Palästina: das Versagen Europas
Luxemburg rettet die Ehre Europas. Zu einem wichtigen Buch über Israel und Palästina. Von Rupert Neudeck
Zu Israel Palästina ist eigentlich schon alles im Übermaß gesagt worden. Argumente sind bis zur Erschöpfung ausgetauscht. Die Kluft zwischen dem, was der Menschenverstand sofort versteht und was die gefesselte Politik und Diplomatie nicht mitmachen darf auf Grund von Motiven, die niemand mehr begreift, ist unendlich.
Das Buch könnte der letzte Versuch, fast eschatologisch gesprochen, sein, diese Kluft zu überwinden. Denn er ist von einem schon gestorbenen Vertreter der Befreiung, Stephane Hessel, und einer quicklebendigen amtierenden Abgeordneten des Europäischen Parlamentes geschrieben. Hessel und Veronique de Keyser haben es geschafft, die Empörung nicht beiseite zu lassen und dennoch einen Weg zu zeigen, wie die Völker in Nahost mit ein wenig Hilfe der Europäischen Union den Frieden erreichen können. Eines ist sicher: Nur indem man nicht fortfährt, dieses unwürdige Spiel mit Menschen, Kindern, Frauen zu spielen, das der Stärkere mühelos gewinnt unter wahnsinnigen Opfern. Das Buch mündet in das Gespräch der Autorin mit dem jungen palästinensischen Diplomaten Majed Bamya, der seinen wohldotierten Posten in Brüssel verließ und sich den Mühen der enthaupteten Gesellschaft annahm, um Hoffnung zu vermitteln.
Er sagt. „Das Signal, das Israel uns sendet, ist, dass nur Gewalt funktioniert“. Das habe man wieder bei den Verhandlungen über Galit Shalit erlebt. Die Hamas hat gegen Shalit die Freilassung von 1000 palästinensischen Häftlingen erreicht. Direkt nach der „Operation Wolkensäule“ habe es eine Umfrage gegeben, sagt dieser Majed Bamya: Die Mehrheit ist jetzt wieder für militärischen Widerstand, „während in früheren Umfragen die meisten Palästinenser den friedlichen Weg für besser hielten“.
Das Buch beschreibt, wie sich die lahme, feige EU-Politik immer neu düpieren lässt und offenbar an dieser Feigheit noch nicht erstickt ist. Am 13. Und 14. November 2012 reiste Catherine Ashton mit einer beachtlichen Delegation von EU-Kommissaren und Abgeordneten (darunter die Autorin) nach Ägypten. Es gibt großartige Empfangs- und Willkommensdinner in märchenhaften Palästen. Die EU sagt Kairo Spenden und Darlehen in Höhe von 5 Milliarden Euro zu. Am 14. November wird das Abkommen unterschrieben. An diesem Tag beginnt die israelische Operation „Wolkensäule“.
In acht Tagen sterben 163 Palästinenser, die Hälfte Zivilisten und viele Kinder, auf israelischer Seite gibt es sechs Tote. Die Operation begann zwei Wochen vor der Entscheidung über den palästinensischen Antrag in der UNO über die Mitgliedschaft. Catherine Ashton war zu einer privaten Reise aufgebrochen, während Israel mit einer „gezielten Tötung“ den Befehlshaber des bewaffneten Armes der Hamas Ahmed Dschabari liquidierte.
Dschabari war nicht nur Gewalt, schreibt die Autorin. Er war fähig, mit den Israeli zu verhandeln. Er begleitete Gilad Shalit nach seiner Befreiung bis Rafah, um den gefangenen Austausch sicher zu machen. Er hatte sich – nach Aussage von Friedensaktivist Gershom Baskin – um die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen und dafür eingesetzt, dass die Milizen im Gazastreifen auf Raketenbeschuss verzichteten. Wenige Stunden vor seiner Liquidierung habe er das Angebot eines langfristigen Waffenstillstandes mit Israel geprüft. Bei der Liquidierung kamen auch sein Sohn und ein Leibwächter ums Leben.
Die Reaktionen auf diese Massenliquidierung waren auf westlicher Seite wie damals bei dem Überfall auf Gaza Ende 2008/Anfang 2009 mit der geballten militärischen Macht Israels, die es eigentlich verbietet, von einem Krieg zu sprechen, denn es gab auf der anderen Seite keinen Gegner, lustlos und steril. „Israel habe das Recht, sich gegen Raketenbeschuss zu wehren“, die Westler fügen dann, damit das Ganze nicht so feige, dämlich und dürftig aussieht, das Wort hinzu, die militärische Antwort müsse „verhältnismäßig sein“.
