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Ein 16jähriges Mädchen als Buchautorin

Ich Bin Malala. Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft. Zu einem Buch der Malala Yousafzai. Rezension von Rupert Neudeck

Am 9. Oktober 2012 geschieht etwas, was sich leider in eine ganze Reihe ähnlich verwerflicher und mörderischer Taten gegen Menschen, Frauen, Mädchen einreiht. Aber das dialektisch Gute an dieser Tat: Sie wird zu einer Weltnachricht, die man nicht mehr vergessen kann. An diesem Tag wird die 15jährige pakistanische Schülerin Malala Yousafzai von einem Verbrecher niedergeschossen. Immer wenn wir diesem Verbrecher islamisch oder islamistisch nennen, machen wir das Verbrechen scheinbar weniger verbrecherisch. Wir nennen die Täter Taliban, Islamisten, Salafisten oder Dschihadisten und beleidigen damit die überwiegende Mehrheit der 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt.

„Meine Mutter zum Beispiel“, sagt die Autorin Malala nach dem Attentat, „sagt dauernd, das können gar keine Muslime gewesen sein. Doch manche Menschen nennen sich Muslime, handeln aber völlig unislamisch“.  Die Ärztin am Krankenbett sagt, „dass der Islam durchaus auch Frauen das Recht auf Bildung zugestehe. Es sei eines unserer Rechte, dass nicht nur Männer gebildet sein dürfen.“ Malala hätte sich also nur für ihr Recht eingesetzt, „als muslimische Frau zur Schule zu gehen“.

Das ganze Buch zu lesen von über 350 Seiten ist noch mal doppelt erregend, weil es den Verbrechern nicht mehr gelingen darf, sich als Muslime zu bezeichnen. Sie sind einfach nur Verbrecher. Je klarer durch unsere Nachrichten, die Medien, die Politik das akzeptiert wird, um so besser für den Weltzustand. Mit diesem Attentat auf Malala Yousafzai haben sich die verbrecherischen Syndikate vertan, die oft von Saudi Arabien angestiftet und bezahlt werden oder auch vom pakistanischen Geheimdienst.

Der Täter hat eigentlich einen Schuss in den Kopf abgegeben, der unweigerlich tödlich hätte sein müssen, aber durch die gute Erstversorgung und die weiteren chirurgischen Maßnahmen im Militärhospital in Peshawar, die Compouter-Tomographen Untersuchungen wird deutlich, dass offenbar das Gehirn verschont wurde. Der Chirurg sägt ein acht  bis zehn qcm großes Rechteck aus der linken oberen Schädeldecke, damit das Gehirn genug Platz bekam. Dann machte er einen Schnitt in das Unterhautgewebe links am Bauch und legt das Stück Schädelknochen hinein, um es dort zu konservieren. Dann machte er einen Luftröhrenschnitt, weil er fürchtete, die Schwellung würde das Atemzentrum blockieren. Das Wunder geschieht, sie überlebt, kann nach einigen Monaten wieder lächeln, was wegen der gelähmten linken Gesichthälfte nicht möglich war.

Der Siegeszug zur weltumspannenden Bildungsoffensive für Mädchen und Frauen und alle Menschen guten Willens wird jetzt nicht mehr aufzuhalten sein. Auf dem Bett der Klinik in Birmingham sagt sich die Heldin der Geschichte: „Allah ist bei dir. Eines Tages wirst Du aufwachen“. Dass die vereinten Nationen und viele große Stiftungen und Verbände  Malala mit ihren 16 Jahren auszeichnen, soll man als gutes Zeichen werten. Wichtig wäre, dass statt der Mittel, die bisher in superteure Armeen in Afghanistan und anderswo  gesteckt wurden, jetzt mit dem gleichen Geld sinnvoller Schulen jeder nur denkbaren Art und Größe aufgebaut werden, Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden, Bildungsoffensiven den Planeten umschwirren.

