‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Mönch und Krieger: Auf der Suche nach einer Welt, die es noch nicht gibt

Kämpfer, Sänger und kein Mönch. Ein Liedermacher und Kabarettist ganz ernst, fordert uns alle heraus. Von Rupert Neudeck

Alles darf der Autor Konstantin Wecker in diesem Buch von sich sagen, nur das eine nicht: dass er ein Agnostiker sei. Alles in diesem Buch, was er selbst schreibt, spricht dagegen. Aber sei’s drum. Ich habe diesem gewinnenden anarchischen Autor, Liedermacher, Tausendsassa während der Lektüre über die Schulter geschaut. Es ist nicht nur ein spannendes Leben, es ist auch eine spannende Auswahl aus diesem Leben, das der herrlich fröhliche Mut-machende Autor präsentiert.

Wo man hin packt in dem Buch, hat er Recht. Wenn er in Konzerten sagen würde, wir brauchen keine Reformen, wir brauchen eine Revolution, würden die Zuhörer das für lustig halten. Aber er ist eben nicht nur der Spaßmacher, das hat er im Vorlauf zum US-amerikanischen Krieg bei seinem Besuch in Bagdad deutlich gemacht – und er sollte solche Besuche öfter machen. Die meisten von uns denken ja, so Wecker, bei Revolution an Laternenpfähle und Guillotinen und Panzer und MGs. Das sei aber nicht das Wesen einer Revolution, das waren immer nur die extremen Auswüchse. „Die Revolution beginnt mit einem Umstrukturieren nicht nur des eigenen sondern auch des gesellschaftlichen Denkens.“ Und sie sollte auch mit dem Zusammenwachen einer neuen Spiritualität mit einer engagierten sozialen Politik beginnen“.

Natürlich meine er dabei nicht eine kirchliche gebundene Spiritualität. Warum natürlich, will der Wecker denn alle ausschließen, die ihre Spiritualität in ihren frömmsten Stunden in einer Kirche gewonnen der in einem kommunistischen Parteibüro oder im Untergrund Guerillakampf wie jener Che Guevara den Heinrich Böll so hymnisch gepriesen hat? Will er Heinrich Böll ausschließen aus der Schar der Revolutionäre, der auch eine kirchlich gebundene sakramentale Frömmigkeit brauchte, wie er immer wieder geschrieben hat.

Aber ich bin überzeugt, dass er das auch so sieht, es können gar nicht genug Menschen mit einer oder der anderen Spiritualität gewonnen werden, damit nicht weiter das Geld in solchen Tonnagen aus dem Fenster geworfen wird für Rüstung,. Wecker: „Mit einem Bruchteil der für Waffen ausgegebenen Gelder könnten alle satt werden“. Dieser Wecker hat für alle Revolutionäre der Gegenwart und Zukunft den wunderbaren Liedtext erfunden und gesungen in seinem Lied über die „Weiße Rose“: „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“.

Das ist und bleibt der tonus rectus, die durchgängige Leitmelodie des Buches. Wir erkennen das 2014 besonders gut, denn das Schlachtopfer von 1914-1918 hat nichts gebracht mit Millionen Toten. Es geht um Friedenspolitik. Die großen Bewegungen, die großen Internationalen der Friedenspolitik, die Kirchen, die Sozialisten, die Adeligen haben alle schändlich versagt. Von wegen „Die Waffen nieder“ nirgends sind Waffen so leichthändig und profitträchtig in alle Himmelsrichtungen geschmissen worden wie in unserer Zeit, und immer mörderischere Waffen. Wecker: „Die sicherste Methode, eine Entmilitarisierung der Welt durchzusetzen, besteht darin, die Produktion und den Verkauf von Kriegswaffen zu untersagen.“ So klar sagt er es und fragt auch noch mal ohne taktische Klugheit und Diplomatie wie ein Kind: Wie es dazu kommen kann, dass wir Deutschen „bei allem Geschwurbel über unsere historische Verantwortung mehr als je zuvor Waffen produzieren und in die Kriegs- und Krisengebiete der Welt liefern“?

Der Agnostiker ist, wie wir schon aus dem Titel erfahren „Mönch und Krieger“. Es ist kein – wie soll das bei Konstantin Wecker auch anders sein – systematisches Buch. Er geht einige Stationen seines bewegten und unruhigen Lebens entlang. Er sei, heißt es, trotz des Religionsunterrichts zum Göttlichen gekommen. Er hat vor zwölf Jahren die katholische Kirche verlassen wegen der unhaltbaren Verstrickungen der katholischen Amtskirche mit der Vatikanbank. „Diesbezüglich“ sagt Wecker habe er auch einige Hoffnungen in den neuen Papst Franziskus. Aber so ganz schnell will er nicht wieder in die Kirche, obwohl oder gerade weil er wie Eugen Drewermann, den er dauernd zitiert, ein ganz frommer Mann ist. In die Kirche wird er sofort eintreten, „wenn eine Frau Papst wird“.

Er hat nicht die guten Erfahrungen in seiner Sozialisation gemacht, sondern schlechte mit Amtsverwaltern und dem strafenden Gott, der darauf bestand, dass der Knabe Konstantin Wecker rein abgrundtiefer Sünder sei. Solche Sätze sind für eine ganz große Zahl von Christen und Katholiken in Deutschland repräsentativ, weshalb das Buch Furore machen wird. Wen wir ehrlich sind, habe die Kirche während ihrer gesamten Geschichte zum großen Teil Angst und Schrecken verbreitet. „Das Schlimmste ist, den Menschen in der Hölle unendliches Leid anzudrohen und zu behaupten, dass Gott selbst den kleinsten Fehler akribisch beobachtet“. Wecker fügt hinzu, das sei schlimmer, als es jede NSA sein kann. Die Geheimdienste versuchten offenbar, den katholischen Gott nachzuahmen, aber sie können das so nicht so gut. Denn dieser Gott dringt in unsere Gedanken ein und „ins Schlafzimmer, was die NSA noch nicht geschafft“ habe.

So gut hat das vor Jahrzehnten – ich muss bis dahin zurückgehen – in „Die Wörter“ Jean-Paul Sartre ähnlich drastisch beschrieben, in seiner Kindheits-Autobiographie, wie ihm durch diese Drohbotschaft die Vorstellung des uns liebenden Gottes ausgetrieben wurde.

Wecker beschreibt die Erfahrungen während der Untersuchungshaft im Gefängnis, als er dort zwei Wochen in der Hölle war. Er habe aber damals diese Zeit genutzt zum Meditieren. Das fehlt in unserer Zeit. Wer einmal versucht habe, nur eine Minute lang nicht zu denken, dem werde der „Terror der vielen unnützen klar“ und was uns den ganzen Tag an Blödsinn gefangen hält. Er habe keinen Guru gehabt. Er musste seinen Gott allerdings erst zertrümmern und machte die entscheidenden spirituellen Erfahrungen im Gefängnis. Ein Kapitel überschreibt der Agnostiker Wecker mit dem unübertroffenen Satz des heiligen Kirchenvaters Augustinus aus dem 4. Jahrhundert nach Christi: „Ama et fac quod vis“, Liebe und  tu was Du willst.

Er gibt ein wenig Auskunft über das, was wir bis zu den  Fernsehnachrichten und Bild mitbekommen konnten. Er war ein Drogenkonsument. Aber selbst in diesen Zeiten hat er mehr gelernt über sich und die Welt und ist von diesem Konsum der Drogen ganz weggekommen.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014


‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren