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Geschichte unserer Umwelt

Denkt man an die Geschichte unserer natürlichen Umwelt, dann entstehen grausige aber auch schöne Bilder. Was kann man, was sollte man aus der Geschichte lernen? Darum geht es in einem schönen neuen Buch. Eine Rezension von Professor Udo E. Simonis

Die Autoren, eine Professorin für Umweltgeschichte und ein Professor für Ökosystemforschung, stellen ihrer Zeitreise einen Satz von Immanuel Kant vorweg: „Das Reisen bildet sehr, es entwöhnt von allen Vorurteilen des Volkes, des Glaubens, der Familie, der Erziehung. …Wer dagegen nichts sah, …hält leicht alles für nötig und einzig in der Welt“. Wenn schon das Reisen solch positive Effekte hat, um wieviel mehr können wir dann von Forschungsreisenden erwarten?

Die Autoren haben sich der Nachhaltigkeit, den komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur verschrieben und postulieren dazu ihren generellen Anspruch: „Der sicherste Wegweiser in die Zukunft (ist) die Lehre aus der Vergangenheit und nicht die modellierte Prognose“. Aus der Kenntnis der Komplexität der Mensch-Natur-Beziehungen ließe sich, so meinen sie, auch ein dem entsprechender ethischer Imperativ ableiten: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“ Da man aber a priori nicht wissen kann, welche Handlungen die Anzahl der Möglichkeiten tatsächlich vergrößern werden, legen sie ihren Umweltgeschichten einen bescheideneren, einen spezielleren Anspruch zugrunde: „Wir sollten all jene Handlungen vermeiden lernen, durch die wir die zukünftigen Wahlmöglichkeiten ganz sicher einschränken würden“.

Aus dieser Selbstbescheidung entstand so ein Buch über vielfältige Nebenwirkungen: Komplexe Systeme verändern sich aufgrund vieler Faktoren, die gleichzeitig wirken und einander gegenseitig beeinflussen – Nebenwirkungen sind dabei der Regelfall. Sie können gravierend sein und erschweren das Handeln mit dem Ziel vermehrter Wahlmöglichkeiten auch bei aller Einsicht und Zuversicht. Dieses theoretische Konzept prägt die 60 Zeitreisen, die in diesem Buch versammelt sind, mehr oder weniger stringent. Es sorgt allein noch nicht für ihre Auswahl und Anordnung.

Hier folgen die Autoren einem eher konventionellen Geschichtsverständnis, das für die Umweltgeschichte re-interpretiert wird: In fünf Kapiteln werden unterschiedlich viele Themen aufgegriffen, die jeweils auf zwei großformatige Seiten kondensiert werden. Diese Selbstbeschränkung führt zu knappen, gelegentlich zu kurzen, aber zumeist präzisen Formulierungen. Die Auswahl der einzelnen Themen wird nicht explizit begründet. Sie mag vielen daher als willkürlich erscheinen, ist aber zugleich spannend, ja spektakulär und teils völlig unerwartet. Dies angesichts der Frage, was war denn wann besonders wichtig und was kann man heute aus der Geschichte für morgen lernen?

Das erste Kapitel „Leben mit der Dynamik der Natur“ umfasst nur fünf Themen, die aber alle höchst illustrativ sind: über Sturmfluten und Küstenschutz an der Nordsee, das Magdalenen-Hochwasser von 1342, die Pestpandemie in Mitteleuropa von 1347 bis 1351, die Vulkanausbrüche auf Island 1783/84 bis zur Dürre im Sahel. Diese und alle anderen Texte sind durch tabellarische oder grafische Darstellungen, durch Schwarz-Weiß- oder Farbfotos angereichert.

Das zweite Kapitel über „Mensch und Natur in Agrargesellschaften“ umfasst zehn Themen: die Geschichte vom Salz, der nachhaltigen Bodennutzung in China, den Wässerwiesen von Grönland, dem Kampf gegen nasse Füße (die Umweltgeschichte der Niederlande) über die verborgenen Gärten der Osterinsel (Steinmulchung) bis zu der Nutzung der Fäkalien in den japanischen Städten. Wer schon viel über die Osterinsel weiß (und Vorurteile hat), erfährt hier einen ganz anderen Aspekt ihres Niedergangs: Die indigene Rapa-Nui-Kultur habe gravierende Umweltveränderungen nicht nur überlebt, sondern sehr erfolgreich gemanagt; erst ein massiver externer Eingriff, die Versklavung, habe diese einzigartige Kultur zerstört.

