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Globale Wasserkrise – kooperative Wasserpolitik

Der Welt steht, verstärkt durch beschleunigten Klimawandel und anhaltende Bevölkerungszunahme, eine akute Wasserkrise bevor. Ein neues Buch beschreibt die Ursachen im Detail und formuliert die Ansatzpunkte einer kooperativen internationalen Wasserpolitik. Eine Einschätzung dazu von Professor Udo E. Simonis

Zwei Ereignisse rücken die Wasserfrage jährlich in den Fokus der Weltöffentlichkeit: die „World Water Week“ des Stockholm International Water Institute und der „World Water Development Report“ der Vereinten Nationen. Ersteres ist ein Ereignis, das zahlreiche Wissenschaftler, Wasserexperten, Politiker, Unternehmer und Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenführt – im letzten Jahr zum Thema „Water for society – including all“. Letzteres ist ein von der UNESCO und 30 anderen UN-Organisationen jeweils zum Weltwassertag (22. März) vorgelegter und auf einen Schwerpunkt bezogener Bericht zur globalen Wasserfrage: 2018 ging es um „Naturbasierte Lösungen in der Wasserwirtschaft“, 2019 um die Forderung „Niemanden zurücklassen“ – die Benachteiligung bestimmter sozialer Gruppen in ihrem Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen zu überwinden.

Nun aber liegt ein Buch eines einzelnen Wissenschaftlers zur Weltwasserproblematik vor – und die Frage entsteht: Kann ein in Deutsch geschriebenes Buch global relevant sein? Zu Zeiten von Immanuel Kant wäre diese Frage unzulässig gewesen. Heutzutage aber besteht der erste Vorschlag des Rezensenten darin, dass dieses Buch von Dieter Gerten, Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin, unbedingt ins Englische übersetzt werden sollte. Und dies aus mehreren Gründen: Es ist ein umfassendes, theoretisch höchst anspruchsvolles, empirisch hervorragend dokumentiertes und zugleich gut verständliches Buch – und es hat einen hochaktuellen inhaltlichen Fokus: Es analysiert die globale Wasserfrage vor dem Hintergrund des sich vollziehenden Klimawandels und der mit der weiteren Bevölkerungszunahme einhergehenden steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln. Der Autor konzentriert sich damit auf den Zusammenhang zwischen (dem zukünftig vorhandenen) Wasser, dem Klimawandel (dem Einfluss auf die Wasserverfügbarkeit) und der Landwirtschaft (dem weiterhin größten Wasserverbraucher).

Zu diesem Zusammenhang stellen sich mehrere zentrale Fragen: Steuern wir auf eine „globale Wasserkrise“ zu, oder befinden wir uns bereits mitten darin? Wie groß sind die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Wasserressourcen und ihre räumliche Verteilung? Ist bei knapper werdendem Wasser noch eine ausreichende Ernährung der weiter steigenden Weltbevölkerung möglich? Aber auch: Was sind die Grenzen und die Möglichkeiten einer nachhaltigeren Wassernutzung? Und letztlich: Wohin mag der Paradigmenwechsel in Wasserforschung und Wasserpraxis führen, der von wirkmächtigen neuen Konzepten wie „grünes Wasser“, „virtueller Wasserhandel“, „weiches Wassermanagement“ ermöglicht beziehungsweise beeinflusst wird? Der Autor betont von vorherein, dass alle diese Fragen sich um zwei an und für sich nicht verrückbare Tatsachen drehen: Die nachhaltig erschließbaren, überlebensnotwendigen Süßwasserressourcen der Erde sind begrenzt und – und sie sind sehr ungleich in Raum und Zeit verteilt.

Kapitel 1 des Buches ist der Vielfalt der weltweiten Wasservorkommen gewidmet. Doch die erste Frage lautet: Wie kann es sein, dass auf dem Planeten Erde, der die enorme Menge von rund 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser beherbergt und dessen Fläche zu über 70 Prozent mit Wasser bedeckt ist, überhaupt von Wassermangel die Rede ist. Die Antwort darauf ist einfach: Fast alles Wasser der Erde ist Salzwasser; es verbleiben nur 0,3 Prozent an weltweiten Süßwasservorkommen in Flüssen, Feuchtgebieten, Seen, Böden und der Atmosphäre. Der besondere und inhaltlich hoch interessante Beitrag des Kapitels besteht in der Differenzierung der verschiedenen Wasserkategorien: blaues Wasser, grünes Wasser und virtuelles Wasser.

Der Autor würdigt zunächst die historische Leistung der schwedischen Hydrologin Malin Falkenmark, die das Begriffspaar „blaues Wasser“ und „grünes Wasser“ in den Diskurs einführte. Ihre Botschaft: Allzu lange habe nur das in Flüssen, Seen, Grundwasserspeichern und Talsperren vorhandene und zur menschlichen Entnahme nutzbare blaue Wasser im Blickpunkt der Debatte gestanden. Das unsichtbare, in den Boden eingedrungene Regenwasser – das „grüne Wasser“ – sei hingegen in Forschung und Praxis sträflich vernachlässigt worden, was in dem Sinne erstaunlich sei, als dieses Wasser doch Voraussetzung für den weitaus größten Teil der Biomasseproduktion ist. Eine erste Folgerung daraus: Ein einseitiger Fokus auf blaues Wasser führt fast zwangsläufig zu einer Überschätzung des regionalen wie des globalen Wassermangels.

