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Schmutzige Kriege – Amerikas geheime Kommandoaktionen

DU SOLLST TÖTEN – Über eine Politik, die noch grausamer ist als alle NSA Verschwörungen. Von Rupert Neudeck

Andauernd musste ich an den Satz des französischen Schriftstellers Albert Camus bei der Lektüre dieses dramatischen Buches denken, den nach der französischen Politik nun auch die US-amerikanische nicht in der Lage scheint zu beherzigen. Camus sagte während des voll ausgebrochenen Krieges in Algerien1958: „Die Folter (der französischen Militärs) hat vielleicht erlaubt, dreißig Bomben aufzufinden, aber sie hat gleichzeitig fünfzig neue Terroristen auf den Plan gerufen, die auf andere Art und anderswo noch mehr Unschuldige in den Tod schicken werden“.

Dass die Antwort falsch war, die der Westen, auch die deutsche Bundesregierung auf den 11. September 2001 gab, wird uns langsam klar. Das unheimlich genaue, investigativ bis zum letzten ausgeschöpfte Buch des Journalisten Jeremy Scahill sei allen empfohlen, die es noch nicht wissen. Politiker werden es allenfalls lesen lassen, es hat 600 dicht geballte Textseiten mit fünfzig dramatischen Kapiteln. Die geheimen Kommandoaktionen, mit denen das amerikanische System mehrgleisig über den Staatsgeheimdienst CIA und den dazu erfundenen JSOC (Spezialkräfte im Auftrag des Geheimdienstes) und mit der eigenen Armee und den privaten Milizen wie Blackwater dabei ist, die gesamte Welt noch mal zur Raison zu bringen, wird scheitern.  Auch Israel, das in seinem geopolitischen Mikrokosmos Ähnliches immer wieder durchzieht, kann so als Staat nicht gewinnen oder seine Existenz sichern.

Zwischendurch kam es mir so vor, dass es abseits unserer Nachrichten, auch und gerade derer, die die Leitnachrichten sind (Tagesschau, heute, heute-journal), Kriege geführt werden, die man in Anlehnung an eine Formel des US-Amerikaners Generals  Panetta „Kleine und große Kriege“ nennen kann. Wobei dann die kleinen nur noch all die Operationen sind, die aus der Luft und nicht mehr erklärt werden. Was daraus entsteht ist – Hass, Tonnagen von Hass, Generationen von Hass-Trägern werden dadurch erzeugt. Religiös ansprechbare Menschen dann noch stärker als andere. Samir Khan, von Herkunft ein Pakistani, der in die USA ausgewandert war, hat seinem Land den Rücken gekehrt und Amerika verraten, wie er ungeniert sagt: „Ein Verräter verdient Lob oder Verachtung. Was gut ist und was böse, wird durch die politische Haltung definiert, die man einnimmt. „Ich bin ebenso stolz, aus der Sicht Amerikas ein Verräter zu sein, wie ich stolz bin, ein Muslim zu sein“.

Was das Buch sensationeller Weise (und beschämender Weise für unsere publizistische Aufklärung) deutlich macht. Drei Kriege sind geführt worden, von denen wir wenig bis nichts erfahren haben. Von dem Drohnenkrieg cross border aus Afghanistan nach Pakistan haben wir ja immerhin einiges erfahren, auch durch die genaue Berichterstattung über den illegalen Eingriff 250 km weit ins pakistanisch souveräne Staatsgebiet um des Tötens von Osama bin Laden in Abbottabad willen. Aber nichts wußten wir über den Krieg, den die beiden Geheimdienst Spezialkräfte CIA und JSOC (=Joint Special Operations Command) in Somalia führen, zwischenzeitlich auch mit Hilfe des Partners der äthiopischen Armee. Wir wussten auch nichts über einen geheimen Krieg im Jemen, der dazu geführt hat, dass die ganze Welt immer wieder belogen wurde. Der einzige jemenitische Journalist, der einem Angriff der US-Dienste mit Drohnen auf die Spur kam, der Journalist Abdulellah Haider Shaye, wurde festgenommen, vor Gericht gestellt und eingelocht.

Überall kann man die Spuren des Misserfolges einer Weltoperation mitverfolgen, die darauf aus ist, die Gegner zu töten. Dem Leser geht es so, als ob in dieser US-Doktrin sich alles aus dem weltweit bekannten und von allen Religionen gebilligten Grundsatz geradezu umdreht: Es heißt nicht mehr: Du sollst nicht töten, es heißt, Du sollst töten. Coute que coute. Ob es die Tötung des Anführers von Al Qaida in Nordafrika Saleh Ali Nabhans war, die nur dazu führte, dass al Shaabab seine terroristischen Arme über Somalia ausdehnte auf das Meer, die Piraterie, Mogadiscio und Kenya. Somalia geriet nicht gegen die Abwehrmaßnahmen der US-Dienste sondern genau wegen dieser Aktionen zu dem größten Feld, das ein Ableger von Al Qaida  beherrschte. Somalia wurde, wie der Autor den Maplecroft Global Terrorism Risk Index für 2010 zitiert die Weltmetropole des Terrorismus mit 556 Terroranschlägen allein für die Zeit zwischen Juni 2009 und Juni 2010. Im Jemen erklärt ein Mitglied der Dienste Obamas, dass die „Meßlatte für die Tötung von Menschen“ erschreckend tief hängt.