Das Buch ist bedenkenswert in seinem Inhalt, auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Malala es nicht so geschrieben hat, wie man das von einem Buch und einer Autorin erwartet. Da wird ja wohl zumal der Vater mitgeschrieben haben. Es ist ein erschütterndes Buch über Formen und Modalitäten des Terrorismus, der sich immer noch und leider islamisch und das heißt auch religiös drapieren darf. Es ist eine ständige Aufeinanderfolge von Angstzeiten, in denen sich das junge Mädchen Malala Yousafzai im Swat Tal im Westen Pakistans befindet, die Angstthematik zieht sich durch das ganze dichte Buch. Es ist eine unendliche Kette von terroristischen Anschlägen, Drohungen, Beleidigungen, die nie ganz aufhören.

Die Terroristen, die sich anmaßend Taliban (deutsch einfach: Studenten) nennen und unter diesem Titel der Schrecken der gesamten Welt geworden sind, sind ständig dabei, mit Einschränkungen das Leben von Menschen zu bedrohen, dass man sprachlos wird durch die Überfülle der furchteinflößenden Beispiele.

Sie beschreibt an einer Stelle die Blasphemiegesetze, die es unter den Islamisierungs- Kampagnen des Präsidenten und Generals Zia ul Haq gab. .Jeder, der „den geheiligten Namen des heiligen Propheten beleidigt“, konnte mit dem Tod oder mit lebenslanger Haft verurteilt werden. Wer darüber entscheidet, jeder, ob er weiß, was im Koran steht, eine religiös-theologische Bildung hat oder nicht, ist gleich-gültig.

Im November wird eine Christin (die machen etwa 2 Prozent der 180 Millionen Pakistaner aus) Asia Bibi zum Tod durch Erhängen verurteilt. Sie war eine arme Mutter mit fünf Kindern, verdiente ihren Lebensunterhalt als Obstpflückerin in einem Dorf im Punjab. Sie hatte für sich und andere Wasser geholt, einige der Frauen auf den Feldern weigerten sich, das Wasser zu trinken, weil eine Christin es gebracht habe. Sie hielten dafür, als Muslime bringen sie Schande über sich, wenn sie es mit einer Christin zusammen trinken. Es gab auch noch anderweitig Streit, eine Ziege der Christin hatte den Trog einer Muslima beschädigt.

Es gab Zoff. Man versuchte Asia Bibi zur Konversion zu überreden. Darauf hätte sie geantwortet. Christus wäre am Kreuz für die Sünden der Christen gestorben, und was hätte der Prophet Mohammed für die Muslime getan? Darauf wurde beim Imam Beschwerde eingelegt. Asia Bibi saß über ein Jahr im Gefängnis, wurde dann vom Gericht zum Tode verurteilt.

Einer, der für Asia Bibi sich einsetzte war der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, der war selbst politischer Gefangener gewesen, weil er in der Partei von Benazir Bhutto war. Er besuchte sie im Gefängnis und forderte vom Präsidenten die Begnadigung der Christin. Er nannte die Blasphemiegesetze untaugliche und schwarze Gesetze. Daraufhin wurde der Gouverneur von dem Imam für „gottlos“ erklärt. Das ist ein Todesurteil, wie man hinzufügen muss.

Am 4. Januar 2011 wurde der  Gouverneur Salman Taseer von einem seiner Leibwächter erschossen. Der Mann gab 26 Schüsse auf ihn ab. Bei seiner Verhaftung sagte er, so aufgehetzt sind die Menschen in diesem Land, er habe das für Gott getan. Bei dem Prozeß wurde er von Juristen mit Rosenblättern geehrt. Der Imam der Moschee, zu der der Gouverneur gegangen war, weigerte sich, das Beerdigungsgebet zu sprechen, auch der Präsident des Landes blieb der Beerdigung eines – deutsch würden wir sagen – Ministerpräsidenten fern. Malala im Originalton: „Es war, als würde unser Land verrückt werden. Wie konnte es sein, dass wir jetzt schon Mörder feierten?“

In der zweiten Hälfte des gut geschriebenen Buches erklären  Frauen, dass sie sich die eigene Unabhängigkeit wünschen. Dann meinen die Leute, sie sagen etwas gegen die Religion. Aber das bedeutet es nicht. „Es bedeutet, wir wollen selbst bestimmen, zur Schule oder zur Arbeit zu gehen. Im Koran steht nirgendwo, dass eine Frau von einem Mann abhängig sein soll. Der Himmel hat uns kein Wort geschickt, dass jede Frau auf einen Mann zu hören hat“.

