Kirche, Macht und Geld
Kann ‚man’/ich in dieser Kirche noch bleiben? Eine unerbittliche Frage stellt sich am Ende der Lektüre. Von Rupert Neudeck
Das Buch hat mich tief nachdenklich gemacht, nicht weil es in den vielen klug zusammengestellten Kapiteln etwas ganz Neues aufweist, sondern durch die geballte Darstellung einer Kirche und einer Christenheit, die in den Sachzwängen ersäuft. Wenn man bei Drobinski erfährt, wie stark die Kirche und die Bindung an die Botschaft von Jesus Christus schwindet, und diese gleiche Kirche aber die Macht- und Geldpositionen aufrechterhält, dann wird einem ganz schwindlig. Man entdeckt genau das, was wohl diesen Papst Franziskus umtreibt: Wir müssen um Jesus Christus und seiner Botschaft willen die Bastionen schleifen, Machtpositionen freiwillig und ausdrücklich aufgeben, um das Wesentliche zu bewahren und zurückzugewinnen.
Es sind Abgründe, zu deren Überbrückung man schon eine geballte Ladung an Verdrängung aufbieten muss. Die Katholische Kirche hat sehr weitgehende Vorstellungen davon, wie der gute Katholik leben soll. Jenseits der Pflicht zur Kirchenzugehörigkeit geht es dabei vor allem um die Sexualität. Dazu sagt der Autor: In keinem Bereich des Verhältnisses von Staat, Kirche und Gesellschaft sind die Ansprüche der Kirchen und die Wirklichkeit in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren so weit auseinander gedriftet wie beim „Arbeitgeber Katholische Kirche“.
Die Kirche schrumpft sich kaputt, aber die Caritas ist Deutschlands größter Unternehmer: Der Verband beschäftigt in 25.000 Einrichtungen mehr als 550.000 Menschen, zusätzlich engagieren sich dort mehr als eine halbe Million Menschen. Freiwillig. Insgesamt 1,5 Mio. Betten oder Plätze in Einrichtungen gäbe es bei der Caritas. Das Diakonische Werk als Gegenstück der Evangelischen Kirche, steht dem kaum nach. Dort gibt es 450.000 Angestellte in 27.000 Einrichtungen, eine Mio. Betten und Betreuungsplätze. Dazu 700.000 Ehrenamtliche.
„Dabei ist in den neuen Bundesländern nur noch jeder vierte Einwohner Kirchenmitglied, die Katholiken kommen in manchen Gegenden auf einen Bevölkerungsanteil von drei Prozent.“
Wer diese Kapitel aufmerksam liest, kann dem Urteil nicht ausweichen. Das kann nicht gut gehen, das wird in sich zusammenbrechen, wenn man es von seiten der Kirchen und der Christen nicht beginnt radikal zu ändern.
Es ist ein aufmüpfiges Buch, das am Ende aber nicht zur Revolution aufruft. Im ersten Teil beschreibt der Autor, Kirchenexperte der Süddeutschen Zeitung, wie das deutsche Staatskirchenrecht entstand: „Die Lilien auf dem Feld: Kaiser Heinrich und Konrad Adenauer.“ Er beschreibt, wie schändlich der 31. Juli1933 auf deutsche Katholiken gewirkt hat, die sich auf den Kampf mit dem massenmordenden Rassismus vorbereiten wollten und erfuhren, dass die Katholische Kirche mit dem Konkordat der erste Staat weltweit war, der dieses Regime von Hitler geadelt hat. Zu Recht schreibt der Autor: Auf dem Reichskonkordat, das im Grunde nicht mehr sei als ein Staat-Kirche Vertrag, liege der „Schatten des Verrats, weil er Adolf Hitler einen politischen Erfolg zu einer Zeit ermöglicht hat, in der er vielleicht noch hätte gestürzt werden können“. Das darf der deutsche Katholik nicht vergessen.
Dann geht es um den vielleicht spannendsten Teil II: „Vom Mammon und den Menschen“. Die Kirche hat bei weiter schrumpfenden Mitgliederzahlen eine Rekord-Steuereinnahme von 5,2 Milliarden Kirchensteuer aufzuweisen. Das Buch beschreibt den neu aufgenommenen Fall Heinrich Böll, der das ja schon mal ausprobiert hatte, dann aber darüber gestorben ist: Weiter dem Jesus Christus anhängen, auch die Sakramente brauchen, aber keine Kirchensteuer mehr zahlen. Drobinski verfolgt den Fall des Kirchenrechtlers und Kirchensteuerrebells Prof. Zapp, der eher ein konservativer Vertreter seiner Sache ist und ohne Wenn und Aber zum Papst steht. In der katholischen Kirche kommt die Kritik an der katholischen Kirche seit einigen Jahren von konservativer Seite. Er beschreibt die ganze Verfílzung der Kirche, die es in Ihren Bischöflichen Palais und Residenzen besonders dicke treibt. Sie alle – die Bischöfe – haben Fahrer und Dienstwagen von Mercedes, BMW und Audi, günstig geleast von den Herstellern, die natürlich daran interessiert sind, dass wichtige Menschen in Ihren Autos fahren.
