es: „Das Gottesreich wird euch genommen und einem Volke gegeben, das rechte Früchte trägt“

Das ist für die Ökosophie eine wichtige Mahnung. Denn für den Umgang mit der Schöpfung werden wir eines Tages in Haftung genommen. Arne Naess sagt: Die Wahrheit dieses Markus-Wortes habe sich im Verlauf der Geschichte immer wieder bewiesen.

Was nun ist Tiefenökologie? Das Buch macht mit einer anderen Weltsicht vertraut, die weniger ethisch und moralisch und juristisch ausgerichtet ist, sondern sich aus der Anschauung ergibt. So schreibt der Herausgeber des Buches: Arne Naess ist eher ein Forscher im Verborgenen, er hat sich nie nach publizistischem, politischem oder TV-Glamour gesehnt. Das Buch beginnt sehr philosophisch: Der Mensch sei das erste Lebewesen auf der Erde, „das sich bewusst dafür entscheiden kann, das quantitative Wachstum der eigenen Spezies zu begrenzen und mit den übrigen Lebensformen auf diesem Planeten dauerhaft in einem dynamischen Gleichgewicht zu leben.“ Das Buch ist im Grunde die Entfaltung dieses ersten langen Satzes. Dank unseres biologischen Erbes seien wir in der Lage, diese lebendige Vielfalt in der ganzen Komplexität zu bestaunen.

Die immer noch herrschende technisch-industrielle Kultur erscheint Arne Naess besessen davon zu sein, sich sämtliche Naturräume und Lebenswelten auf dem Globus zu unterwerfen und die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu unterwerfen. Wir, so der Autor, tragen alle daran eine Mitschuld. Wir seien sehr spät aufgewacht.

Das Großartige an diesem Autor und dem, was er aufweist. Er tut es unaufgeregt, aber radikal. Es ist eine nicht-schreiende Radikalität. Es wird für die Änderung des globalen Umweltdesasters ein radikaler Politikwechsel angesagt. Nur noch durch Radikalität ist der aktuelle Zustand zu überwinden. Es ist auf jeden fall sprachlich, methodisch und inhaltlich ein eigener Weg, der nicht dem mainstream der ökologischen Bewegung folgt, ihm aber auch nicht entgegengesetzt ist, es ist ein komplementärer und sehr sympathischer Weg.

Die acht Grundelemente einer Tiefenökologie stehen im Zentrum des Buches.

Die Entfaltung menschlichen und nicht menschlichen Lebens auf der Erde sei ein Wert an sich. Das klingt wie wenn kant sich das angesehen hätte. Auch (2.) die Vielfalt der Lebensformen und Arten sei ein Wert an sich. Der dritte Grundsatz ist scharf und für jedermann verstehbar: „Der Mensch habe kein Recht, diese Vielfalt zu zerstören, es sei denn dass ihn ein elementares Bedürfnis oder eine existentielle Notlage dazu zwingen“.

Der Autor will sagen, dass es schon eine existentielle Notlage sein muss, dass jemand Leopard Panzer produziert und damit sein Gehalt und seine Rentenansprüche bekommt. Aber er kann auf Dauer dafür weder ein elementares Bedürfnis, noch eine existentielle Notlage beanspruchen. Arne Naess nimmt das Beispiel des Walfängers, der in einer modernen Industriegesellschaft damit rechnen muss, arbeitslos zu werden. „Maß sein, dass der Walfang in seinen Augen ein wichtiges Mittel des Broterwerbs ist, nur ist in der modernen Welt, niemand mehr auf die ‚Früchte’ dieser Arbeit angewiesen“.

Der vierte Grundsatz der Tiefenökologie: Die jetzigen Eingriffe von uns Menschen in den Naturhaushalt sind – gemessen an diesen genannten Standrads überzogen und ursächlich für die rasante Zerstörung des globalen Ökosystems.

Der fünfte Grundsatz ist der für mich schwierigste: Er behandelt die geforderte oder erwünschten Rückgang der Weltbevölkerung. Ein Bevölkerungsrückgang sei bei Betrachtung des erwartbaren Zuwachses der Weltbevölkerung auf zehn Milliarden dringend geboten, damit auch die übrigens Lebensformen sich angemessen weiter entfalten können. Auch bei einer deutlichen Abnahme der Weltbevölkerung müssen wir keine Sorge um die „zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften“ haben.