Im 17. und 18. Jahrhundert war die japanische Hauptstadt Edo so groß wie London, auch Osaka war bereits eine Metropole. Sanitär waren diese Großstädte den europäischen weit überlegen, was damit zusammenhing, dass es in der japanischen Landwirtschaft kaum Vieh gab; Dünger konnte daher fast nur aus menschlichen Exkrementen kommen, die zu wertvoll waren, um in den Boden geleitet zu werden. Daher blieb Trinkwasser aus Brunnen hygienisch unbedenklich; ein gutes historisches Beispiel nachhaltigen Wirtschaftens.

Umweltgeschichte ist auch und besonders eine Geschichte der Macht über Ressourcen und des Konflikts um deren Nutzung. Kapitel 3 und 4 gelten daher der Entwicklung des internationalen Handels, des Kolonialismus und deren Auswirkungen auf die natürliche Umwelt. Viele der behandelten Beispiele zeigen, dass unsere heutigen Umweltprobleme nicht erst mit der industriellen Revolution angefangen haben. Die Autoren betrachten den Baumwoll- und den Viehhandel, die Guanoproduktion, die Invasion von Spezies in Australien, die Veränderungen im Victoriasee, die Zuckerplantagen und mehrere andere Monokulturen.

Den vielen Gesichtern der industriellen Lebensweise gelten die Beispiele in Kapitel 5. Es geht dabei unter anderem um die wahren Preise der Metalle, die Luftverschmutzung in England, die Ölquellen von Baku, die Megatalsperren, die Plagen der Agroindustrie bis hin zum Atomdebakel von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima Daiichi.

Wie aber steht es um Natur und Politik, wie und warum wird die Umwelt bewusst zerstört oder wie geschützt – und was sind da die Nebeneffekte? Die diesbezüglichen Themen in Kapitel 6 reichen von der Entwicklung des Naturschutzes in Deutschland, den diplomatischen Verwicklungen unter Wasser, der Geschichte der Salpeternutzung, der Bändigung des wilden Rheins, der Donau als Kriegsschauplatz, der Rolle der Natur im Nationalsozialismus über den Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg bis hin zum „Earth Day“, den Umweltschutz als Reaktion auf den amerikanischen Imperialismus.

Alle diese Themen und die anderen, die hier nicht erwähnt werden konnten, sind durch ein umfangreiches Literatur- und Quellenverzeichnis abgesichert, was für die Leser, die mehr als nur zwei Seiten zu einem Thema lesen möchten, besonders hilfreich sein wird – auch wenn es einige Lücken aufweist.

Was aber lehren uns die Forschungsreisen in die Vergangenheit, was lehrt uns der spannungs- und facettenreiche Blick in die globale Umweltgeschichte? Von den Erwartungen und Einschätzungen der Autoren war anfangs die Rede. Was meint der Rezensent?

Kein Zweifel: Der Blick in die Vergangenheit kann helfen, viele Nebenwirkungen von Entscheidungen zu erkennen und Fehler zu vermeiden, die schon gemacht wurden. Entscheidend wird also sein, Lehren aus der Umweltgeschichte auch tatsächlich zu ziehen. Das ist gewiss keine kleine Herausforderung. Dann aber gibt es da die Probleme, die es in der Vergangenheit noch nicht, nicht in großer Quantität oder nicht in gefährlicher Qualität gab, wie menschenverursachter Klimawandel, Schädigung der Ozonschicht, dramatischer Verlust an biologischer Vielfalt, zunehmender Wasserstress und akute Wasserknappheit, persistente chemische Schadstoffe und generell: überhöhter industrieller Metabolismus.

Für viele dieser Umweltprobleme müssen erst neue Erkenntnisse über deren Entstehung gewonnen und neue Lösungen für deren Behandlung entwickelt werden. Und dazu gehört auch eine methodische Innovation – die Modellierung, die modellierte Prognose zukünftiger Entwicklungen. Dass Historiker und Modellierer nicht zusammenarbeiten können, möchte ich nicht glauben wollen. Dass sie nicht zusammenarbeiten sollten, wäre ein Fehler.

Ein anderes Fazit: Das Buch ist mit großer Akribie gemacht, die Geschichte unserer Umwelt wird mit viel Liebe erzählt; das Deckblatt könnte einen Schönheitswettbewerb gewinnen und die gemachten Reisen laden zu weiteren Reisen ein. Und weil es trotz der zahlreichen farbigen Abbildungen auch noch relativ preiswert ist, hat das Buch viele Leserinnen und Leser verdient. Es ist ein Nachschlagewerk mit einer Fülle an Informationen und wertvollen historischen Details, eine Wissensquelle für Natur- und Geschichtsliebhaber zugleich – und solche, die es noch werden wollen.

Quelle

Udo E. Simonis 2014 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik amWissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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