Neben dieser Unterscheidung hat die Suche nach verstecktem Wasser den globalen Wasserdiskurs enorm beflügelt: der Umstand nämlich, dass für die Herstellung aller Produkte, die der Mensch konsumiert – je nach Produkt und Herkunftsort – höchst unterschiedliche Mengen an Wasser benötigt (verbraucht) werden. Der englische Geograph Tony Allan hatte hierzu Anfang der 1990er Jahre den Begriff „virtuelles Wasser“ geprägt, damit Myriaden von diesbezüglichen Wasserstudien angestoßen und den Diskurs über globale und globalisierte Wassernutzung drastisch verändert.

Die von Arjen Hoekstra und Kollegen dazu vorgelegte Studie (Globalization of Water, 2008) ist die wohl meist zitierte, die dabei ermittelte Größenordnung des virtuellen Wassers eines Kilogramms Rindfleisch die spektakulärste Aussage: In der industriellen Nutztierhaltung wird ein Rind nach durchschnittlich drei Jahren geschlachtet und liefert ca. 200 kg Fleisch; bis dahin hat es nahezu 1 300 kg Getreide sowie 7 200 kg Gras, Heu und anderes Futter gefressen, worin eine virtuelle Wassermenge von über 3 Millionen Litern steckt. Umgerechnet ergibt sich damit ein durchschnittlicher virtueller Wassergehalt von mehr als 15 000 Litern pro Kilogramm Rindfleisch. Das ist weitaus mehr Wasser, als von rein pflanzlichen Produkten beansprucht wird (Kartoffeln 250 l/kg; Äpfel 700 l/kg) und das Drei- bis Vierfache der für 1 kg Schweinefleisch oder Geflügel benötigten Menge.

Es gibt inzwischen viele derartige Bilanzierungen für Produkte aller Art – von Jeans bis zur Pizza. Der Autor verschweigt aber nicht, dass Zahlenangaben zum Wassergehalt von Produkten nur mit großer Vorsicht zu genießen sind – insbesondere im globalen Zusammenhang, weil zum einen die Differenzierung in grünes und blaues Wasser das Ergebnis mitbestimmt und zum anderen die regionalen Unterschiede enorm sind, was die (theoretisch interessante wie praktisch relevante) Frage aufwirft, ob Güter mit hohen virtuellen Wassergehalt nur in wasserreichen Ländern angebaut und in wasserarme Länder exportiert werden sollten.

Alle Bilanzierungen dieser Art zeigen aber auch, dass jeder Mensch seinen persönlichen „Wasserfußabdruck“ durch eine Änderung der gewohnten Ernährungsweise drastisch reduzieren kann. Die persönliche Schlussfolgerung des Autors dazu: Die Wasseraneignung in ihrer Unterschiedlichkeit adäquat zu erfassen ist eine spannende wissenschaftliche und zunehmend auch praxisrelevante Diskussion (S. 62).

In Kapitel 2 gibt der Autor einen Überblick – „eine kurze Weltgeschichte“ – der globalen Wassernutzung. Dies sind einerseits faszinierende Passagen über die kleinteiligen wasserbaulichen Meisterleistungen seit der antiken Welt und andererseits bedrückende Passagen über die großvolumigen Fehlleistungen der Neuzeit. So ist z.B. seit 1900 die Anzahl der großen Staudämme mit einer Mindesthöhe von 15 Meter von wenigen hundert auf derzeit über 58 000 gestiegen, fast die Hälfte davon in China. In Indien soll das „River Linking Project“ 37 große Flüsse durch ein Kanal- und Tunnelsystem über eine Gesamtlänge von 15 000 Kilometer miteinander verbinden. Die „World Commission on Dams“ hatte im Jahr 2000 einen höchst kritischen Bericht über Staudämme vorgelegt. Peter Gleick hat 2003 die negativen Auswirkungen dieses „harten Pfades des Wassermanagements“ ausführlich beschrieben und sein Gegenmodell eines „weichen Entwicklungspfades“ vorgestellt, worauf in Kapitel 6 dieses Buches näher eingegangen wird.