Die Autorin macht nicht den Fehler, die Schuld bei den einzelnen Charaktermasken europäischer Politik zu suchen. Ashton sei nur ein Symptom, nicht die Ursache für die Krankheit Europas. Wir sehen als Europäer ständig zu, wie ein Gebiet schleichend, täglich und nächtlich dem anderen Volk gestohlen wird. Es gibt keine Lösung des Palästina Problems, das nicht mit dem Ende und der radikalen Befreiung von der Besatzung beginnt. Auch mit dem Problem für den Besatzer, 350.000 Siedler aus den luxuriösen Enklaven Palästinas wieder zu evakuieren.
Am 25. Juli 2012 erscheint in der New York Times ein Artikel von einem bekannten Siedler, besser Kolonialbeamter Israels Dani Dayan, er steht dem Kolonial-Yesharat der Kolonien in Judäa und Samaria vor. Er schreibt: Heute schon leben trotz des massiven internationalen Drucks (?) über 350.000 Israeli in Judäa und Samaria. Bei einem Wachstum von 5 Prozent werden wir bis 2014 die 400.000 erreichen. Und dabei sind die 200.000 Israelis in den arabischen Vierteln von Jerusalem nicht mitgezählt.“ Der Autor schließt seinen verzweifelten Artikel: „Unsere Präsenz in Judäa und Samaria – ist irreversibel“.
Das ist der Schrei von jemandem, der aus der eindeutig vergangenen und nie wieder zurückzuholenden Kolonial- und Apartheidzeit kommt. So haben auch weiße Südafrikaner geredet, als wir dort in verschiedenen Homelands gearbeitet haben. Die sind alle aufgelöst. Die Autorin beschreibt die „überraschende Initiative“ von Außenminister Liebermann, der einen Plan für einen binationalen Staat vorlegt, der allerdings nichts mit dem Staat zu tun hat, den sich Martin Buber, Gershom Scholem und die jüdische Linke in den 1930er Jahren vorgestellt hatten. Liebermann ist einfach für das Verschwinden Palästinas.
Die Autorin beschreibt den unwürdigen Eiertanz, auch mitgemacht von der EU wie den EU-Staaten, um das Votum der UN-Generalversammlung am 29. November 2012. Es ist diese Szene an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Am Montag vor dem Votum der Generalversammlung über die Aufnahme Palästinas versammelt Catherine Ashton die EU-Außenminister um sich. Damit Europa sich nicht die Blöße der Uneinigkeit geben würde, schlug Ashton vor: gemeinsame Enthaltung. Das entsprach nicht dem Votum des Europäischen Parlaments aber war eben wie in Europa alles ist: feige und gleichgültig und Gesicht-wahrend. Als alle weichgeklopft waren, meldete sich der Außenminister des winzigsten Staates zu Wort: Jean Asselborn. Er könne unmöglich nicht mit JA stimmen. Das rettete die Ehre Europas – in letzter Minute entschied sich die Hälfte Europas für Ja.
Das Buch schließt ganz ernst. Die palästinensische Jugend wird sich die gegenwärtige Sklaverei und Demütigung aus Dauer nicht gefallen lassen. Europa hat die demokratische Wahl von 2006 in den Papierkorb und den Müll geworfen und damit der Demokratie im Nahen Osten ein furchtbares Zeugnis ausgestellt. Europa hat Abbas nicht vor dem Israel- und USA Druck bewahrt, der ihn zum Bettler und zur Marionette gemacht hat, vor der UNO sogar zur tragischen Figur. Israeli und Palästinenser sind 65 Jahre nicht gleich behandelt worden. Die „Asymmetrie ist himmelschreiend“.
Die Palästinensische Bevölkerung ist ausgeblutet und erschöpft-. Man verspricht ihr, „zu gegebener Zeit“ einen Staat wie anderen den Himmel. Wenn wir, so das Buch von Stephane Hessel und von Veronique de Keyser – den Kurs nicht ändern, wird der Nahe Osten in Flammen stehen. „Keine Demütigung wird ewig ertragen, sagt die Autorin und fragt sich und die Welt: „Kann die palästinensische Jugend das Blatt noch wenden?“
Quelle
Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014