Die Autorin geht klug voran. Denn sie entfernt sich weder von der Religion noch vom Pashtunwali, dem Ehrenkodex der Pashtunen. Sie ist, wie sie an vielen Stellen des Buches betont, „eine stolze Pashtunin“, die Gebräuche der Pashtunen und die Ehre des Stammes setzt sie über die beiden feindlich zueinander georteten Staaten Afghanistan und Pakistan. Ob die Gründung des Staates Pakistan eine gute Entscheidung gewesen ist, wagt sie eher zu bezweifeln.

Sie stellt die Frage, als sie das Museum des Staatsgründers Jinnah in Karachi besucht. Er war schon von der Todeskrankheit gezeichnet, als er aus dem Exil zurückkam. Lord Mountbatten, der letzte britische Vizekönig von Indien, hatte sich Jinnahs wegen einverstanden gezeigt, Indien bei der Unabhängigkeit zu teilen. Hätte er, schreibt die Autorin, gewusst, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, hätte es Pakistan nicht gegeben. Jinnah starb schon im September 1948. Malala: „Wir waren von Anfang an ein Unglücksland.“

Diese jetzt 16jährige Malala hat sich durch die Zufälligkeit einer dramatischen Weltnachricht die Rolle zugeeignet, Repräsentantin der Bildung, des Rechts auf Schulbildung für alle Mädchen und Frauen zu sein.  Nach dem Attentat, das sie wie durch ein Wunder überlebte, das ihr persönlich galt, weil sie schon als kleines Mädchen eben Interviews und Stellungnahmen gab, ist sie weltweit zu einem Symbol für die Rechte von Mädchen und Frauen geworden.

Das Buch wird abgeschlossen mit der Rede, die Malala am 12. Juli 2013 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen gehalten hat. Dort hat sie erneut gezeigt, dass sie über Demut und ein entsprechendes Charisma verfügt, mit dem sie die Welt schon sehr stark beeinflussen kann. Im Zentrum dieser Rede sagt sie: Sie sei nicht in New York, um aus persönlicher Rache die Stimme gegen die Terrorgruppen und die Taliban zu erheben. Sie sei da, „um für jedes Kind das Recht auf Bildung einzufordern. Ich möchte Bildung für die Söhne und Töchter der Taliban sowie aller Terroristen und Extremisten. Ich hasse auch den Taliban nicht, der auf mich geschossen hat“. Selbst wenn sie ein Gewehr in der Hand hätte und er vor ihr stünde, würde sie nicht auf ihn schießen.

Dann kommen die entscheidenden Säulen einer solchen Bewegung, die auch religiöse Werte umfasst. Sie habe eben Barmherzigkeit und Mitgefühl von Mohammed, dem Propheten der Gnade, von Jesus Christus und von Buddha gelernt. Und das sei auch die Vergebung, die sie von ihrem Vater und ihrer Mutter gelernt habe.

Es ist ein dichtes Buch geworden. Man muss natürlich der Malala zugute halten, dass ein Mädchen mit 14 Jahren in Pakistan volljährig wird, dass das Alter von 16 Jahren älter ist als man es hier in Deutschland oder Europa empfindet. Zwischendurch zitiert sie Martin Niemöller. Sie bezieht diese Worte auf die Lage ihres Landes Pakistan.

Durch ihren Vater bekam sie die Stelle mitgeteilt:

„Zuerst kommen sie und holen die Kommunisten.

Ich sagte nichts, weil ich kein Kommunist war;

Dann kamen sie und holten die Sozialisten;

ich sagte nichts, weil ich kein Sozialist war.

Dann holten sie die Juden, und ich sagte nichts,

weil ich kein Jude war.

dann holten sie die Katholiken

Und ich sagte nichts, weil ich kein Katholik war.

Und schließlich kamen sie und holten mich-.

Doch es war jetzt niemand da,

der für mich hätte eintreten können.“

Man kann an dem Buch nichts Falsches finden, es ist ein großartiges Manifest für die Rechte von Kindern, zumal von Mädchen und von Frauen, überall auf der Welt. Die Autorin übersteigt nicht ihre eigene Kultur, sondern versteht es sie groß und ehrwürdig weiter zu achten. Für solch ein Buch muss der Leser dankbar sein.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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