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Sagas Edition Stuttgart

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Politzirkus Washington

Politzirkus in einer Supermacht. Wie schadet das der Demokratie? Von Rupert Neudeck

Was ist das für ein umwerfend desillusionierendes Buch! Und welches Thema behandelt der Autor wirklich? Den Politikzirkus in Washington? Den allgemeinen Niedergang des Journalismus? Die bedrückende Nähe von Geld und Macht? Die Verführung, die nicht nur politische, ökonomische, sondern auch Medienmacht darstellt und wie sie pervertiert? Über die Gefahren, die Netzwerke weltweit wie Facebook für die gesellschaftliche und politische Entwicklung darstellen? Und am Ende fragt sich der deutsche Leser, ob nach der Lektüre von 428 Seiten die wichtigste Quintessenz für uns deutsche Leser der ehemalige Chefredakteur des ZDF Nikolaus Brender im Vorwort zu diesem Buch  gezogen hat? 

„Jeder Journalist, der nicht zu dumm oder zu sehr von sich eingenommen ist, um zu merken, was vorgeht, weiß, dass das was er tut, moralisch nicht vertretbar ist“, das sind Sätze von Mark Leibovich, einschneidend und klar. Diese Sätze rufen uns zwischendurch immer wieder alarmierend in Erinnerung, ob der Politikzirkus Berlin sich dem Politzirkus in Washington vielleicht gar nicht so weit entfernt und distanziert verhält, sondern zu großen Teilen schon identisch geworden ist? 

Facebook sei ebenso wie Washington ein riesiges, schnell wachsendes Netzwerk, das sich weiterentwickelt und unter Beschuss gerät, aber in seiner Beständigkeit als Imperium sicher ist. Kein Wunder sei es, dass in den letzten Jahren ein ganzer Strom politischer Talente aus Washington zu Facebook als Arbeitgeber gewechselt hat – der prominenteste ist Joe Lockhardt, Pressesprecher des Weißen Hauses unter Clinton in der Monica Ära, der eine zeitlang Mediensprecher des Unternehmens war. „Playbook“ sei Washingtons Facebook, schreibt der Autor, dem man manchmal verzeihen muss, dass er einem deutschen Leser, der nicht mal Korrespondent in den USA gewesen ist, so viel Namen an den Kopf schmeißt, dass ihm am Ende ganz dumpf im Kopf ist vor lauter Namen und er ins Schwitzen kommt. Politico- auch so ein Netzwerk – Chefredakteur Vandehei, sagt: Das sei die Facebookisierung der Politik und Washingtons. „Je mehr Freunde und Bekannte du hast, und je mehr Zeit du damit verbringst, dich über E-Mail oder Internet mit ihnen auszutauschen, umso mehr Informationen bekommst du, gibst du weiter und vermarktest du“.

Die Kapitel-Überschriften sind eine Wucht. Das erste Kapitel ist überschrieben „Der Green Room des Himmels“, das zweite „Die Stadt der Schleimer“. Obama heißt es hier, habe Freunde immer erzählt, dass es für ihn ebenso wichtig wie für Ronald Reagan war, den Eindruck eines Kandidaten zu vermitteln, der das Präsidentenamt nicht brauchte. Die Leute sollten wissen, dass er aus dem öffentlichen Leben keine der psychischen Befriedigungen zog, die so viele andere darin suchten. Als Senator habe er einen Kollegen gebeten, ihn zu „erschießen“, falls er nach der Beendigung seiner Karriere jemals in Washington bleiben sollte. Nach Äußerungen seiner Freunde verabscheue Obama die Derivatkultur Washingtons, in der Menschen sich durch ihre Nähe zu anderen Leuten und Institutionen und Journalisten definieren. Der Titel „Stadt der Schleimer“ wird hier auch ins Englische zurückübersetzt: „Suck up City“ heißt es englisch und der Autor hörte den Begriff aus dem Obama Lager 2008 zum ersten Mal. Obama trat gegen die Hauptstadtkultur auf und an. Man schmeichelt sich bei jemandem ein, dem man gefallen möchte. Leibovich: „Man könnte behaupten, das Einschmeicheln sei die Muttermilch der Politik oder des politischen Taktierens“. Schleimerei gehöre in Washington dazu wie die Feuchtigkeit und sie habe auch eine finanzielle Komponente. Noch nie war es einfacher für Strategen, „Berater“ und „Agenten“  aller Art, „sich wie Seepocken an den Gelddampfer anzuheften und Nährstoffe aufzusaugen“.

