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Erkenntnis-Gemeinschaften und die Klimapolitik

Die Wissenschaft nimmt in der Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle ein. Dies trifft auch auf politische Entscheidungsprozesse zu. Doch wie läuft das in der Klimapolitik? Ein Buch dazu und eine Einschätzung von Professor Udo E. Simonis

Immer mehr politische Abstimmungsprozesse sind auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse angewiesen, um adäquate Entscheidungen treffen zu können. Das Fachgebiet der Internationalen Beziehungen hat sich insbesondere mit der Frage auseinandergesetzt, wie das Wissen von Expertengemeinschaften die Staaten in den zwischenstaatlichen Verhandlungen beeinflusst. Das einflussreichste theoretische Konzept zur Beantwortung dieser Frage ist der in den 1990er Jahren von Peter M. Haas entwickelte Ansatz der epistemic communities.

Haas geht davon aus, dass Erkenntnisgemeinschaften auch unter den Bedingungen von Unsicherheit in der Lage sind, konsensuales Wissen in Form politikrelevanter Lösungen bereitzustellen und so das Kooperationsverhalten von Staaten zu verändern. Obwohl mittlerweile fast 25 alt, fungiert dieser Ansatz in den Internationalen Beziehungen noch immer als Referenzpunkt für die Debatte über die Wissenschaft und ihren Einfluss auf die Politik.

Daniel Otto knüpft an den Ansatz von Haas an und erweitert dessen Modell zugleich. Er geht davon aus, dass nicht das konsensuale Wissen allein das entscheidende Einflusskriterium bildet, sondern ebenso die individuelle Rezeption des Wissens durch die politischen Entscheidungsträger. Dem Wissen der epistemic communities stehen also individuelle Überzeugungen der Politiker gegenüber, die das wissenschaftliche Wissen in politische Entscheidungen „übersetzen“. Dieser Prozess der individuellen Übersetzung von wissenschaftlichem Wissen muss in dem Ansatz, so das zentrale Argument der Studie, eine größere Bedeutung bekommen.

Empirisch überprüft der Autor das überarbeitete Modell am Fallbeispiel des Weltklimarates (IPCC) und der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) – und dies mit großer Sorgfalt. Die Klimapolitik war lange Zeit durch eine große Unsicherheit über die Ursachen und die Auswirkungen des Klimawandels geprägt. Durch die Gründung des Weltklimarates 1988 gelang es, die wissenschaftlichen Beweise für einen menschengemachten Klimawandel zu erbringen. Mit der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 wurde eine Plattform geschaffen, die zu praktischen Erfolgen in der internationalen Klimapolitik hätte führen müssen. Doch trotz des eindeutigen Konsenses unter den Wissenschaftlern und der innovativen internationalen Vertragsbasis haben die Staaten ganz gegensätzlich auf die Bedrohung des Klimawandels reagiert. Während Deutschland beispielsweise eine Führungsrolle in der internationalen Klimapolitik einnahm, bestritt die US-Regierung über lange Zeit die Existenz des Klimawandels.

Wie in der Studie ausführlich aufgezeigt wird, standen dem Konsens der Wissenschaftler im Großteil der Untersuchungsphase konkurrierende individuelle Überzeugungen der Politiker entgegen, welche die praktische Deutung der Ergebnisse wesentlich beeinflusst haben. Während die Bush-Administration den Klimawandel durchwegs leugnete, haben sich die deutschen Regierungen von Beginn an für den Klimaschutz eingesetzt – und erst viel später dann auch die Clinton- und die Obama-Administration.

Das Fazit: Die Ergebnisse der Studie von Daniel Otto belegen, dass dem Individuum und seinen Überzeugungen sowohl im Rahmen von epistemic communities als auch in der nationalen und internationalen Politik allgemein größere Beachtung geschenkt werden muss. Die bevorstehende 21. UN-Klimakonferenz in Paris wird zeigen, ob und in wieweit dieser grundlegenden Erkenntnis über die Erkenntnisgemeinschaften und deren Einfluss auf die Politik entsprochen wurde. So sind diesem Buch denn viele aufmerksame Leserinnen und Leser (nicht nur Wissenschaftler sondern auch Politiker und Bürger) zu wünschen.

Daniel Otto – Potenziale und Grenzen von „epistemic communities“ – Eine Analyse des Weltklimarates und der KlimarahmenkonventionLIT Verlag 2015

LIT Verlag | Potenziale und Grenzen
Quelle

Udo E. Simonis 2015 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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