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Recht ist auch eine Weltmacht

Recht ist auch eine Weltmacht. Die aber nicht immer siegt. Zu einem Buch von Wolfgang Kaleck. Von Rupert Neudeck

Mit diesem Buch kommt eine ganz neue Facette in die Arbeit für Menschen in Not. Eine Arbeit, die einen ganz weiten dritten Berufskreis in die humanitäre Arbeit integriert: Rechtskundige, Rechtsanwälte, in jeder nur denkbaren Dimension. Das ist wie die Arbeit der humanitären Ärzte, Mediziner, Handwerker auch eine ganz politische Arbeit, allerdings keine parteiische. „Mit Recht gegen die Macht“ ist der Fanfarenklang des Rechtsanwalts Wolfgang Kaleck, der in seinem Buch von einem wahrhaft weltweiten Kampf für die Menschenrechte berichtet. Anfangs schreibt er über Lehr- und Studentenjahre, so in Mexiko, wo er die ganze quirlige GEMISCHTE Indianer-Spanier-Europäer Bevölkerung erleben konnte. Damals ist er noch der „solidarische Beobachter“, der das Fach studiert, mit dem man Politik machen und etwas verändern kann. Dann ist er in Montevideo und Patagonien 1996 der „Nomade“, um dann die „Mütter der Plaza Mayo“ zu treffen in Buenos Aires, das ist geradezu für den kämpferischen Juristen das Erweckungserlebnis.

Vielleicht kann man solche Erlebnisse am leichtesten in Süd-Amerika haben. Denn um Afrika geht es nur in dem Kapitel „Ruinen in Monrovia“ und das vorsichtig formulierte Kapitel zeigt, wie unendlich schwer es die Völker und Stämme Afrikas noch haben werden – im Verhältnis zu Asien und Lateinamerika. Dabei kam der Autor schon in die Zeit nach den furchtbarsten Verwüstungen in den Seelen und Körpern der Menschen 2005 nach Liberia, als der Wahlkampf zwischen der erfahrenen Weltbank-Ökonomin Ellen Sirleaf-Johnson und dem Weltfußballstar George Weah tobte. Aber man spürt, da ist jemand nicht für eine Karriere bis zum Bundesverfassungsgericht geboren, sondern für etwas anderes, was sich in diesem Buch herausstellen wird.

Er ist viel unterwegs, oft interkontinental im Flugzeug, man weiß gar nicht, ob der Anwalt und Autor auch noch einen Beruf hat, mit dem er seine Brötchen verdient. Aber im Kapitel über die „verschwundenen Gewerkschafter bei Mercedes Benz“ in Buenos Aires (1999) erläutert er dem Leser, „Mein Brot verdiene ich immer noch als Strafverteidiger in Berlin, täglich radle ich zum Kriminalgericht Moabit und mache das, was ich immer machen wollte. Menschen gegen den Strafanspruch des Staates verteidigen“. Es ist die bewegende Zeit, in der die internationalen Menschenrechte auch in einem souveränen nationalen Staat eingeklagt werden können. So wurde ja 1998 zum Staunen aller der Chile Mörder und Diktator Pinochet in London verhaftet. Von hier und dort ging eine Epoche des Kampfes um das Recht aus.

Und des Kampfes dagegen, dass die größten Schweinereien in unserer Lebenszeit straflos bleiben. Die größte Herausforderung nahm Kaleck an, als er sich auf den Weg machte, zu siegen, ohne zu gewinnen: „Von Videla bis zu Rumsfeld“. Es kam im Irak Krieg zu den fruchtbaren Folterexzessen in dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib, später aber in vielen anderen US-Gefängnissen auf Militärbasen und dann auch in Guantanamo.  Sogar George W. Bush konnte nicht anders als Aufklärung und Strafverfahren gegen die Schuldigen von Abu Ghraib anzukündigen. Aber er sprach auch gleichzeitig, dass die Schuldigen eben nur „rotten apples“, verfaulte Äpfel seien, die man nur aussortieren müsse. Die Anwälte einer internationalen Organisation „Center for Constitutional Rights“ in den USA und andere waren aber daran interessiert, dass nicht nur die armselige Soldatin Lynndie England, sondern die Hochrangigen in der militärischen Befehlskette nicht ungeschoren blieben. Also klagte man gegen Donald Rumsfeld, und das in Deutschland! 2002 wurde das in Kraft getretene Völkerstrafgesetzbuch auch in Deutschland bekannt gemacht.

