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Fischer Verlag Frankfurt 2015

© Fischer Verlag Frankfurt 2015

Nach uns die Sintflut

Zu einem beunruhigenden Buch über den Zustand der Erde. Von Rupert Neudeck

Ein dramatisch wichtiges Buch, das auch dann wichtig bleibt, wenn man nicht allem zustimmt. Im zweiten Kapitel schreibt die Autorin Saskia Sassen: Häufig würden solche durch den IWF und die Weltbank zerstörten Nationalstaaten (zumal in Afrika) als ‚gescheiterte Staaten‘ bezeichnet. Dieser Begriff blende aber viele negative Effekte aus, die von den wichtigsten Akteuren des internationalen Lenkungssystems, dem IWF und WTO, ausgingen und die sich auf diese Länder auswirkten. Die Begrifflichkeit ‚failed States‘ würde so tun, als seien solche Staaten von innen heraus durch ihre eigene Schwäche und Korruption zerfallen. Tatsächlich seien ihre Regierungen meist schwach, korrupt und nicht am Wohlergehen ihrer Bürger interessiert.

„Man muss aber daran denken, dass oftmals erst die Kapitalinteressen ausländischer Regierungen und Unternehmen die Korruption und Schwächung in diesen Staaten möglich gemacht haben“… das blendet allerdings aus und wird damit zu einem zu globalen Werkzeugkasten, dass der wirklich erste totale „gescheiterte Staat“ Somalia, nicht im geringsten von den Akteuren des Lenkungssystems belangt wurde, das Land war viel zu chaotisch. Es war auch gar kein Nationalstaat. Es war eine Mischung von Haupt- und Neben-Stämmen, die im Norden, im Zentrum und im Süden regierten. Und wenn einer es schaffen wollte, die anderen Stämme zu unterdrücken wie der Staatspräsident Siad Barre, dann mußte er wirklich – wie heutzutage Bascha al Assad – seine Luftwaffe gegen die unbotmäßigen Stämme im Norden einsetzen.

Ich will die Analyse nicht ganz in Frage stellen, aber doch betonen, dass sie allein nicht ausreicht. Richtig ist, dass jemand, wenn er wie Patrice Lumumba oder Thomas Sankara den westlichen Interessen sich wiedersetzte, er ermordet werden musste. „Auch den heutigen Landerwerb und die dadurch verursachte Vertreibung der Kleinbauern und die Vergiftung des Landes kann man nicht einfach nur auf die Korruption in den betreffenden Staaten zurückführen“.

Die Schuldenfalle ist oft keine Falle, weil man mit Schwung und eigenem Antrieb da ganz hineinrutscht. Aber es ist doch richtig, sich klarzumachen, dass von 1982 bis 1998 die verschuldeten Länder Zinsen in der vierfachen Höhe ihrer ehemaligen Schulden zahlten. Und in der gleichen Zeit stieg auch ihr Schuldenstand auf das Vierfache an. Die afrikanischen Länder leisteten 1998 Schuldendienst in Höhe von 5 Mrd US-Dollar. „Für jeden Dollar, den afrikanische Staaten an Entwicklungshilfe erhielten, bezahlten sie 1,40 US-Dollar für den Schuldendienst“. Die Autorin erwähnt noch, dass bei dem katastrophalen Aufkaufen von Land, wie das innerhalb des Territoriums der USA gegenüber den Indianern ja schon üblich war, sich jetzt zu einem weltweiten Trend entwickelt. Die Explosion der Nachfrage nach Lebensmitteln und der Lebensmittelpreis Mitte der 2000 er Jahre war für die Phase des Landerwerbs ein Hauptgrund. Aber auch die irrsinnige Förderung der Biotreibstoffproduktion nach 2006. Auffällig sei vor allem, wie viele Nachfragen nach Biotreibstoffen befriedigen. Sassen: „Diese werden häufig im Namen einer ökologischen Energieversorgung produziert, obwohl daran kaum etwas ökologisch ist“.

Das längste Kapitel „Totes Land, totes Wasser“ macht auf alarmierende Vorgänge in der globalisierten Weltwirtschaft aufmerksam, die alle ohne jede wirksame Sanktion einfach jeweils auf Kosten der dort lebenden Bevölkerung und der arbeitenden Produzenten abläuft. Die in diesem Kapitel angedeuteten Trends deuten darauf hin, „dass sich auf unserem Planeten im zeitlichen und geographischen Rahmen eine Zerstörung abspielt, wie es sie nie zuvor gegeben hat“. Diese Zerstörungswirtschaft produziert tote Land- und Wasserflächen, die man sich als Löcher im Gewebe der Biosphäre vorstellen muss. Wir nehmen das im Aktualitätsterror nicht wahr, dass die sechs großen Wasserwirbel, die unsere Meeresströmungen antreiben, heute zu riesigen Müllhalden geworden sind, „in denen der kreisende Abfall das Leben der Meeresbewohner erstickt“.