„Drei bestätigte HUMINT (nachrichtendienstliche Abschöpfung) Berichte, und das soll reichen? Vor Gericht gälte das nur als Gerücht. Ich begreife nicht, dass sich die Leute mit so dünnen Beweisen zufrieden geben, wenn es um die Tötung von Menschen geht. Wenn man jemanden ermorden will, braucht man absolut eindeutige Beweise, dass es notwendig ist, und in unserem Interesse ist“. Das sagte der ehemalige Jemen Experte des Militärischen Geheimdienstes Joshua Foust zu dem Autor.

Die zweite große Leistung des Buches, die uns beschämt, weil sie uns in der Härte und Klarheit bisher nicht bekannt war: Unter Obama ist das Programm der ungesetzlichen Tötungsbefehle über die US-Geheimdienste zur Routine geworden und hat zugenommen – sogar im Vergleich zu George W. Bush und Dick Cheney. Die Debatte unter Obama war nur noch, wie der Präsident ein Stück seines alten Images bewahren könnte. Er konnte es aber eigentlich nicht. Als die größte Fehlentscheidung erwies sich der Nobelpreis für ihn, als er gerade im Begriff stand, den Afghanistan Krieg als seinen eigenen zu reklamieren. Alles, was Obama versprochen hatte und wofür die Welt ihn gewählt hatte als ihren großen Star und Polit-Darling bis hin zum Friedensnobelpreis, erwies sich als Enttäuschung – bis hin zur Auflösung des Gefängnisses in Guantanamo. Obama sandte General Mc Chrystal auf den afghanischen Kriegsschauplatz, der die Afghanen zur Weißglut brachte und wahrscheinlich die Taliban mehr unterstützt hat (in dem Sinne des zu Anfang zitierten Albert Camus) als die sich das selbst hatten träumen lassen.

Das Spannende – der McChrystal kam nach Afghanistan mit Ankündigungen, die überhaupt nicht ernst gemeint waren. Nicht die „Zahl der getöteten Feinde“ sei das Maß des Erfolges der US-Politik, sondern die „Zahl der vor Gewalt geschützten Afghanen“. Mc Chrystal erließ Regeln für die Luftschläge und die Hausdurchsuchungen, die alle Makulatur und nicht ernst gemeint waren. Im Gegensteil; das Weiße Haus begann mit dem General Mc Chrystal die Umsetzung der Terrorbekämpfung mittels gezielter Tötungen. Man weiss darüber auch einiges, weil damals ein US-Diplomat namens Matthew Hoh das Handtuch warf. Er erklärte, die Präsenz und die Operationen der USA und der Nato in den paschthunischen Tälern und Dörfern laufe auf eine „Besatzungsmacht hinaus, gegen die ein Aufstand gerechtfertigt“ sei.

Man kann das Buch nicht zusammenfassen

Es enthält so unglaubliche Botschaften, dass man sich wundert, weshalb es der deutschen und europäischen Politik immer wieder gelingt, diese Informationen schlicht nicht wahrzunehmen, sondern mit den USA auch unter Gefährdung der eigenen Interessen als bestem Verbündeten weiterzumachen. Die Deutschen haben z.B. einen großen Teil ihres Nimbus als Freunde Afghanistans nicht durch die Präsenz deutscher Soldaten eingebüßt, sondern durch die Tatsache, dass wir die Verbündeten und Freunde der US-Amerikaner blieben. Das vielleicht Furchtbarste für diese Einbuße an positivem Vorurteil war der Luftangriff in Kundus, der ja von US-Flugzeugen aus stattfand, weil er von Deutscher Seite so angefordert war.

Das zentrale Kapitel des Buches – obwohl alle gleich dramatisch sind – ist das 32. und das 33. Im 32. wird noch einmal deutlich, wie Obama seinen Ruf ruiniert hat. Nassar al Alawi, Professor für Agrarwissenschaften an der Universität von Sanaa, war ebenfalls von Obama positiv bewegt, als dieser zum Präsidenten der USA aufstieg. Aber er schrieb ihm einen Brief, weil er um Gnade für seinen Sohn Anwar warb. Dieser Anwar ging 2001 an die George Washington Uni, um zu promovieren. Wegen der unseligen Ereignisse vom 11. September wurde es für ihn schwierig, das Studium fortzusetzen. Er ging deshalb in den Jemen zurück. Er wurde dort auf Verlangen der US-Regierung 18 Monate in Haft gehalten. 2007 verhörte ihn der US-Inlandsgeheimdienst FBI, fand aber keine Verbindung von Anwar zu den Ereignissen des 11.09. Als jemand, der mit Begeisterung Obamas Buch „Ein amerikanischer Traum“ gelesen hatte, bittet der Vater von Anwar Awlaki diesen Präsidenten, dass er seinen Befehl überdenkt, „meinen Sohn in der irrigen Annahme gefangen zu nehmen oder zu töten“, er sei ein Mitglied von Al Qaida. Er schließt den Brief mit der bewegenden Bitte: „Mr President, ich möchte wiederholen, dass mein Sohn unschuldig ist, dass er nichts mit Gewalttätigkeiten im Sinn hat und lediglich ein Islamgelehrter ist, und das hat, glaube ich, nichts mit Terrorismus zu tun“.

