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Lampedusa – Begegnungen am Rande Europas

Afrika rückt sehr viel näher. Zu einem Bericht über Lampedusa. Von Rupert Neudeck

Ränder sind  manchmal auch Übergänge. Wenn es wahr ist oder in den letzten Jahren wahr wird, dass die beiden Kontinente Europa und Afrika eigentlich ein Kontinent sind, die nur durch das Mittelmeer getrennt sind, dann spielt Lampedusa eine große Rolle. Das Buch von Gilles Reckinger macht auf eindrucksvolle Art deutlich, wie wenig die Lampedusani gegen die Migranten und Bootsflüchtlinge haben.

Als Inselbewohner, den Unbilden des Meereswetters und Unwetters mehr ausgesetzt denn sonstige Landbevölkerungen sind sie denen gegenüber gnädig, die zu Ihnen kommen: „Die Erde gehört niemandem. Wir sind alle nur auf Durchreise. Ich bin in Lampedusa geboren, jeder ist irgendwo geboren, aber Lampedusa gehört mir nicht“. So äußert sich die „Lampedusana“ (also die Einwohnerin von L.)  Mareilla, die nach Mailand gezogen, war aber nach Lampedusa zurückgekommen ist und jetzt in einem Reisebüro arbeitet.

Die Bewohner der Insel haben nicht das Gefühl, dass Ihnen die Fremden aus Afrika irgendetwas wegnehmen wollen.

Die Insel ist auch der zivilisatorische Übergang nach Afrika, denn man kann auf dieser Insel wie Mareiella sein eigenes Kind verlieren, weil man keine Ultraschalluntersuchung schnell bekommen kann. Der Autor stellte die Rechtsanwältin Carmela vor, die eine gute Vertreterin der Insel ist. „Die Lampedusani sind Menschen des Meeres. Tief mit dem Meer verbunden. Das ganze Leben, Ihre Identität, das Leben der Tod“. Man habe Solidarität mit den Menschen, die aus ihren Ländern fliegen.

„Es interessiert mich nicht, wer du bist, woher du kommst, ob Du aus einem Land kommst, in dem Krieg herrscht. Das, was mich interessiert, ist: Du bist einer, der sich da rausgerettet hat. Du hast alles auf dich genommen, um bis hierherzukommen. Setz dich hin, mach’s dir bequem, ich helfe Dir. Eine Bindung –sagt die Rechtsanwältin – zwischen Schiffbrüchigen, unter Anführungszeichen“.

Das Auszeichnende des Buches, der Autor ist nicht der von Aktualität zerfressene  Journalist, der mal für 12 Stunden auf die Insel kommt und dann der Experte ist. Mehrmals ist Reckinger auf die Insel gekommen und hat hier Beziehungen aufgenommen. Die Menschen auf Lampedusa bekommen mit, was diese Afrikaner bewogen hat zu fliehen, unter welchen Opfern sie sich auf den Weg gemacht haben. Bruno z.B. sagt: Er habe unter den Illegalen noch keinen Kriminellen gesehen.

„Ich habe sie gesehen, einige hatten Narben und Wunden von den Misshandlungen, denen sie auf der Reise ausgesetzt waren. Sie haben tragische Erfahrungen hinter sich, was die Wüstendurchquerung angeht.“ Einer habe Bruno erzählt, dass er die Wüste in einem Container durchquert habe. „Zwölf Stunden eingesperrt ohne Licht, ohne Toilette. Er sagte mir, dass sie einfach unter sich gemacht hätten, weil sie nicht raus konnten. 50, 60 Personen in einem Container.“

Die Ökonomie war mal besser: Das Meer ist mittlerweile überfischt und die Fischereierträge sind gering. Die Böden sind nicht fruchtbar. Der Tourismus stellt mittlerweile die wichtigste Einnahmequelle dar. Fast alle Bewohner bestreiten zumindest einen Teil ihres Einkommens über den Tourismus. Nach dem Ausbruch der arabischen Revolution im Januar 2011 ist der Teufel los. 3000 Tunesier kommen an zwei Tagen. Das Migranten-Zentrum ist ausgelegt auf Lampedusa für 850 Menschen, die man bequem vor Ort unterbringen kann, aber nicht mehr.

