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Intelligent wachsen – Die grüne Revolution

Die Schönheit der Moderne oder der Gerechtigkeit? Zu einem Buch über die Ökomoderne. Von Rupert Neudeck

Dass wir mal das Buch eines Grünen lesen würden, der die Neigung, den Kapitalismus zu kritisieren, zähmen will, hätten wir uns ja wohl vor 30 vierzig Jahren nicht träumen lassen. Aber es kommt dazu in dem Buch von Ralf Fücks, dem Vorsitzenden der Heinrich Böll-Stiftung, Mitglied der Grünen seit 30 Jahren, wie es schon im Klappentext heißt.

In wuchtigen Traktat-ähnlichen Kapiteln legt er das ganze Regierungsprojekt einer grünen Regierung vor, an der sich die Sozialdemokraten und, wenn nötig auch die Christlichen Demokraten, beteiligen dürfen.

Selbst nach dem großen Katzenjammer der Krise der Lehman-Banken und dem Platzen der Immobilienblase stellt niemand mehr bei den Grünen die Systemfrage. Sondern man bemitleidet die, die die Systemfrage wieder mal stellen, „auf Theaterbühnen und Konferenzen“. Die Revolution sei zwar vertagt, „auch mangels eines revolutionären Subjekts und einer halbwegs überzeugenden Alternative. Was aber bleibt, sei eine nachhaltige Legitimationskrise der Marktwirtschaft.

Das ist es schon und immer wieder die Nachhaltigkeit als Legitimation für eine Regierungsbeteiligung der Grünen. Das Buch könnte als Koalitionspapier sowohl mit der SPD wie mit der CDU durchgehen. Es setzt nicht mehr auf radikale sondern nur noch auf weiche Ziele. Aber: Schon die Urväter des Sozialismus unterschätzten gründlich die Wandlungsfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Sie zeichne sich ja auch dadurch aus, dass sie noch jede Opposition in Innovation verwandelt habe.

Die Antiautoritäre Rebellion von 1968 beschreibt der Autor so reduktionistisch, dass man als 68er protestieren möchte. Sie sei ein „Treiber für Individualisierung und Kreativität gewesen. In ökonomischer Hinsicht habe sie die Expansion des Dienstleistungssektors und der Kulturindustrie gefördert“. Da muss ich mir doch die Augen reiben: Haben wir da in verschiedenen Kontinenten gelebt, lieber Ralf Fücks?

Positiv muss man sagen: Der Autor steckt in allen Facetten und Nischen der ökologischen Debatte, weiß die Positionen gerecht zu referieren; er kann auch gut schreiben. Das Buch wirkt im Unterschied zu vielen Schnellschüssen ausgeruht, reflektiert, sorgfältig komponiert. Das Buch steigt ein bei der apokalyptischen Frage: Endzeit oder Gründerzeit, behandelt unser aller Unbehagen (irgendwie) am Wachstum und streitet gegen den Ökopessimismus. Durchgängig hat das Buch den Charme, niemals aufzugeben, niemals in das Faulbett der Dekadenz-Vermutung und des Pessimismus zu steigen. Das gibt der Lektüre einen kräftigen Schwung.

Das erste Kapitel widmet sich der „Welt im Wandel“ – natürlich beginnend mit China. Es verfolgt dann den Weg der Prognosen von Dennis Meadows in die „Grenzen des Wachstums“. Es referiert das „Unbehagen an der Moderne“, besonders wohl bei denen, bei denen der Autor seine frömmsten Stunden zugebracht hat, bei den Öko-Grünen. Er referiert den Rudolf Bahro fast zu gerecht, wo er manchmal verschroben und nur noch eklektizistisch ist. Das vierte Kapitel dann über die „Grüne industrielle Revolution“, das fünfte über die „Bioökonomie“. Im sechsten Kapitel geht es um die „Biologisch-dynamische Landwirtschaft“, abseits der modischen Semantik. Der Autor geht auf die Energiewende ein, verabschiedet den Klimakiller Kohle.

Dann beschreibt er optimistisch die „postfossile Stadt“, Die Ecocities, sehr mutig und aufgeschlossen, wie wenn er nach Stuttgart und Tübingen ganz beflügelt erscheint. Das vorletzte Kapitel widmet er einem Begriff, der früher eine „contradictio in adjecto“, ein Widerspruch in sich selbst gewesen wäre, aber da hat sich heute einiges geändert: Der Ökokapitalismus. Das Schlusskapitel widmet er der Politik der ökologischen Transformation. Und das Kapitel konnte man einer neuen Koalition nach den Wahlen vorlegen im Oktober 2013, das würde sowohl für Rot-Grün, wie für Schwarz-Grün passen. Wetten, dass?

Was mich wundert: Dass neben allen guten vernünftigen Vorschlägen der Kampf gegen Stuttgart 21 als Signal gegen Hybris nicht stärker zur Geltung kommt. Denn Hybris gibt es natürlich auch, dass eine Megastadt in Mitteleuropa ihre urbane Gepflegtheit mindestens zehn Jahre aufgibt, zehn Lebensjahre für eine ganze Generation, um zu erreichen, dass einige Züge die Strecke von Stuttgart nach Ulm zehn oder fünfzehn Minuten schneller machen, das ist objektiv Hybris und Wahnsinn.