Sprachlich ist das vergnüglich und geradezu unterhaltsam zu lesen, aber man glaubt lange Zeit dem Leibovich nicht, dass er nicht einen Krimi oder Roman, sondern ein dokumentarisches Buch oder schön deutsch gesagt, ein Sachbuch geschrieben hat, so umstürzend für die demokratische Elitenkultur in Deutschland sind die Ergebnisse.

Denn die Präsidenten müssen natürlich das Spiel mitspielen, sie können und dürfen nicht beiseite stehen. An dem Correspondents Association Dinner müssen alle Präsidenten mitmachen, die Einladungen kosten 2500 US-Dollar. Schon Präsident Colingwood hat 1924 mitgemacht, das ist eine Institution, der gegenüber der deutsche Presseball in Berlin nur ein winziger Abklatsch ist, der den Vergleich nicht aushält.

Es kommen Namen über Namen, namedropping (einen bedeutenden Namen fallen lassen) ist das halbe Buch und das halbe Washington. Bob Barnett war der Prototyp eines Menschen, der Washington für sich arbeiten lässt. Hillary Clinton war immer zu öffentlichen Äußerungen über Barnett bereit, der einen Vorschuss von acht Mio. US-Dollar für ihre Memoiren (Gelebte Geschichte), einen Vorschuss von zehn Mio. US Dollar für eine von Hillary herausgegebene Anthologie mit Kinderbriefen an die Haustiere der Präsidentenfamilie, die Katze Socks und den Hund Buddy ausgehandelt hatte. Der Autor zitiert den Sprecher Philippe Reines von Hillary Clinton, der sagte: „Wenn Gott die Bibel noch einmal schreiben würde, würde er sicher Bob Barnett anrufen!“

Im Grunde sind alle Kapitel Variationen ein und desselben Themas. In Washington und zwischen Washington und Hollywood geben sich Macht, Geld, Banken, Glamour und Medien einträchtig ein Stelldichein und tun manchmal so als ob sie täten: dann, wenn sie sich mal gegeneinander kritisieren. Die Entourage heißt ein weiteres Kapitel, das den Medien-Personenzug beschreibt: Washington – Lektüre wird danach in der Entourage so definiert, wie es der New York Kolumnist David Brooks mal erklärt hat: „Ich habe ihr Buch zwar nicht gelesen, es aber im Fernsehen gelobt!“.

Vergessen haben wir, was natürlich nicht vergessen werden darf: Sex, Macht und Geld kommen immer zusammen. Die Monica-Ära spricht dafür. Man kennt sich in der Entourage. Reagan fragt Haley Barbour, ob er ihm schon den Witz mit den beiden Episkopalpredigern erzählt habe?

Nein, Mr. President!

„Einer der Prediger sagt zum anderen: ‚Die Zeiten haben sich verändert, nicht wahr? Ich hatte nie Sex mit meiner Frau, bevor wir geheiratet haben, Sie?‘ Der andere Prediger antwortete: ‚ich weiß nicht, wie heißt ihre Frau denn mit Mädchennamen?‘“

Leibovich beschreibt auch die ökologische Katastrophe, an der dann auch Obama und Washington nicht vorbeigehen konnte. Die gewaltige Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko, die BP geleast hatte. Die Unterwasserkamera zeigte im Fernsehen einen Rohölstrom, der sich ins Meer ergießt – ein Bild für ein außer Kontrolle geratenes Problem und eine machtlose Regierung. Sobald Geld zu verdienen sei, wachse die Hauptstadt zu einem parteiübergreifenden Team zusammen. Und die zeigen dann, wie Amerika an einem Strang zieht. Zu dem BP-Team gehörten in der Hauptstadt Republikaner wie Ken Duberstein und der demokratische Superlobbyist Tony Podesta, die Sprecherin von Vizepräsident Cheney, Anne Womack-Kolton; John Feehery, der Pressesprecher des Republikaner Sprechers im Repräsentantenhaus, Dennis Hasert, Steve McMahon, demokratischer Medienberater, um seine Partner bei der Sendung Handball, der Medienguru Alex Castellanos. Die Firma der beiden leitete eine 50 Millionen US Dollar teure Fernsehkampagne für BP in die Wege. Die BP-Ölkatastrophe forderte weitreichenden menschlichen Tribut. So konnte der betroffene Gouverneur des betroffenen Staates Mississipi, Haley Barbour, nicht zum Correspondents Association Dinner kommen.

