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Lampedusa: Große Geschichte einer kleinen Insel

Wir stoppen die Invasion! Zu einem Lampedusa Buch von Ulrich Ladurner. Von Rupert Neudeck

Der 3. Oktober 2013 war noch mal ein entscheidender Tag, an dem für Europa auf der Insel Lampedusa ganz viel passierte. Die Insel ist zwar klein, 22 qkm, aber sie ist der südlichste Vorposten Europas nach Afrika hin. An diesem Tag ereignete sich, wie der Autor Ulrich Ladurner schreibt, die größte bekannte Tragödie wenige hundert Meter vor der Küste der kleinen Insel. Ein Schlepperboot mit wahrscheinlich über 500 Flüchtlingen an Bord näherte sich der Insel. Die Insassen des Bootes waren Menschen aus den Ländern, die für uns alle nur zum Wegschauen sind: Syrien, Eritrea, Somalia. Drei Länder, in denen das Menschenfeindlichste Chaos herrscht.

In Syrien der Bürgerkrieg, in Eritrea ein wahnsinniger Diktator, der die ganze Jugend ins Militär zwingen will, und Somalia als ein Land, das keinen Staat mehr hat. Gekommen waren die Flüchtlinge aus dem Schlepperzentrum Misrata in Libyen, wo die libyischen Rebellen den Belagerungsring 2011 durchstießen und mit Hilfe von NATO-Kampfbombern die Stadt eroberten. Sie wurde zu einem Paradies für Schlepper, die mit dem Flüchtlingstransfer Millionen US-Dollar verdienen. Als diese Menschen die Insel erkannten, entzündeten sie an Bord ein Feuer. Sie hofften, dass man auf sie aufmerksam würde. Ladurner schriebt: „Aber es kam niemand, so wie auch dem sterbenden Srebrenica und dem brennenden Sarajevo niemand zu Hilfe gekommen war. Anstatt dessen breitete sich das Feuer aus auf dem Boot, Panik machte sich breit, das Schiff sank. 360 sind wahrscheinlich ertrunken. 150 auf der Insel gerettet.

Das ist das erste Buch, das uns klarmacht, welche Historische Tiefendimension Lampedusa hat. Es war Jahrhunderte lang ein Schlachtmittelpunkt zwischen den Armaden des allerchristlichen Venedigs, Genuas und Spaniens gegen die Seeräuber der Muslime, die Korsaren und Barbaresken, die aus Tunesien und Algier kamen und sich immer wieder zu gefährlichen Plünderkriegen an die italienische Küste aufmachten. Hayrettin, auch Barbarossa genannt, war der Berühmteste unter ihnen und der Grausamste. Christliche Schiffe ergaben sich ohne Kampf, wenn sie die Schiffe von Barbarossa am Horizont entdeckten. Es kam dann zu einer Schlacht zwischen dem Nachfolger Hayrettins Dragut und dem Genueser Admiral Andrea Doria. Der Admiral konnte den Korsaren schlagen, ihm Afrika entreißen und dadurch die Christen an den Küsten des Mittelmeeres beruhigen. Doch gelang es ihm nicht, den Piraten endgültig zu schlagen. Am 4. Juli 1551 brach um die Insel Lampedusa ein furchtbarer Sturm aus. Acht Galeeren zerbrachen an den Felsen, 100 Menschen kamen um.

Das ist ein Buch mit Tiefgang. Da hat sich ein Autor und dann noch ein Journalist ein Thema vorgenommen und nimmt sich ganz viel Zeit dafür. Er ist in die historischen Schächte der Mittelmeergeschichte eingestiegen, hat den gewaltigen Bruch der Europa und Menschheitsgeschichte mit dem Untergang der Sowjetunion in der Konsequenz für die kleine Insel Lampedusa erforscht. Er erinnert uns noch mal an Vlora, das albanische Schiff, das Italien als Verletzung seiner Souveränität empfand und deshalb die Marine einsetzte gegen die Flüchtlinge.