Nicht gegen große Unternehmungen, auch global. Zu wünschen wäre die Eisenbahnverbindung von Stuttgart nach Peking oder die von Stuttgart nach Kapstadt, aber doch nicht die von Stuttgart nach Ulm, nur mal 10 Minuten schneller. Zu wünschen wäre gewesen, die Bundeswehr, wenn man sie schon für ein paar Jahre nach Afghanistan bringt, würde etwas dort zu tun kriegen außer Sportübungen, Biertrinken und Mülltrennung, z.B. Aufforstung um die Großkaserne betreiben, immer weiter, nach dem Vorbild der türkischen Armee. Aber dazu hätten die Soldaten ja die schützende Kaserne verlassen müssen, die 85 Prozent der Soldaten in vier Monaten nicht einmal verlassen.

Sehr gut die Beschreibung der Verlustängste im Anschluss an Christoph Binswanger und Johann Wolfgang Goethe. Das hätte ein eigenes Buch werden können, denn es trifft den Menschen meiner Generation ins Herz. Der Verlust an Schönheit, das wäre ein gewaltig wichtiges Kapitel, um das sich niemand bisher kümmert. Die Welt war schön, bevor der Mensch anfing, ihr seinen Stempel aufzudrücken. So simpel ist es nicht, aber von Goethe bis Böll kann der Autor, jetzt Vorstandschef der sog. Böll-Stiftung sich die Beispiele aus der Literatur herausklauben: Ernst Bloch inbegriffen.

Die zweite Klage gilt dem Verlust an Sicherheit infolge der durch Technik beschworenen Gefahren. Die Klage geht auf den dritten Verlust über die zunehmende Unfähigkeit, den Reichtum, den man erzeugt, zu genießen. Gut formuliert von Fücks: Die Sorge vor der Zukunft hindert den privilegierten Teil der Menschheit nicht, „das Leben auf den Sonnendecks der Titanic aus vollen Zügen zu genießen.“

Das Großartige an dem Buch und seiner Konzeption: Da ist kein Verächter des großartigen technologischen Fortschritts, den wir ja auch alle ehrlicherweise nicht missen möchten. Auch die Demokratie gehört dazu, die uns allen immer noch mehr bedeutet als jeder wohlwollende Diktator. Die Demokratie habe einen Zug zum Mehr: Den Ausbau von mehr Kindergartenplätze, mehr Betreuungsgeld, garantierte Mindestrenten, verbesserte Pflegeleistungen, kostenloses Studium, neue Konzerthäuser.

Dass Deutschland – so Ralf Fücks – zum Vorreiter für Umweltschutz und Umwelttechnik wurde, sei Ergebnis jahrzehntelanger Kritik und Opposition. Fücks: „Wer autoritäre Regimes bewundert, verkennt die Bedeutung demokratischer Rückkoppelungsmechanismen für ökologische Lernprozesse.“ Und, mit Hannah Arendt besteht er auf dem Grundsatz, dass Ziel aller Politik die Freiheit sei. Das gelte auch für grüne Politik.

Auf jeden Fall lässt sich dieses Buch nicht auf die übliche Miesmacherei ein. Meadows und viele andere sind skeptisch, was die Vereinbarkeit von Demokratie und Nachhaltigkeit betrifft. Meadows: „Die Menschen haben einen zu kurzen Zeithorizont. Wenn sie die globalen Probleme lösen wollen, etwa den Klimawandel, müssen sie einen Zeithorizont von 30, 40 oder 50 Jahren haben.“

Politiker aber denken nur bis zur nächsten Wahl. Deshalb sei es zu keinem verbindlichen Klimaschutzabkommen gekommen. Aber es bleibt die Erkenntnis der Existenzphilosophie von Sören Kierkegaard bis Nietzsche, dass die Möglichkeit immer größer sei als die Wirklichkeit. Sehr klug hat Ralf Fücks dem Buch zwei Zitate vorgestellt, ein tief sitzendes und ein locker daherkommendes.

Das eine Motto ist von Friedrich Wilhelm Nietzsche (aus „Also sprach Zarathustra“): „Tausend Pfade gilt es, die noch nie gegangen sind, tausend Gesundheiten und verborgenen Eilande des Lebens. Unerschöpft und unentdeckt sind immer noch Mensch und Menschen-Erde.“

Und dazu das schnell gesprochene Diktum des Philosophen der Übergangszeit Peter Sloterdijk: „Das bloße Weitermachen ist kriminell. Die bloße Verzichtsethik naiv. Dazwischen liegen die intelligenten Wege.“

Der Heinrich Böll,  der der Grünen-Stiftung den Namen gab, das aber nicht mehr auf Erden erfahren hat, warf eine ganz neue Dimension von Schönheit auf, die in diesem Buch wie in unserer Realität der Politik des 21. Jahrhunderts noch fehlt: Es sei, schön,

„ein hungerndes Kind zu sättigen, /ihm die Tränen zu trocknen, ihm die Nase zu putzen. Es sei schön, einen Kranken zu heilen.“

„Ein Bereich der Ästhetik, den wir noch nicht entdeckt haben, ist die Schönheit des Rechts. Über die Schönheit der Künste, eines Menschen, der Natur können wir uns halbwegs einigen. Aber Recht und Gerechtigkeit sind auch schön, wenn sie vollzogen werden.“

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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