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Klimapolitik – quo vadis?

Die Klimapolitik steht an einer Wegscheide: Verlangsamung oder Dynamisierung? Setzen sich US-Präsident Trump und seine nationalen Anhänger durch oder haben Fidschi-Premier Bainimarama und seine internationalen Unterstützer eine Chance? Ein neues Buch könnte zur Klärung der Verhältnisse beitragen – auch und besonders in der neuen deutschen GroKo-Regierung. Eine Einschätzung dazu von Professor Udo E. Simonis

Das Thema Klimapolitik ist wieder mal in die Schlagzeilen geraten. Aber nicht wegen irgendwelcher Erfolge, sondern wegen weiterer Rückschläge. Die Regierung Trump hat sich aus dem wegweisenden Pariser Abkommen zur internationalen Klimapolitik verabschiedet, die europäische Klimapolitik ist in der selbstgestellten Falle des unzureichenden Emissionshandels gefangen, im Kooperationsvertrag der neuen deutschen Regierung spielt Klimapolitik eine retardierende, keine progressive Rolle. Da kommt ein Buch in den Blick, das eine strategische Umkehr und eine neue politische Dynamik einläuten könnte – ein zwar kurzes aber informatives und anregendes Buch des Chefökonomen des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer und seines Mitarbeiters Michael Jakob über Ziele, Konflikte und Lösungen der zukünftigen Klimapolitik.

Die Autoren beginnen mit einer knappen Zieldefinition: „Das Ziel der Klimapolitik besteht darin, die Folgen des Klimawandels zu begrenzen“. Sie gehen also nicht davon aus, dass der Klimawandel noch zu stoppen sei, es geht aber sehr wohl um dessen Begrenzung – um die Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels.

Wie groß das Klimaproblem ist und welche Risiken der Klimawandel birgt, ist Thema des 1. Kapitels. Findet die Staatengemeinschaft keinen Weg in eine globale, gemeinsame Klimapolitik, ist mit einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis zum Jahr 2100 um 3,7°C bis 4,8°C zu rechnen, was desaströse Folgen haben würde: Zerstörung von Ökosystemen, großes Artensterben, Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, aber auch sinkende Arbeitsproduktivität und massive Gesundheitsschäden beim Menschen.

Welcher Temperaturanstieg für die Menschheit noch verkraftbar wäre, ist einerseits von den Anpassungsstrategien des Menschen und der Gesellschaft abhängig, andererseits von der sozialen Bereitschaft und den politischen Fähigkeiten zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Die Autoren positionieren sich bei dieser Frage eindeutig: Anpassung an den Klimawandel wird die Reduzierung der Emissionen ergänzen müssen – ein Ersatz kann sie nicht sein.

Die Bestandsaufnahme der praktizierten Klimapolitik (2. Kapitel) fällt deprimierend aus. Als Maßeinheit für Emissionen verwenden die Autoren CO2-Äquivalente, um alle Treibhausgase (vor allem auch Methan und Lachgas) zu berücksichtigen. Zwischen 1990 und 2014 sind die jährlichen Treibhausgasemissionen von 34 auf 49 Gigatonnen (Gt) CO2-Äquivalente angewachsen, was einem Anstieg von rund 44 % entspricht. Dieser Anstieg ist vor allem auf das rasante Wirtschaftswachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern zurückzuführen und die dabei erfolgte zunehmende Verbrennung fossiler Energieträger und aus industrieller Prozessen. Im Jahr 2014 stammten 35 Gt CO2, also mehr als 70 % der gesamten Treibhausgasemissionen aus diesen Quellen. Die wichtigste Quelle ist – mit mehr als 30 % – der Stromsektor.

Im Folgenden wird festgehalten, dass trotz der Verschiebungen zwischen den Ländergruppen die alten Industrieländer aktuell immer noch sehr hohe Pro-Kopf-Emissionen aufweisen. So liegen die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen der USA bei rund 19 t CO2-Äquivalenten, die der EU bei 7,5 t. Deutschland befindet sich mit 9,6 t fast 30 % über dem EU-Durchschnitt und mehr als 40 % über dem globalen Durchschnitt von 6,7 t. Nach starkem Wachstum in den letzten Jahrzehnten hat China mit 8,2 t zu den Industrieländern aufgeschlossen, während Indien noch bei 2,5 t liegt. Dieses Land hat aber angekündigt, die Nutzung der heimischen Kohle bis 2019 im Vergleich zu 2013 verdoppeln zu wollen – und die Regierung hat, dem entsprechend, verbindliche Emissionsobergrenzen immer abgelehnt.