Kaleck hat immer Vorgänger und Vorbilder wie den 79jährigen Peter Weiss. Weiss war 1938 aus Nazi Österreich in die USA gekommen. Peter Weiss verklagte den Mörder eines Mannes aus Paraguay, der sich in den USA sich aufhielt. Das „Center for Constitutional Rights“ brachte den Fall des zu Tode gefolterten Sohnes der Familie Filartiga in Paraguay vor Gericht und 1980 gewann Peter Weiss den Fall auch in der Berufungsinstanz. Die Richter nannten die Folterer „Hostis humani generis“, Feinde der Menschen und verurteilten den Polizisten Pena Itala zur Zahlung von über zehn Mio US-Dollar. Also entschlossen sich Kaleck und Kollegen in Deutschland eine Anklage gegen den Befehlshaber der Folterer in Abu Ghraib anzuleiern, gegen den US-Verteidigungsminister Rumsfeld. Die Frage: „Ist die Bundesanwaltschaft bereit, in Deutschland ein Strafverfahren gegen hohe US-Politiker zu führen?“ Diese Materie war jedenfalls für deutsche Staatsanwälte Neuland. Nach dem 11. 09. 2001 kamen auch noch das Foltergefängnis Guantanamo und viele andere in US-Botschaften und Militärbasen wie Bagram in Afghanistan und andere Orte hinzu. Interessant, dass Kaleck nie ein A-prior-i Antiamerikaner wird.  Er bewundert den vergleichsweise transparenten Regierungsapparat in den USA: „Viele Dokumente, auf die wir uns berufen, stammen aus der Administration und sind von Journalisten nach dem Informationsfreiheitsgesetz erlangt worden“.

Kaleck fühlt eine neue Berufung – vielleicht auf Dauer einen neuen Beruf. Dabei fühle er sich nicht als Europäer, der etwas gegen die USA unternimmt, schreibt er, „sondern als Aktivist gegen die Folter, der gemeinsam mit US-Kollegen versucht, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen“.  Er beschreibt in manchen Kapiteln die Begegnung mit anderen Menschen anderer Kulturen durchaus als genußfähiger Humanitärer. So wenn er die Kochkünste bei seinem ersten Asado, der traditionellen Grillkost Uruguays beschreibt. Was da alles aufgetischt wird an gesunden frischen Gemüsen und Zutaten, läßt dem Leser wirklich das Wasser im Mund gerinnen: Kräftig gewürzte Chorikos und Salchochones, Zwiebeln, Knoblauch, Porree, Paprikaschoten und Maiskolben und als Abschluß ein großes Stück Rindfleisch“. Da spürt man: Man darf sich den Rechtskundigen nicht als Asket vorstellen, schon gar nicht in der Küche.

Macht geht in der Politik auch in demokratischen Staaten oft noch vor Recht. Das erlebt Kaleck auch bei seinen mehrmaligen Besuchen und Begegnungen mit Edgar Snowden in Moskau. An manchen Stellen wird es dann fast theologisch. So wenn er nach dem zum zweiten Mal gescheiterten Versuch 2007 ein Ermittlungsverfahren in Deutschland gegen Donald Rumsfeld und andere in Gang  zu bringen versucht, erklärt Kaleck, die Bundesanwaltschaft halte es für unmöglich, von der Bundesrepublik aus Regierungskriminalität in den USA zu untersuchen. Und er sagt, dass es bei solchen Projekten nicht um Erfolg geht. Der Sinn der Anstrengung liegt in dem Projekt. Seit seinen Gesprächen zu allererst in Argentinien mit den Folteropfern hat er diese Aktivitäten nie danach verurteilen wollen, ob sie kurzfristig Erfolg zeitigen. Das erinnert mich immer an den wunderbaren Satz meines Mentors, des jüdischen Philosophen und Theologen  Martin Buber: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“.