An den Meeresküsten gibt es mindestens 400 klinisch tote Zonen. Sassen: „Diese Gefährdung und den Tod dieser Systeme haben wir zu verantworten“. Man kann davon ausgehen, dass 40 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen geschädigt sind. In Afrika sei ein Fünftel des Bodens geschädigt. Während die UNO sich triumphal feiert für die Halbierung des Welthungers, muss man davon ausgehen, dass der „unterernährte Teil der Bevölkerung im Vergleich zur Gegenwart in den nächsten Jahren bis 2050 um 25 bis 90 Prozent wächst.

Die Autorin beschreibt die bedrohten Regionen der Erde, in denen Menschen offensichtlich kaum noch leben können. Weil sie entweder am Industriemüll ersticken oder an anderen Gefahren. In ausreichend hoher Konzentration kann Industriemüll inklusive Schwermetalle und Treibhausgase eine Umgebung so vergiften, dass Pflanzen nicht mehr wachsen und Menschen unfruchtbar werden. Die Autorin geht nach Norilsk Rußland, ein Ort, bei dem man lesend ins Frieren kommt, weil dort 90.000 Gefangene arbeiten mussten im GULAG System Dort ist die Lungenkrebshäufigkeit bei Männern höher als überall woanders und für „Kinder in Norilsk besteht ein doppelt so hohes Risiko an irgendeinem Krebs zu erkranken, wie für andere russische Kinder“.

Es gab und gibt in Rußland noch keine „ökologische Ideologie“. Die Autorin zitiert den Generaldirektor in Norilsk 2005: „Ökologische und wirtschaftliche Ziele müssen in Einklang gebracht werden. Ansonsten können wir ebenso gut in die Steinzeit zurückkehren“. Es sind weiter die Region Zortman Landusky, Montana, wo die Autorin eine Firma findet, die ihrer Verantwortung für die Schweinereien mehrmals durch Insolvenz ausweicht. Mehrmals läßt der Frank Duval seine Firma Bankrott gehen und gründete eine neue, ohne Sanktion und Weltaufschrei.

Was für ein verbrecherisches Geschäft mit alten Batterien geschieht. In den Batterien ist Blei, ein äußerst giftiges Material. Es kann Nieren, Nervensystem und Gehirn schädigen sowie Krampfanfälle, Koma und Tod herbeiführen. „Gebrauchte Säure-Blei-Batterien (insbes. Autobatterien) werden in Entwicklungsländern in großer Zahl importiert und von Hand aufgebrochen; das daraus gewonnene Blei wird dann weiter verkauft.“ Die Arbeiten finden zu Hause oder in Fabriken ohne Sicherheitseinrichtungen statt, so dass für die Arbeiter ein hohes Risiko besteht. Es geht weiter bei der Reise der Autorin nach Hainda, 32 Km von der Hauptstadt der Dominikanischen Republik entfernt.

La Oroya in Peru, wo unter der Militärdiktatur des Generals Alvara ein riesengroßer Schmelz und Raffineriekomplex gebaut wurde, der dazu da war, polymetallische Erze zu verarbeiten. Auch hier waren schwerste gesundheitliche Schäden bei der Bevölkerung die Folge. Die Gerbereien in Bangladesh haben mit Chrom zu tun. Eine große Ansiedlung in Bangladesh hatte 200 Gerbereien und produzierte 7,7 Millionen Liter Abwässer sowie 88 Millionen Tonnen feste Abfälle. Dann kommt noch das Schreckensthema Fracking. Das hydraulic fracking hat zu ganz großen Schäden bei der Wasserversorgung geführt. Der Grundwasserspiegel sinkt.

Es kann geschlossen werden aus den zunehmenden Erdbebenaktivitäten, dass durch Fracking mehr Erdbeben aufgetreten sind, in Oklahoma gab es zwischen 2010 und 2011 eine Reihe von Erdbeben im Bereich zwischen 5.0 und 5.7 auf der Richterskala, nachdem empfindliche Bruchlinien durch die Hochdruck Abwasserversorgung gestört worden waren.“ Das, was man als Leser als Begriff in sich hochsteigen fühlt, diesen Begriff verwendet die Autorin nicht, das griechische Wort Hybris, Anmaßung. Aber wenn man vom ‚Mountain Removing Mining‘ erfährt oder von anderen Geschichten, dann kann man nicht anders, als sich dieses Begriffs und seines Inhaltes zu erinnern.

Die Autorin gibt für das Handeln der Regierungen eine katastrophale Prognose. Das wird alles nicht reichen. „Die Maßnahmen werden etwas bewirken, aber der Unterschied ist zu klein, als dass der Entwicklungsweg sich grundlegend ändern könnte“. Es gibt noch kein Bewußtsein vom Zustand unseres Planeten. Die Regierungen und Staaten wollen im Zusammenhang mit dem Klimawandel mal etwas profitieren. Das können sie mit dem Emissionshandel. Da geht e s nicht darum, die Zerstörung zu lindern, sondern darum, den Vorteil eines Staates bei dem Recht zur Zerstörung zu optimieren. Es gibt auch schon gräßliche Beispiele für die Haupteffekte der Zerstörung.