Die Abholzung von Regenwäldern und die Landwirtschaft stellen mit 17 % die zweitgrößte globale Quelle der Treibhausgasemissionen dar. Für ein Land wie Indonesien machen diese Emissionen etwa 85 % der Gesamtemissionen von 8 t CO2-Äquivalenten pro Kopf aus.

Neben der schieren Größe dieser Zahlen und ihren möglichen, dramatischen Folgen für das Klima weisen die Autoren auch auf einen großen Problemverstärker hin:  Die fossilen Energieträger werden von der Politik in erheblichem Umfang subventioniert, weil beispielsweise die Luftverschmutzung nicht in deren Preisbildung einbezogen wird. Bringt man diese Kosten in Anschlag, so wird weltweit die Tonne CO2 mit etwa 120 € subventioniert. Zwar stellen erneuerbare, CO2-freie Energien bereits 13 % der globalen Primärenergie und 22 % der globalen Stromproduktion bereit, doch entfällt noch immer fast die Hälfte der neu gebauten Energieanlagen auf fossile Investitionen. Zeit also, so möchte man meinen, für die rasche Transformation des weltweiten Energiesystems.

Im 3. Kapitel geht es deshalb um die möglichen Ziele und Wege der Klimapolitik. Der Weltklimarat (IPCC) war in seinem jüngsten Sachstandsbericht zu einer sowohl wissenschaftlich als auch politisch zentralen Einsicht gelangt: Die globale Mitteltemperatur im Jahr 2100 hängt vom kumulativen Kohlenstoffbudget ab, das die Emissionen addiert, die innerhalb des 21. Jahrhunderts ausgestoßen werden. Setzt man als globales Klimaschutz-Ziel eine Grenze von plus 2°C, so dürften nur noch etwa 800 Gt CO2 emittiert werden.

Daraus ergibt sich eine wichtige politikstrategische Schlussfolgerung: Soll eine 2°C- oder 1,5°C-Grenze eingehalten werden (wie im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgehalten), muss die Atmosphäre als begrenzter Deponierraum für Treibhausgase verstanden werden. Diese neuartige Knappheits-Dimension erfordert, die Atmosphäre als globales Gemeinschaftseigentum der Menschheit zu verstehen, weil nur so ihre Nutzung beschränkt werden kann.

Der klimapolitische Handlungsbedarf ergibt sich dann aus der Festlegung auf die konkrete (ausgehandelte) Begrenzung des Temperaturanstiegs. Und das bedeutet, dass eine durchgreifende Transformation des globalen Energie- und Landnutzungssystems erforderlich wird, weil die Treibhausgasemissionen in den nächsten Dekaden drastisch sinken müssen, um das noch eben erlaubte globale Kohlenstoffbudget nicht zu überschreiten. Die Autoren untersuchen die diesbezüglichen Bedingungen an der Richtung, die der technische Fortschritt nehmen sollte und an den Erfordernissen in einzelnen Sektoren – dem Stromsektor, dem Transportsektor, dem Industrie- und dem Agrarsektor.

Wenn ambitionierte Klimaschutzszenarien verfolgt werden sollen, aber auch dann, wenn Klimapolitik in den soeben genannten Sektoren versagt, kommt die Frage nach der Möglichkeit oder Notwendigkeit „negativer Emissionen“ in den Blick, d. h. das Entziehen von CO2 und anderen Treibhausgasen aus der Atmosphäre.

Der Text hierzu ist in diesem Buch sehr kurz und auch mit mehreren Fragezeichen versehen (wie niedriger Forschungsstand, mangelnde praktische Erfahrung, sozialer Widerstand). Die persönliche Präferenz der Autoren scheint jedoch bei „Bioenergy with Carbon Capture and Storage“ (BECCS) zu liegen, wo das bei der Verbrennung von Biomasse erzeugte CO2 eingefangen und in unterirdischen Lagerstätten verpresst wird. Das aber ist nicht ausgemacht – und so findet sich denn an anderer Stelle der Hinweis, dass die großskalige Nutzung von Biomasse zu den wichtigsten Risiken einer ambitionierten Klimapolitik zähle (S.53).

