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Islamischer Staat: IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden

Erste Darstellung der ISIS in Syrien/Irak. Und vor dem Hintergrund der Krisen in den beiden arabischen Ländern. Von Rupert Neudeck

Das ist ein in vieler Hinsicht erstaunliches Buch. Der Autor kennt sich in den Arabicis aus, er versteht ganz offenbar die Sprache, hat sich noch 2005 im Studium in Syrien getummelt und beginnt sein Vorwort damit, dass er das Land damals als „kleines Paradies“ apostrophiert:  Ein Paradies der Architektur, der Kultur, der geschichtsträchtigen Plätze, der kulturellen und religiösen Vielfalt und „natürlich der kulinarischen Genüsse“. Es gab die Beobachtung der Staatssicherheit, aber für den Besucher war das eher ein Gefühl der Sicherheit, weniger der Überwachung.

Nun bietet das Buch eine Schwierigkeit für den Leser. Es ist geschrieben eben nicht nur von einem kundigen Islamwissenschaftler, sondern auch von einem Festangestellten beim Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg. Der Autor kann nichts dafür, aber der Verfassungsschutz ist nach den Pannen im Verlauf der langjährigen NSU-Tragödie in einem denkbar schlechten Ruf. Außerdem muss man sich manchmal fragen: darf der Mann alles sagen, was er weiß?

Macht man sich von diesen Vor-Urteilen beim Lesen des Klappentextes frei, dann erlebt man eine geballte Information über die Netzwerke, die ganz offenbar auf junge Menschen und Muslime in der Welt eine phänomenale Faszination weiterhin ausüben. Das Buch schildert sehr offen die IS-Milizen, die uns alle außer Atem halten, die al Qaida Netzwerke und die deutschen Brigaden.

Das Buch gliedert sich sehr klar in vier Teile. Der erste geht zurück in die Vorgeschichte der syrischen Machtergreifung des Hafiz al Assad, des Vaters von Baschar al Assad, der in Teilen seines Landes immer noch regiert. Das Kapitel beschreibt die unglaubliche Zerstörungswut des größten Autokraten der Neuzeit, Hafez Assad, der den Aufstand der Muslimbruderschaft in Hama niedergewalzt hat, dass man bei so viel Konsequenz noch nachträglich einen Schrecken bekommt. Der zweite Teil behandelt den Beginn der syrischen Revolte, allerdings berücksichtigt der Autor nicht die vielen zivilen Netzwerke, die sich abseits der militärischen Fronten und Milizen gebildet haben. In diesem Teil behandelt der Autor schon die merkwürdig konkurrierenden Führungsansprüche der beiden großen terroristischen Netzwerke Al Qaida und Isis.

Der Autor gibt zwischen dem zweiten und dritten Teil einen interessanten Exkurs: Er verweist darauf, dass es schon einmal in der Zeitgeschichte solche Internationalen Brigaden gegeben hat. Das war im spanischen Bürgerkrieg von Mitte Juli 1936 bis April 1939, als Franco und der Faschismus über die Aufständischen trotz der Brigaden gesiegt hatten. Hintergrund der Krise war der Wahlsieg der Linken unter Führung d er Sozialisten im Juli 1936. Am 18. Juli 1936 forderte der General Francis Franco die legitime Regierung auf, die Macht an das Militär abzugeben. Da die Koalition das ablehnte, gab es einen dreijährigen blutigen Bürgerkrieg, der die engagierten jungen, meist linken Kräfte der Jugend Europas aus allen Teilen des Kontinents nach Spanien brachte. Das Dabeisein im Spanischen Krieg und im Kampf gegen den Faschismus war geradezu ein Gütezeichen für die kommende Generation linker und auch sozialistischer Politik. George Orwell, Arthur Koestler und Ernest Hemingway haben den Mythos dieses Kampfes zur Genüge beschrieben.

Der Vergleich mit den Terror-Brigaden im Nahen Osten, also in Syrien und im Irak hinkt wie jeder geschichtliche Vergleich. Aber er hat etwas für sich. Es gehen junge Leute zur Bewährung nach Syrien, sie vertreten nicht mehr die Ideale der menschheitsbeglückenden Sozialisten, sondern unglaublich verquaste religiöse Ziele, die dem Anspruch der großen abrahamitischen Religion nicht standhalten. Deshalb gibt es gegen die ISIS mehr noch als gegen die al Qaida seinerzeit auch schon regelrecht theologisch begründete Fatwas.

Der Vergleich mit Spanien hinkt auch an der Stelle: Diese Jugend Europas begab sich sehr enthusiastisch in diesen Krieg gegen den Faschismus. Die dem Verfassungsschutz bekannt gewordenen jungen Leute auf dem Weg nach Syrien sind eher – verführte junge Leute, die einem vordergründigen Kampf zur Befreiung dienen, aber im Grunde nur Furcht und Schrecken verbreiten, selbst aber sehr viel verdienen, die mit Geld angelockt werden und der Aussicht auf Exekutionen und Entführungen.