Die Vlora war ein rostiges Frachtschiff, das Albaner in dem zurückgebliebendsten Staat der kommunistischen Hemisphäre, in der Hafenstadt Durres gekapert hatten. Das war den Italienern zuviel, sie dachten, die ungeliebten Albaner Flüchtlinge kommen jetzt alle. Die „Lega Nord“ machte Stimmung gegen die Flüchtlinge, von wo immer sie kommen. Das Wort „Invasion“ wurde in den politischen Sprachgebrauch eingeführt und „waberte immer häufiger wie giftiger Nebel durch die Öffentlichkeit“-

Die Lega Nord plakatierte das Bild der „Vlora“ in den Städten des italienischen Nordens mit der Unterschrift: „Wir stoppen die Invasion!“

Die Kirche, auch die Wallfahrtskirche Nostra Signora di Lampedusa ist ein Symbol der Verteidigung vor den Muslimen. Maria war Retterin und Schutzschuld gegen die muslimischen Korsaren und Invasoren. Auf den Inseln und an den Küsten war über viele Jahrhunderte Angst der ständige Begleiter der Menschen: „Sie könnten jederzeit verschleppt, ausgeraubt, erschlagen werden. Sie lebten in einem Zustand der permanenten Belagerung.“

Ladurner hat das alles penibel beschrieben, auch den Platz, an dem die anlandenden Boote zerstört werden. Lampedusa ist das Symbol der absurden und bigotten Zweiteilung der Welt. Lampedusa ist die Welt des Rechtes und der Gerechtigkeit und des Rechtstaates. Die Flüchtlinge kommen aus einer Welt, in der die Gesetzlosigkeit herrscht. Es gäbe, schreibt Ladurner, wahrscheinlich medizinische Gründe, warum die Hafenpolizei in Lampedusa die erschöpften Flüchtlinge unter Einsatz von Mundschutz und weißen Gummihandschuhen in Empfang nimmt. Doch auf der symbolischen Ebene steht hier „Sauberkeit gegen Schmutz, das Gesetz gegen die Gesetzlosigkeit“.

Dass es auf der Insel eher anarchische Zustände gibt, das bleibt in der Regel verborgen. Das würde auch nur das Bild von den armen verzweifelten Flüchtlingen stören, „die nun in den Genuss einer immerhin gerechten Behandlung des aufgeklärten Rechtsstaates kommen“.

Der Autor erlebt auch die Abgeordnete der Lega Nord, Angela Maraventano, die in Lampedusa für die fast separatistische Partei in Lampedusa gewählt wurde. Sie will, dass für Lampedusa mehr getan wird. Es kam 2009 zu einem Besuch des Innenministers Roberto Maroni, der den Inselbewohnern versprach, dass man mit Libyen ein Abkommen abgeschlossen hätte, nachdem die Flüchtlinge nicht mehr von der Küste losgelassen würden. Maroni wurden am 9. Januar 2009 bejubelt, aber seine Prognosen erfüllten sich nicht. Es kam zu einem Ausbruch aus dem Lager der Flüchtlinge und zu einer gemeinsamen Demonstration in der Hauptstrasse der Inselstadt: Einwohner und Flüchtlinge zusammen demonstrierten gegen den Staat.

Das Buch hat ein gutes Ziel: Es will zeigen, dass die Bewohner und die Flüchtlinge ein gemeinsames Ziel haben: Der Aufstand vom Januar 2009 war das Zeichen dafür. „Einheimische und Flüchtlinge demonstrierten gemeinsam gegen einen Staat, der ihnen nicht anbot, keinen Schutz, keine Sicherheit, keine Perspektive“. Die Lampedusaner fürchten sich nicht vor einer Menschenflut, sondern davor, von ihrem Staat alleingelassen zu werden. Bis heute gibt es keine Solidarität. Der europäischste Ort von Europa ist Lampedusa, aber Europa kümmert sich mehr um Brüssel als um Lampedusa. Es ist der vergessene Grenzposten von Europa.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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