Welche Mengen an Wasser sind bei diesen historischen Entwicklungen im Spiel gewesen? Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst einige grundsätzliche Begriffsdefinitionen erforderlich. Unter „Wassernutzung“ versteht man die Entnahmen von blauem Wasser aus Flüssen, Talsperren, Seen und dem Grundwasser, wovon ein größerer Teil wieder in die Gewässer zurückfließt. Der „Wasserverbrauch“ ist hingegen die tatsächlich aufgebrauchte Menge, die entweder gar nicht, erst viel später oder erst in größerer Entfernung über den Verdunstungs- und Niederschlagskreislauf in das Gewässernetz zurück gelangt. Beide Größen werden üblicherweise für drei Sektoren angegeben: die Landwirtschaft (speziell die Bewässerung im Nahrungs- und Futtermittelanbau), die Industrie (einschließlich Stromerzeugung durch Wasserkraft und Kühlwassernutzung) und den kommunalen Bereich und der privaten Haushalte (Trinkwasser sowie Wasser zum Kochen, Waschen und sanitären Gebrauch). Aus der statistischen Betrachtung der Zeit von 1900 bis 2010 (in Abbildung 5) werden drei Sachverhalte deutlich: zum einen der ungebrochene Aufwärtstrend von Wasserentnahme und Wasserverbrauch, zum zweiten die Dominanz der Landwirtschaft in dieser Entwicklung sowie zum dritten die Annäherung des Gesamtwasserverbrauchs an die (provisorisch bezifferte) globale Grenze.

Die jährlichen Gesamtsummen sind von 1900 bis 2010 um fast das Siebenfache gestiegen, stärker noch als die Weltbevölkerung: die Wasserentnahme auf knapp 3650 km3 und der Wasserverbrauch auf rund 1620 km3 (nach anderen Schätzmethoden auch rund 2200 km3). Diese Werte blieben zwar hinter den ersten, Mitte der 1960er bis Mitte der 1980er erstellten Prognosen zurück, doch hat die tatsächliche Entwicklung den globalen Wasserverbrauch auf ein Niveau gehoben, das nicht mehr sehr weit von der planetaren Grenze entfernt ist, die nach neueren Positionsbestimmungen bei 2800 km3 im Jahr liegt.

Ungeachtet der bestehenden Schwierigkeiten, einen globalen Grenzwert des Wasserverbrauchs zu bestimmen, dürfe nicht übersehen werden, so betont der Autor, dass die lokalen Toleranzgrenzen in vielen Gegenden der Welt bereits ausgereizt sind: Der ökologische Zustand vieler Flussabschnitte ist sehr schlecht, die Qualität des Grundwassers ist durch Chemikalien und Güllefrachten stark beeinträchtigt. Die zentrale Herausforderung besteht seiner Einschätzung nach darin, den Wasserverbrauch der Landwirtschaft, verschiedener Industrien und der Haushalte so zu begrenzen, dass die ökologischen Toleranzgrenzen eingehalten werden und gleichzeitig die Nahrungsmittelproduktion für die weiter zunehmende Weltbevölkerung noch gesteigert werden kann.

In den Kapiteln 4 und 5 des Buches geht es um die großen Fragen, wie der globale Klimawandel die Wasserressourcen beeinflussen wird und wie genug Wasser für die Nahrungsmittelproduktion gesichert werden kann. Dies sind sehr lesenswerte Passagen, die auf der Basis eines strikten Bekenntnisses zu einer progressiven Klimapolitik geprägt sind. Wenn die Klimagrenzwerte, die im Pariser Klimaabkommen von 2016 vereinbart sind nicht eingehalten werden, könnte die Gesamtbevölkerung der Länder, deren blaue und grüne Wasserreserven nicht ausreichen, um Nahrungsmittel in Höhe von 3000 kcal/Kopf/Tag selbst zu produzieren, zum Ende des Jahrhunderts auf 3,5 bis 6,1 Milliarden Menschen ansteigen – eine furchterregende Zahl. Eine schnelle und radikale Umkehr hin zu einer nachhaltigen Land- und Wasserwirtschaft sei daher das Gebot der Stunde.

Dieter Gerten ist trotz solch düsterer Aussagen kein Pessimist. Es gibt, so betont er, ein großes Spektrum an Optionen zur Wassereinsparung in der Landwirtschaft und zur Schließung der entstehenden globalen Wasserlücke, die er im Text ausführlich darstellt und in Abbildung 9 noch einmal kurz und knapp zusammenfasst (S.114): Steigerung der Wasserproduktivität; Niedrigerer Anteil tierischer Nahrungsmittel; Direkte Hilfe bei verbleibender Unterernährung; Umwandlung von Weideland in Ackerland und strategische Senkung der Tierbestände; Internationaler virtueller Wasserhandel; weitere Ausdehnung sparsamer Bewässerung – Ansatzpunkte einer Politik, die auch überschrieben werden könnte mit der Forderung: „Hin zu einem weichen Entwicklungspfad in der Wasserwirtschaft“ und „Für ein neues Wasserethos“ – Themen der Kapitel 6 und 7 des Buches. Spannend und gut geschrieben ist auch das Schlusskapitel 8: „Resümee und Perspektiven“.

Fazit: Das Buch von Dieter Gerten ist voller innovativer Ideen und konkreter Empfehlungen, ein Buch provokativer Herausforderungen und praktischer Lösungsvorschläge, ein Buch für Schüler und Studenten, die die Welt verändern wollen – aber auch für Politiker und Berater, welche die Brisanz der globalen Wasserkrise unterschätzt und die Formulierung und Umsetzung einer kooperativen internationalen Wasserpolitik zu sehr vernachlässigt haben. 

C.H.Beck Verlag
Quelle

Udo E. Simonis 2019 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) 

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