Wenn der Autor dann beschreibt, wie viele Europäer mittlerweile von einer Innenministerkonferenz der EU in Athen gezählt worden sind, nämlich 2000 Europäer, die sich am Krieg in Syrien beteiligen, dann bekennt er die Probleme bei der „Erfassung und Zählung der Personen. „Nicht jede Jihad Reise kann als solche erkannt werden“. Zum anderen enthüllt er die statistischen Fehler, die dadurch auftauchen, dass einzelne Länder jede Reisebewegung ein und derselben Person zählen. Für Deutschland wurde die Zahl von 109 genannt. Es gäbe auch ausländische Unterstützer auf Seiten des Assad Regimes. Die meisten davon sind Mitglieder schiitischer Milizen.

Der dritte Teil widmet sich den „Deutschen im syrischen Djihad“. Das Kapitel ist wahrscheinlich das bislang aufschlussreichste, weil es uns beschreibt, mit wie vielen Fanatikern dieser Sache wir es in Deutschland zu tun haben. Angefangen mit dem ursprünglich in Österreich beheimateten Netz Millatu – Ibrahim, dessen radikaler Prediger Mohamed Mahmood aus Wien kommt sowie mit dem interessanten Ex-Rapper aus Berlin Denis Cuspert, den der Autor zu kennen scheint oder den er jedenfalls zu beobachten hatte. Das ist das Kapitel, wo der Autor am weitesten in eine Biographie hineingeschaut hat, die zu der Beteiligung an einer Terroristen Karriere geführt hat. Denis Mamadou Cuspert ist 1975 in Berlin Kreuzberg geboren  und unter schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen aufgewachsen-. Sein Vater stammte aus Ghana und wurde dorthin abgeschoben, als Denis noch ein Kind war. Er wuchs bei seiner Mutter und dem Lebensgefährten auf. Als Jugendliche wurde er kriminell, – wie er selber sagt durch den Einfluss amerikanischer Rapper, zu denen die Jugendlichen aufsehen.

Aber es gab auch eine Sehnsucht nach Sinn, eine spirituelle Sinnsuche, um aus der total ungeordneten familiären Situation heraus zu kommen. So geriet er in Kontakt mit der sunnitischen Kaplan Bewegung und der später 2003 in Deutschland verbotenen Hizb al Tahrir – Bewegung, Er konvertierte vom der Sunna zur Schia, verließ die Schiiten aber wieder, da ihm auffiel, dass „die Lehren der Schiiten der Tradition des Propheten entgegenliefen“. Richtig gläubig scheint er erst 2009 geworden zu sein, als er begonnen hat, den Islam zu praktizieren. Im Juli 2008 hatte er einen schweren Verkehrsunfall, der ihm eine schwere Kopfverletzung einbrachte. Der Gaza Krieg 208/2009 politisierte Cispert. Er traf auf den Berliner Prediger Abdul Adhim, der die Jugendlichen weg von Kriminalität und Drogen bringen will. Über Adhim bekam Cuspert Kontakt mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel. Er wurde dann richtig radikal und sonnte sich im Gefühl, ein Staatsfeind zu sein. „Mit seinem Lebenswege konnte sich wohl nicht wenige Angehörige der salafistischen Szene identifizieren. Er veröffentlichte immer mehr deutschsprachige jihadistische Lieder“. In diesen Liedern wurde Osama bin Laden verherrlicht, in einem anderen der Hass auf die „sterbenden kuffar“, die Ungläubigen, zelebriert. Mahmoud hatte diese Radikalisierung mitbekommen, kam dann nach Berlin zu Cuspert und am 4. 11 2o11 ging Millatu Ibrahim mit einer eigenen Homepage online.

Damit waren, so das Buch, zwei gefährliche Hetzer zusammen, um0 die deutschen Jihadistzen Szene aufzumischen und unter der Fahne der „Gemeinschaft Abraham“ zu vereinigen.  Es geht um die Fragen, wie weit diese militärisch konstituierten Bewegungen eigentlich außer zur Disziplinierung etwas mit dem islamischen Glauben überhaupt zu tun haben.

Der letzte Teil geht dann um die spannende Frage, ob es eine weitere Herrschaft von Baschar al Assad und seinem Clan in Syrien geben kann, oder ob die untereinander heftig zerstrittenen Gegner  eine neue Staatlichkeit begründen können.