Der sechste tiefenökologische Grundsatz: „Um diese bedrohliche Situation positiv zu verändern, müssen wir eine neue Politik machen.“

Wichtig das Kapitel über Ökosophie und Ökonomie. Der Autor kritisiert die heilige Kuh des Bruttoinlandsprodukts(BIP). Dass eine „Leistung“ von diesem BIP erfasst wird, bedeutet ja noch nicht, dass sie auch sinnvoll ist. Das Wachstum des BIP muss nicht mit verbesserten Chancen, sich der intrinsischen Werte zu bedienen,  oder einem Fortschritt auf dem Weg der SELBST-Verwirklichung einhergehen. Das BIP werde mit Brutto-Lebensqualität, mit Brutto Vergnügen und Brutto-Vollkommenheit einer Gesellschaft gleichgesetzt. Aber damit ist noch nichts über die Verteilung des Reichtums gesagt. Es kann in einer Gesellschaft 95 Prozent in bitterer Armut und 5 Prozent in größtem Überfluss leben.

Der Ökosoph Naess wirkt überzeugend durch handfeste Beispiel, die nicht widerlegbar sind. Die Argumente gegen eine „Monetarisierung der Natur“ fasst Naess in einem Beispiel zusammen. Wenn A eine Person B fragt, wie viel diese zu zahlen bereit sei, damit A ihn nicht den Arm bricht, kann der Betrag, den B nennt, niemals den Wert des Armes wiedergeben. B hat nämlich ein Recht auf seinen Arm. Es ist nicht erlaubt anderen Menschen den Arm zu brechen. „Analog ist auch der Zutritt zur freien Natur ein ‚Menschenrecht’“.

Resümee: Die massiven Eingriffe des Menschen in die Natur seien symptomatisch für unsere Wirtschaftsweise. Ob es gelinge, die Naturräume zu erhalten, hänge entscheidend davon ab, „ob wir Menschen dazu bereit sind, uns nicht nur von unseren gewohnte Produktions- und Konsumgewohnheiten, sondern auch von jener Ideologie zu verabschieden, die die heute übliche Verwüstung des Planeten durch die Ökonomie rechtfertigt“.

Arne Naess schwört auf die Methoden von Gandhi und indirekt von Jesus Christus. Er ist ein Apostel der Gewaltfreiheit. Auch in der Beschreibung von Mahatma Gandhis wunderbarem Ansatz bleibt Arne Naess originell, er entfaltet einen neuen Kategorischen Imperativ: „Handle nur im Gruppenverband und im übrigen so, dass du durch dein Verhalten auf lange Sicht eine möglichst weitreichende Verminderung der Gewalt begünstigst!“

Das ist der vornehmste Grundsatz aller Menschen, die sich für die Erhaltung der Schöpfung einsetzen: Immer sei ein Verhalten erwünscht, das bei allen beteiligten Konfliktparteien die Gewaltbereitschaft reduziert. Er beschreibt das am Beispiel des neun Jahre langen Kampfes um die Verhinderung des Wasserkraftwerks in der norwegischen Gemeinde Alma. Die Demonstranten blieben immer mit ihren mächtigen Gegenspielern in Kontakt. Während der Aktion am Mardola Fluss versorgten die Demonstranten die Polizisten sogar mit frischen Pilzen. Und er fügt hinzu: Dass nur die Beamten, die sich in der Nähe des Polizeipräsidenten aufhielten sich nicht trauten, dieses Geschenk anzunehmen. Soviel Kontakt mit dem Gegner wie irgend möglich, dieser Leib und Magengrundsatz von Gandhi müsse auch der Kampfruf aller ökologischen Aktionen für eine bessere Umweltpolitik sein.

Zu der Frage einer Partei für diese Ökologie ist Arne Naess abwartend und unterscheidet. Die Verhältnisse sind überall anders. Er erkennt, dass es in Deutschland eine grüne Partei zu einer weiten Anerkennung in der Bevölkerung gebracht hat. Dabei gibt es eine Bemerkung des Autors, die ich besonders wichtig für uns in Deutschland finde. Wenn man nämlich möchte, dass die Bevölkerung von anständigen Politikern vertreten wird, dann soll man die Repräsentanten dieses Berufes, wenn sie denn gute Arbeit leisten, auch mal in schriftlicher Form oder in der Öffentlichkeit loben.

Typisch erscheint mir, dass solche Vertreter der Ökosophie sich auf den Standpunkt des ersten heimlichen Ökosophen stellen, der Albert Camus war. Camus hat in „Der Fremde“ die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt beschrieben und besungen. Gibt es, fragt Arne Naess, Verbindungen zum Kommunismus oder zum Anarchismus? Ganz pauschal möchte er sagen, dass die Anhänger der Tiefenökologie einen gewaltfreien Anarchismus sympathischer finden würden als den Kommunismus. Die heutigen gewaltlosen Anarchisten stehen der grünen Bewegung gewiss näher als den beiden anderen Richtung – Kapitalismus und Sozialismus.

Das Buch enthält sehr viele originelle und nachdenkenswerte Forderungen, Mahnung und Erfahrungen. Sie werden alle vorgetragen von jemandem, der die Gewaltlosigkeit sehr überzeugend gelebt hat.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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