Zwischen dem 8. Und 12. Juli 2012 schmolzen in Grönland 57 Prozent der Eiskappe. Dann schrumpfte die eisbedeckte Fläche auf 3 Prozent ihrer Maximalgröße. Das Eis konnte im Lauf der jährlichen Erwärmung geschmolzen sein. Eine andere Form von Schmelze habe es im nördlichen Polarkreis. 2008 taute der Permafrost unter der Ortschaft Newtok in Alaska auf, und die Häuser sanken ab. Dann knabberte der Beringsee an der Küste, die nun für das Wasser zugänglich war. Die 320 starke Inuit Gemeinschaft der Yup’ik, deren Vorfahren seit 2000 Jahren an demselben Ort gelebt hatten, mussten die Region verlassen. Von den 213 Ureinwohnerdörfern in Alaska waren 184 von Erosion und Überschwemmungen ernst betroffen.

Wie heftig immer wieder gesündigt wird, zeigen viele Fälle von Regionen, wo Wasserwege verseucht wurden durch die Produktion und die Abwässer von Chemiegiften. Dserschinsk in Sibirien war eine geheime Industriestadt, in der die chemischen Waffen der Sowjetunion produziert wurden. Heute arbeiten die Chemiefabriken mit weniger als 30 Prozent ihrer Kapazität. Heute stellen die Fabriken keine Chemiewaffen mehr her. Aber im Grundwasser der Region findet man 180 hochgiftige Chemikalien, darunter Phenol und Dioxine. In Konzentrationen, die zum Siebzehnmillionenfachen über den anerkannten Grenzwerten liegen. Das Lebensalter ist 42 Jahre für Männer, 47 Jahre für Frauen und für Babys besteht ein erhöhtes Risiko angeborener Missbildungen, UN-Spezialisten fanden bei Frauen in der Region heraus, dass die Muttermilch giftige Dioxinkonzentrationen aufwiesen.

Das Buch ist ein Alarmruf zur rechten Zeit oder auch zur letzten Zeit. Ob er die einzelnen Beispiele immer richtig einordnet, da bin ich manchmal im Zweifel, aber das ändert nichts an der grundlegenden Ausrichtung des Buches. Die Trends sind heute ganz neu, sie sind auch nicht mit den alten Begriffen beschreibbar: Marktwirtschaft z.B. Das, so die Autorin, sei viel zu vage und beschreibt den Zustand nur bedingt, denn über die meisten Märkte bestimmen Konzerne.  „Unternehmen des produzierenden Gewerbes. Plantagen oder Bergbaubetriebe, deren Eigentümer traditionelle Kapitalisten mit Wurzeln in einem einzigen Staat sind, werden zunehmend zerstört oder von den mächtigeren, weltweit operierenden Firmen aufgekauft.“ Selbst Sektoren, in denen je Einheit nur minimale Gewinne zu erzielen sind, „können heute unter die Kontrolle von Konzernen geraten, weil der Maßstab den geringsten Gewinn je Reinheit ausgleicht“.

 Sassan will mit zwei Beispielsfällen ihre Analyse auf eine konkrete Datenbasis setzen, beide sind aber vielleicht nicht ganz tauglich. Somalia sei vor seinem Zusammenbruch ein wohlhabendes, recht gut verwaltetes (wenn auch autokratisches) Land mit einer gebildeten Mittelschicht gewesen. dann aber sei das Land von den Konzernen und der Finanzindustrie ausgegrenzt worden. Das war nicht so, das Land war ein künstliches Monstrum, in dem nicht eine Nation lebte, sondern Stämme, die sich spinnefeind waren. Deshalb bombardierte der Staatschef in den letzten Jahren seiner Herrschaft die Hauptstadt des Nordens in Somaliland. Auch Griechenland sei so zu betrachten. Die Europäische Zentralbank gab 2013 bekannt, die griechische Wirtschaft sei auf Erholungskurs, und Moodys konnte das Rating für griechische Staatsanleihen angeben.

Nicht mitgeteilt wurde, dass die Erholung auf der Tatsache beruhte, dass ein Drittel der griechischen Arbeitskräfte nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern auch grundlegende staatliche Leistungen verloren.  Das könnte im Ergebnis eine richtige Einschätzung sein, allerdings verkennt die Autorin die nicht zu übersehende Tatsache, dass sich die Griechen ein System zugelegt hatten, das nicht auf eigener Produktion und Einnahmen beruhte und deshalb die Europäer mit zur Kasse bat.

Es ist ein reiches Buch, das umso beachtlicher ist, dass es auf jedes Aufmotzen der Befunde verzichtet, und der Leser dabei erkennt, dass der Schrecken durch das Unkommentierte noch größer und klarer wird.

Saskia Sassen: Ausgrenzungen. Brutalität und Komplexität in der globalen Wissenschaft | S. Fischer Verlag Frankfurt 2015 | 320 Seiten

Quelle

Rupert Neudeck 2015   Grünhelme 2015

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