Der kleine Palast von Kardinal Reingard Marx ist gerade für 8,7 Millionen Euro renoviert worden, 6.5 Mio. hat der Freistaat Bayern bezahlt. Der Autor beschreibt es nur. Ein katholischer Weihbischof verdient ab 6.600 Euro, der Erzbischof einer großen Diözese bis zu 12.000. Die Kölner Diözese, sagt man, aber ich glaube das nicht, weil es in den USA gleich Reiche geben wird, sei die reichste der Weltkirche. Das Erzbistum hatte 2012 einen Etat von knapp 940 Mio. Euro. Davon kamen allein 697 Mio. Euro aus der Kirchensteuer. 134 Mio. habe der Staat vor allem für die Schulen, die in der Trägerschaft des Erzbistums sind.
Dennoch, sagt uns Drobinski, seien wir weiter eine Christliche und Christenrepublik. Er zitiert auch den Papst, der die christliche Jugend in Brasilien aufgerufen hat, „laut und unbequem zu werden. Der Papst lebt weiter nicht im Apostolischen Palast, sondern im Gästehaus Santa Martha im Zimmer 201. Ich fürchte, die Kirche kommt um eine Revolte, eine regelrechte Rebellion nicht herum. Die guten Kräfte sind nicht unbedingt Mehrheitskräfte, aber die Kirche ist auch schon lange keine Kirche der Mehrheit mehr.
Die Kirche schrumpft sich kaputt, aber die Träger dieser Firma Kirche kümmert das nicht. Das Urteil gilt für beide Kirchen. Wenn man die Hilflosigkeit der Evangelischen Kirche sich ansieht, die in einem und demselben Magazin Chrismon die Margot Käsmann vier mal in verschiedenen Texten und Werbungsteilen abbildet und für ihre Bücher Reklame macht, wird einem auch das deutlich. Wenn z.B. Siemens rote Zahlen schreiben würde, die Bundesbahn wegen der andauernden Zumutungen der Unpünktlichkeit und dauernden Preiserhöhungen keiner mehr Bahn fahren würde, dann wäre ja was los. Aber die Kirche geht sanft und ehrfurchtsvoll zugrunde, vor unseren Augen. Die Bischöfe halten wie ihre Gewänder und Hüte den eschatologischen Vorbehalt („die Pforten der Hölle werden sie nicht usw.“) und lassen sie zugrunde gehen, fast wie der Beweis, dass die Mitglieder und die Verweigerer doch nicht etwa ihnen einen Handlungsbefehl vorgeben können.
Dabei würde eine tatkräftige Kirche unerhört oft und in allen Lebensbereichen gebraucht. Der Autor beschreibt die schwindende Macht allein schon im Bundestag. 70 Mitglieder des Bundestages kommen in die Kapelle der Katholischen Akademie und 20 evangelische in den Andachtsraum des Bundestages. Aber er hält dafür, dass sie dennoch „mächtig und einflussreich bleiben werden“, schon allein, weil sie „trotz aller Säkularisierungsprozesse die größten Gemeinschaften des Landes bleiben“ werden. Da bin ich nicht sicher.
Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist so gewaltig geworden, dass der Zusammenbruch bevorsteht oder eine durch eine Revolte zutage gebrachte Rundum Erneuerung. Wir müssen jetzt die Kirchen öffnen. Wenn es nun schon doppelt so viele sind wie gebraucht werden, müssen sie einem neuen Zweck zugeführt oder verkauft werden. Wir müssen dem Rat des Papstes beherzt folgen, leer stehende Klöster mit Migranten aus Afrika zu füllen. Wir dürfen die Kirche, wenn wir ihr anhängen, nicht mehr den Bischöfen überlassen, die bringen uns nicht nur um den Verstand, sondern lassen den Laden kameralistisch kaputt gehen. Deshalb Kirchenvolk (oder BdKJ oder Pfadfinder), so es euch denn noch gibt, steh auf, nimm die Sache in die Hand, damit die lebendigen Zellen der Kirchlichkeit und Christlichkeit in deutschen Landen, Städten und Dörfern nicht ganz kaputt gehen und zerstört werden.
Es geht darum, dass wir den ganz Schutt zur Seite räumen müssen, der nicht nur in Müll, sondern in den Hunderten von abgeschlossenen Kirchenräumen besteht, die wir überall in Deutschland haben. Eine Gemeinde in Deutschland wie St. Egidio in Rom gibt es leider noch nicht.
Quelle
Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013