Auf jeden Fall geht es bei diesem Aktivitäten von Kaleck darum, die Logik des konventionell machbaren und realistischen zu überschreiben. Als 1996 in Madrid die Rechtsanwälte der Folteropfer die ersten Strafanzeigen erstatten und die Richter erste Ermittlungen einleiteten (gegen Pinochet), war dieser Ausgang „alles andere als absehbar oder wahrscheinlich gewesen“. Kaleck beruft sich auf Robert Jackson, den US-Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen, der am 21. November 1945 sagte: „Auch wenn dieses Recht hier erstmal gegen die deutschen Aggressoren angewandt wird, gehört zu diesem Recht, dass es Aggressionen durch jede andere Nation verurteilen muss, einschließlich derer, die hier gerade das Gericht bilden“.  Wir seien nur dann in der Lage, Tyrannei und Aggression durch die Machthaber gegen ihr eigenes Volk zu beseitigen, „wenn wir alle Menschen gleichermaßen dem Recht unterwerfbar machen.“

Kaleck hat 2007 seine eigene Organisation gegründet,  weil er nicht so feige sein will wie Amnesty International. Als er mit seinen Kollegen die Anzeige gegen Rumsfeld in Deutschland eröffnet, kritisiert der Chefjurist von Amnesty International Christopher Hall das offen. „Indem wir das Völkerstrafrecht auf solche mächtige Gegner anwenden, würden wir nicht nur den Fall verlieren, sondern die Sache, also dem juristischen Menschenrechtsschutz langfristig einen Bärendienst erweisen“. Deshalb gründet er 2007 einen gemeinnützigen Verein, das „European Center for Constitutional and Human Rights“ ECCHR. Es wird finanziert von privaten Spenden und Stiftungen. Kaleck verläßt 2008 seine Kanzlei, damals haben sie noch keine großen Mittel. Die Organisation nimmt die Arbeit in einem kleinen dunklen Büro am Prenzlauer Berg auf.

Wir haben, möchte ich aus eigener Erfahrung hinzufügen, mal mit Hilfe von Heinrich Böll die „Deutschen Not-Anwälte“ gegründet, damals noch inkorporiert in den Verein „Deutsche Not-Ärzte / Cap Anamur“. Aber das Experiment scheiterte, viele Anwälte, die wir für solche Alarmstationen gewannen, stiegen wieder aus, erklärten uns, dass das ehrenamtliche Arbeiten ihnen standesrechtlich nicht erlaubt sei. Dann kam kurz vor seinem Tode Ralf Dahrendorf und schenkte uns einen Aufruf, der auch bis heute nur sein schönes Programm geblieben ist. Vielleicht sind die Menschen um Kaleck und Peter Weiss in der Lage, mit ihren neu gegründeten Verbänden, etwas weiter zu gehen, um Rechtskundige als integralen dritten Zweig der humanitären Bewegung zu initiieren. Dahrendorf: „Je mehr ich über die Leiden der Welt nachdenke, desto wichtiger erscheint für mich der Gedanke des rule of law! Heute bin ich der Meinung, dass Rechtsstaat noch vor der Demokratie kommt. Was bedeutet das an den Graswurzeln? Menschen müssen Rechte haben. Sie müssen wissen, dass sie Rechte haben. Sie brauchen Hilfe bei der Verteidigung ihrer Rechte.“ Dahrendorf meinte für unsere Organisation, man soll eine kleine Einheit von „rechtlich Bewanderten“ bilden, „die jeweils zu zweit, zu dritt in Unrechtsgebiete gehen und dort an Beispielen durchexerzieren, was grundsätzlich für alle gilt: Sozusagen Stoßtrupps des Rechts“.

Wolfgang Kaleck: Mit Recht gegen die Macht. Unser weltweiter Kampf für die Menschenrechte | Hanser Berlin 2015 | 224 Seiten

Quelle

Rupert Neudeck 2015   Grünhelme 2015

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