Der Autor stellt die Frage, ob diese militärische Bewegung der ISIS oder jetzt IS eine neue Staatlichkeit und eine neue Staatsbürgerschaft zu begründen in der Lage ist?! Die Kernfrage bleibt auch nach der überwältigenden militärischen Leistung der Eroberung von Mosul am 9. Juni 2014 und der Vertreibung der irakischen Armee noch offen: „Kann IS nicht nur erobern, sondern auch regieren?“ Kann die Miliz auch in ihrem eroberten Territorium „Legitimität, Effektivität und Nachhaltigkeit unter Beweis stellen“? Davon werden abhängen, ob diese Miliz vom „Verbündungseffekt mit den Verlierern der Regierungszeit von al Maliki weiter profitieren kann“? Oder ob die sunnitischen Stämme und andere Aufstandsgruppen ihre Waffen gegen die Jihadisten wenden, so wie sie es ab 2006 bereits getan haben. Die Geschichte – sagt der Autor – habe gezeigt, dass Jihadisten bisher nicht in der Lage waren, eigene Staatlichkeit und Herrschaft langfristig auszuüben. Und ob er die Menschen, die Bevölkerung nicht nur zu hunderttausenden tyrannisiert und verjagt, sondern auch gewinnen kann.

Es bleibt dem Leser die Fremdheit der führenden Figuren auch hier nicht erspart. Was wir von diesen Leuten wie Osama bin Laden oder auch dem neuen selbst erkannten Kalifen Abu Bakr al Baghdadi wissen, ist so spärlich, dass diese Figuren auch erfunden oder als Film und Videofiguren existieren könnten. Von dem Abu Bakr wissen wir zumindest, dass das sein Kriegsname war und er sich als Kalif Ibrahim bei seiner ersten Rede am 4. Juli 2014 in Mosul vorstellte: „Gebieter der Gläubigen“.

Das Buch ist wertvoll, aber nicht immer konsistent in den Quellen und Zuschreibungen. Manchmal agiert der Autor als professioneller Journalist, der bemerkt, dass er für ein Datum keine unabhängigen Quelle hat. Dann wieder beruft er sich auf die Netzwerke, hält aber zwischendurch zu Recht fest:¨“Wie im Krieg üblich sind alle Angaben stets mit Vorsicht zu genießen und oftmals schwierig zu überprüfen, da jede Partei ein Interesse daran hat, ihre Sichtweise als die richtige zu präsentieren“.

Eine zweite Beobachtung: Es gibt Rivalitäten zwischen Al Qaida und ISIS. Aiman al-Zawahiri war der mutmaßliche Nachfolger von Osama bin Laden, er hatte mit dem Kampf in Syrien ein „noch nie dagewesenes Problem“: Im selben Territorium agierten nicht mehr eine, sondern zwei Milizen, die sich beide erst darauf beriefen, Kern-al Qaida  zu sein und ihr gegenüber den Treueid geleistet zu haben. ISIS hatte kurz nach der Namensausrufung (Isis für Syrien und den Irak) im April 2013 die Mitglieder der Miliz von Jabhat al-Nusra aufgefordert, sich Isis unterzuordnen. Al Zawahiri fühlte sich in seiner Autorität angetastet. Er schlug sich 2013 auf die Seite von al Jaulani und Kabhat al Nusra und forderte die ISIS aufm, sich auf den Irak zu beschränken.

Das Interessante ist wohl, dass es diesen Zwist gibt, aber die politischen und diplomatischen und geheimdienstlichen  Kräfte der westlichen Nationen daraus nichts für sich selbst gewinnen können. Es gab Anfang 2014 sogar militärische Konfrontationen zwischen den Anhängern von ISIS und der Al Nusra. Anhänger von ISI veröffentlichten im Februar 2014 eine Erklärung „Zur Unterstützung des Islamischen Staats“. Zwanzig Jihad Ideologen hatten unterschrieben. Darunter war auch ein Abu Usama al-Gharib, hinter dem sich „höchstwahrscheinlich“ Mohamed Mahmoud von Millatu-Ibrahim versteckt. Dieser sei zwar bei der Publikation des Manifestes in Haft in der Türkei gewesen, hätte aber aus dem Gefängnis heraus mit seinen Anhängern kommunizieren können.

Die Spannungen gingen so weit, dass ein ISIS-Kritiker Abu Khalid al-Suri am 23. Februar 2014 ermordet wurde. Dass sich Aiman al Zwawahiri zu dem Mord äußerte, spricht dafür, dass die Spannungen groß sind, aber von außen nicht zu benutzen.

Es gibt nicht Gespräche oder Interviews mit beteiligten Muslimen an diesen Feldzügen, der Autor lebt von der Internetszene, den Netzwerken, den Websites und eben vielen „höchstwahrscheinlich“. Das soll aber nicht die Güte und Qualität des Buches bemäkeln, das in dieser Dichte Informationen zusammengebracht hat, die der Leser und Bürger bisher noch nicht zur Verfügung hatte.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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