Es ist spannend das ganze Kapitel über den Fall Kurt Bardella zu lesen, der davon lebt, in dem Hauptstadtclub sich immer mehr einzurichten, mit allen Journalisten und Fernsehkanälen gute Beziehungen zu haben. Er ist der Assistent des Senators Darrell Issa, und es scheint nach dieser unendlichen Lektüre die Prämie für einen Assistenten zu sein, seinem Chef immer wieder einen TV-Auftritt zu besorgen. Das Buch macht deutlich, wie gefährlich der Hauptstadtclub auch die Internationale Bühne nur für den Zirkus ausnutzt. Die Interviewkönigin Barbara Walters konnte ein exklusives Gespräch mit dem syrischen Diktator Baschar al Assad erringen.

Danach versuchte sie, seiner jungen Presseassistentin, der auch Jürgen Todenhöfer auf den Leim gegangen ist, ein Praktikum bei CNN und einen Studienplatz an der Columbia University zu verschaffen. Die Assistentin Sheherazad Jaafari schrieb Walters, sie sei ihre Adoptivtochter und sie könne keine bessere Mutter haben als eben – Barbara Walters. Später entschuldigte sich Walter für ihr Verhalten. Das Kapitel über die Darstellenden Künste erinnert gleich zu Beginn an die Verfolgung des Linken-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi im Bundestag bis auf die Toilette. Das Kapitel beginnt mit Richard Holbrooke im Weißen Haus im Urinal. „Eric ich bin sehr enttäuscht von ihnen!“, sagte Holbrooke dem neben ihm pinkelnden Eric Lesser. Lesser war beim Obama Wahlkampf ein erfolgreicher Kofferschlepper gewesen und dafür belohnt durch eine Position als Assistent von David Axelrod, und Axelrod konnte mühelos einen Zugang zu Obama besorgen. Holbrooke hatte den Makel, dass ihn Hillary Clinton ausgewählt hatte. Holbrooke war Hillary Clinton sogar mal auf die Damentoilette gefolgt. In Pakistan. Es ist ein Zirkus, bei dem sich der deutsche Leser immer wieder fragt: Sind wir noch genügend weit entfernt in unserem Hauptstadtzirkus in Berlin von dieser Welt in Washington?

Man stelle sich vor, was da in Washington geschieht. Kurt Bardella wird von seinem Chef Issa entlassen. Diese Geschichte des skrupellosen Pressesprechers von Darrrell Issa beherrschte tagelang 2011 sämtliche Internetportale. Da geschah gerade in der Woche, „in der die Mehrheitspartei im Kongress den Staat lahmzulegen drohte und in Kairo eine Revolution ausgebrochen war“.

Brender schreibt in seinem dichten Vorwort: Der Unterschied zu Deutschland sei, in der Darstellung der politischen Wirklichkeit wie im Dokudrama beweise Amerika größeres Talent und Format. Seine Politiker und Journalisten spielen ihren Part im realen wie im virtuellen Hauptstadtspiel rollengerecht. Auch in Washington treten Minister zurück, aber nicht wegen eines lächerlichen Plagiats. Das wäre dann doch zu klein. Aber es seien  nun schon über 6000 Lobbyisten, Einflüsterer, Schmeichler und interessengeleitete Ratgeber im Regierungsviertel in Berlin. Vor Jahren in Bonn waren die journalistischen Seitenwechsler die Ausnahme. Jetzt trifft man sie in Berlin an jeder Ministeriums- und Medien-Ecke. Leibovich erzählt von einem Mann-Lobbyisten, der häufiger durch die Drehtür gegangen sei, denn ein Page im Mayflower Hotel. Soweit, so Brender, sei man noch nicht in Berlin. Aber man sei auf dem Wege dahin. Der Nachrichtenmoderator des ZDF wurde flugs zum Regierungssprecher ernannt. Sein Vorgänger im Amt wurde als Intendant in eine ARD-Anstalt (BR) geschickt. Direkt aus Merkels Amtssitz zieht der Kanzleramtsminister in die Lobby Etage eines Automobilherstellers nach Stuttgart. Der FDP-Entwicklungsminister a.D. verdingt sich als Rüstungslobbyist. Brender: „Die Rolle der Celebrity ist für Journalisten eigentlich nicht vorgesehen“, doch finden einige immer häufiger Gefallen daran, als Nummerngirls in Talkshows eingeladen zu werden.  

Mark Leibovich: Politzirkus Washington. Wer regiert eigentlich die Welt | Online bestellen

Quelle

 Rupert Neudeck 2014 | Grünhelme 2014

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