Weit deutlicher kommen die Präferenzen der Autoren im 4. Kapitel über die Instrumente und Institutionen der Klimapolitik zum Vorschein. Da heißt es einführend, Klimapolitik werde nur dann erfolgreich sein können, wenn sie auf fünf Ebenen ansetze: Auf internationaler Ebene müssten Klimadiplomaten ein allgemein akzeptables internationales Abkommen aushandeln bzw. weiterverhandeln. Auf europäischer Ebene sei vor allem die Reform des Systems des Emissionshandels wichtig. Auf nationaler Ebene (in Deutschland) müsse der Ausstieg aus der Kohle betrieben und beschleunigt werden. Auf subnationaler Ebene sollte es um vielfältige Klimakoalitionen für nachhaltige Städte gehen. Für Bürger und Zivilgesellschaft gäbe es eine große Fülle an Möglichkeiten: vom Protest gegen neue Kohlekraftwerke und von Demonstrationen für die Schließung von Kohleminen bis hin zur Änderung der individuellen Essgewohnheiten und des eigenen Mobilitätsverhaltens.

Effektiv ist eine Klimapolitik, wenn sie zu sinkenden Emissionen führt; effizient ist sie, wenn sie die gesetzten Ziele ohne Verschwendung von Mitteln erreicht; um gerecht zu sein, bedarf es zudem eines geeigneten Ordnungsrahmens. Die Autoren sind Ökonomen – und so ist es denn kein Wunder, dass dabei eine besondere Betonung auf das Thema CO2-Bepreisung gelegt wird.

Das globale Klimaproblem erzeugt ein neues Knappheitsproblem: Die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre als Deponieraum für CO2 ist begrenzt. Diese Knappheit kann durch einen Preis für Emissionen in den ökonomischen Anreiz übersetzt werden, Emissionen einzuschränken. Ein weltweit einheitlicher CO2-Preis wäre dabei naheliegend, da es sich bei Treibhausgasemissionen um ein globales Problem und beim Klimaschutz um ein globales Gut handelt. Die Vorstellung der Autoren ist, dass ein Preis in Höhe von 50 US $ pro Tonne CO2-Äquivalent erhoben werden sollte, der zu Einnahmen in der Größenordnung von 3 % des globalen Bruttosozialprodukts führen würde, mit denen alle erdenklichen Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden könnten. Die Kosten des globalen Klimaschutzes müssten also insgesamt nicht besonders hoch ausfallen.

Die Idee der CO2-Bepreisung ist nicht neu, sondern fast so alt wie die Diskussion des Klimapolitikproblems selbst. Doch außer unzähligen Aufrufen und allgemeinen Absichtsbekundungen war bisher kein Fortschritt zu vermelden. Die Autoren geben ihre Hoffnung dazu aber nicht auf – ergänzen ihre zentrale Forderung nach CO2-Bepreisung jedoch durch andere notwendige Maßnahmen: Investitionen in Forschung und Entwicklung; Förderung neuer Technologien; Bereitstellung von besseren Informationen.

Letzteres dürfte in der Tat ein essentielles Instrument sein: Warum werden Häuser zu wenig gedämmt? Warum werden nicht mehr energiesparende Autos gekauft? Warum steckt die Elektromobilität noch in den Kinderschuhen? Diese und andere CO2-sparende Maßnahmen und Anschaffungen werden nicht getätigt, weil die Konsumenten deren Vorteile nicht wahrnehmen wollen oder nicht wahrnehmen können.

Die Autoren verschweigen nicht, dass auch diese zusätzlichen Maßnahmen noch unzureichend sein könnten, wenn es um den konsequenten Schutz des Klimas, um die Rettung des Planeten Erde geht. Hierzu sinnen sie nach über die „sanfte Macht der Moral“: Dass es neben ökonomischen Anreizen auch um die kluge Formulierung, die starke Herausbildung und die durchgreifende Umsetzung ökologischer und sozialer Normen zur Lösung des Klimaproblems gehen müsste.

Fazit: Dies ist ein Buch voller innovativer Ideen und konkreter Vorschläge, ein Buch mit provokativen Herausforderungen und praktischen Anregungen, ein Buch für Studenten und andere junge Leute, die die Welt verändern wollen – aber auch für Politiker, die erfolgreich sein wollen, das Thema Klimapolitik bei ihren Beratungen und Verhandlungen aber allzu sehr vernachlässigt haben.                                                                                             

Quelle

Udo E. Simonis 2018 ist Professor Emeritus am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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