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Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen

Wie kann ein Buch von 704 Seiten, in Kleinschrift und mit 30 Seiten Quellenangaben in kurzer Zeit zum Bestseller werden? Sein Autor meint, es läge schlicht am Thema – ein Thema, das die Menschen beunruhige; wie wichtig es sei, erkenne man doch sofort.Rezension von Udo E. Simonis

In der Tat, eine Geschichte des Zusammenbruchs früherer Gesellschaften lässt Assoziationen aufkommen. Könnte es nicht sein, dass auch unsere heutige Gesellschaft zum Kollaps treibt? Was sind die Anlässe – und was wären die Voraussetzungen, den Zusammenbruch zu vermeiden?

Ein Buch mit 16 Kapiteln über ebenso viele gesellschaftliche Zusammenbrüche zu schreiben, hielt der Autor für eher langweilig und destruktiv; es  sollten auch Beispiele der Stabilisierung gefährdeter Gesellschaften beschrieben werden. Die grundlegende Frage des Buches ergab sich als Konsequenz daraus: Warum haben Gesellschaften Erfolg oder Misserfolg bei der Lösung ihrer Probleme – und was können wir von den Gesellschaften früherer Zeiten lernen?

Das Phänomen des Zusammenbruchs (Kollaps) versteht Diamond als Extremform des Niedergangs, von denen es mehrere Varianten gibt: schleichende und abrupte, partielle und totale – und solche, die letztlich abgewendet werden konnten.

Deshalb interpretiert er nicht nur den Untergang der Mayakultur in Mexiko, den der Anasazi-Indianer in Nordamerika, der Osterinsel und der Insel Pitcairn im Pazifik, der Wikinger in Grönland, den Völkermord in Ruanda, die partiell degradierte Karibikinsel Hispaniola, den torkelnden Riesen China, den Abbau Australiens; er beschreibt auch die Stabilisierungserfolge von ehemals ökologisch gefährdeten Gesellschaften in Island und Japan, in Neuguinea und auf der Insel Tikopia.

Die meisten historischen Zusammenbrüche haben ihre Ursachen in Übervölkerung und Raubbau an natürlichen Ressourcen. Doch mehrere Faktoren müssen zusammenkommen, damit aus Fehlentwicklungen Kollaps entsteht. Diamond sieht fünf Faktoren am Werk:

  1. Mismanagement zentraler Ressourcen wie Wasser, Böden, Waldbestände, Fischgründe;
  2. Klimaveränderungen;
  3. externe Feinde;
  4. Wegfall von Handelspartnern;
  5. fehlerhafte Reaktion der Gesellschaft auf ihre eigenen Probleme.

Der Zusammenbruch der Gesellschaft der Osterinsel hat seit jeher in besonderer Weise fasziniert: Wie konnten die Inselbewohner – so zitiert Diamond einen Studenten – so dumm sein, nicht zu erkennen, was sie sich selbst antaten: „Was hat der Inselbewohner gedacht, der den letzten Baum fällte?“ Die Bedeutung dieses Zusammenbruchs, der im Grunde ökologischer Selbstmord war, sieht der Autor darin, dass die Parallele zu unserer heutigen Situation allzu offensichtlich sei: „Die abgelegene Osterinsel im Pazifik ist eine Metapher für den Planeten Erde unserer Tage, der isoliert im Weltraum schwebt“.

Die Frage, warum Menschen dumme Dinge tun, die zu ihrem Untergang führen, ist die zentrale Frage des Buches. Diamond beantwortet sie mit einer Stadientheorie katastrophenträchtiger Entscheidungsprozesse:

  1. Es kann sein, dass eine Gesellschaft ein Problem nicht voraussieht;
  2. eine Gesellschaft will ein Problem nicht wahrnehmen;
  3. eine Gesellschaft mag ein Problem zwar erkennen, aber keine angemessene Anstrengung unternehmen, es auch zu lösen;
  4. die politische und gesellschaftliche Elite schottet sich von den Folgen ihrer eigenen Handlungen ab, was den Zusammenbruch beschleunigt.

Bei der Frage der Übertragung der Erkenntnisse über historische Zusammenbrüche auf die Gegenwart ist Diamond allerdings vorsichtig: Zwischen Früher und Heute gäbe es doch Unterschiede – in den Problemen selbst, wie auch in den Möglichkeiten der Reaktion darauf. Neben alten Raubbau-Problemen gibt es viele neue Ökosystem-Überlastungen, die unsere heutige Situation gefährlicher machen als die früherer Gesellschaften.

Zur Erläuterung benutzt Diamond ein starkes Bild: „Auf der Osterinsel waren 10.000 Menschen mit steinernen Äxten mehr als 800 Jahre beschäftigt, bevor alle Bäume auf ihrem Eiland gefällt waren. Heute haben wir sechseinhalb Milliarden Menschen mit Stahlwerkzeugen, Kettensägen und Bulldozern, und die zerstören die Wälder auf der ganzen Welt viel schneller“.

Bevölkerungswachstum, Niveau der Wirtschaftstätigkeit und Globalisierung sind für den Autor aber nicht nur Anlass zu Pessimismus: Sein Optimismus gründet in den modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Wir seien heute im Vergleich zu früher in der Lage, von anderen Gesellschaften zu lernen, die in Zeit und Raum weit entfernt sind. Er sagt nicht, wir sollten, nein, er meint wir werden (!) uns dafür entscheiden, diesen einzigartigen Vorteil zu nutzen.

Ob er sich damit vielleicht selbst widerspricht? Wenn seine Stadientheorie hält, wenn Probleme nicht vorausgesehen werden, man Probleme nicht wahrnehmen will, man Probleme zwar erkennt, sie aber nicht wirklich anpackt, und wenn politische und gesellschaftliche Eliten sich aus Eigeninteresse dem Handeln verweigern, dann – so fürchte ich – hat sich Jared Diamond geirrt: Dann steht auch der modernen Gesellschaft trotz aller Möglichkeiten zur Kommunikation der schleichende oder abrupte, der partielle oder gar totale Kollaps bevor.

Quelle

Udo E. Simonis, Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) 2012

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