Der Autor sitzt plötzlich im Flugzeug nach Lampedusa neben einem Mann, der sich als Pressesprecher der FRONTEX outet, neben ihm im Flugzeug. Der Mann ist Pole, denn unter den EU-Ländern hat Polen das Hauptquartier der FRONTEX zugesprochen bekommen. Er soll den Journalisten erklären, dass keine Frontext Polizisten nach Lampedusa kommen werden, sondern dort nur italienische Polizisten arbeiten werden.

Damit spricht er taktisch für seine Behörde. Denn Frontex ist hässlich. Diese EU-Polizei ist dafür zuständig, Menschen, die ihren Lebenstraum dadurch verwirklichen wollen, dass sie in Europa lernen, einen Beruf lernen und arbeiten, abzuwehren und zurückzuwerfen. „Auszuschaffen“, wie die Schweizer sagen. Janek heißt der Frontex Sprecher, er kommt aus Warschau. Er sagt, dass eine halbe bis anderthalb Millionen Migranten in Libyen auf eine Ausreise bei Nacht und Nebel warten.

Statt Politik für die Zukunft macht die EU bisher wie alle Ihre Mitgliedsstaaten – Abschiebung und präventive Abwehr in einigen Afrika-Staaten. Die Hoffnung, die man sich in Lampedusa und Italien auf die neue Regierung Mario Monti gemacht hatte Mitte November 2011 wurde ziemlich enttäuscht. Die Ernennung des Theologie-Professors und Sprechers der berühmten Gemeinde St. Egidio in Rom-Trastevere Andrea Riccardi hatte nicht die Folgen, die man sich ausgerechnet hätte. Auch wenn man noch keine Eu-Regierung gibt, ist Europa bisher nur dabei, abzuschrecken und auszuschaffen.

Aber auch die Medien spielen keine gute Rolle in diesem Drama. Gilles Reckinger hat eine im Grunde bessere Position, weil er darauf setzt, genau so die Reaktionen der Inselbevölkerung ernst zu nehmen, wie die abgerissenen Ankömmlinge. Das aber gilt bereits als anti-professionell. Man kommt nur mal, wenn wieder was los ist auf der Insel.

Als nach der Arabellion die Tunesier zu hunderten kommen, hat die Regierung es nicht für nötig, das Zentrum wieder aufzumachen, das bei dem Vertrag mit Libyens Muammar Ghaddafi geschlossen wurde. Die Illegalen laufen jetzt auch einfach hier herum. Deshalb folgert der Autor des Buches: „Journalisten gehören – zumeist ungewollt – zu den stärksten Verschleierern von Realität. Sobald sie auftauchen, fallen die Menschen in einen Modalität sich zu bewegen, die genau jene Fernsehbilder, die Themen und die Aufgeregtheit produziert, an das sie als Konsumenten dieser Fernsehbilder gewohnt sind.

Und er bekommt heraus: Sie alle wollen arbeiten, sie alle haben einen Beruf. Sie wissen, dass das jetzt nur illegal geht. Ja, das sei ihnen klar: „Nur Schwarzarbeit, Aber wir müssen es versuchen“. Manche haben ganz schlimme Fluchttage hinter sich. Kalil erzählt ihm, wie sie vier Tage auf See waren, eine Nacht lang fuhren sie im Kreis, weil ihr GPS gerät kaputt gegangen war. Sie baten ein ägyptisches Fischerboot, die Finanzpolizei zu alarmieren. Zweieinhalb Stunden später war das Boot zur Stelle. Es war Rettung in letzter Minute.

Und sie werden weiter kommen, nach Europa und die Hoffnung haben, hier bei uns zu arbeiten und das Geld nach Hause, zu ihren Familien zu schicken.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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