Auf einen solch bewegenden Brief bekam er nicht einmal eine Antwort. Das Kapitel „Eine Nacht in Gardez“ zieht dem Leser die Schuhe aus. Da wird der Angriff einer US-Spezialkräfte Einheit auf eine Festgesellschaft geschildert, die das Namensgebungsfest – sechs Tage  nach der Geburt eines Kindes feiert und dabei werden sieben unbeteiligte Zivilpersonen ermordet, darunter zwei schwangere Frauen. Das Ganze würden wir nicht erfahren haben, weil die ISAF und die NATO brutal gelogen haben, wenn es nicht einen Times Journalisten Jerome Starkey gegeben hätte, der das Ganze noch einmal recherchiert und ans Tageslicht gebracht hat.

Der Autor lässt vernünftige Vertreter der Regierung immer wieder die Sorgen über diese Politik aussprechen. Natürlich habe sich bei Amtsantritt Obamas al Qaida im Jemen stark ausgebreitet. Aber die Frage bleibt, ob die US Aktionen, die gezielten Tötungen, die Tomahawk und Drohnenangriffe nicht „vielleicht ins Auge gehen und AQAP die Möglichkeit eröffnen könnten, neue Mitglieder zu rekrutieren und die Gewalt eskalieren zu lassen“. Diese Operationen, sagt der hochrangige Ex-CIA Beamte Emile Nakhleh zu ihm, werden nichts dazu beitragen, „potentielle Rekruten zu entradikalisieren“. Die entscheidende Frage sei für ihn die Frage der Radikalisierung. „Wie können wir ihr den Boden entziehen?“ Ein anderer Oberst Patrick Lang sagt: Der Globale Krieg gegen den Terror habe sich verselbständigt. Und „die Tatsache, dass sich diese Antiterror- und Antiaufstandsbranche zu einem solchen Riesending entwickelt ..all das hat ein großes schreckliches Beharrungsvermögen, das dafür sorgt, das alles weiter in die falsche Richtung läuft“. Es wäre nötig, eine bewusste Entscheidung zu fällen und das kann nur der Präsident, der müsste sagen: „Okay Jungs, die Show ist jetzt zu Ende“.

Alles, was Obama angekündigt hatte, war Makulatur. Er hatte am 22. Januar 2009 zum großen Aufatmen der Welt den Präsidentenerlass 13491 unterzeichnet. Danach hätte die CIA „so schnell wie möglich alle Gefängnisse schließen müssen, die sie gegenwärtig unterhält und in der Zukunft keine derartigen Gefängnisse mehr unterhalten“ dürfen. Das genaue Gegenteil geschah. Guantanamo wurde nicht aufgegeben. Und in Mogadiscio übernahmen die US-Spezialdienste das schreckliche Foltergefängnis, das einst der somalische Präsident Siad Barre im Untergrund von seinem Sicherheitsdienst hatte einrichten lassen. Es hatte den somalischen Spitznamen Godka, das Loch.

Die Spezialkräfte im Jemen benahmen sich so wie überall. Ohne Scham wurden Menschen getötet als Kollateralschäden, Vieh vernichtet, Häuser und weiteres. Deshalb fragte sich der Scheich Ali Abdullah Abdulsalam: „Die USA betrachten al Qaida als Terrorismus und wir betrachten die Drohnen als Terrorismus“. Überall wurden Menschen aus der Luft getötet. Der Scheich: „Wir fordern von den USA Entschädigung für die Tötung jemenitischer Zivilisten, so wie im Fall Lockerbie. Die USA haben von Libyen Entschädigung für den Anschlag von Lockerbie erhalten, aber die Jemeniten bekommen keine.“

Das Buch von Scahill ist der stärkere und wichtigere Snowdon. Da haken wir uns immer wieder fest in Empörungswellen, wenn Angela Merkel oder Gerhard Schröder abgehört wurden vom NSA. Hier geht es um verdeckte Operationen, die alle Länder betreffen können. Der weltweite Krieg gegen den Terror findet im Zweifel in jedem Land statt, auch in Deutschland. Als ich die Rezension in Deutschlands maß-gebender Zeitung las, wusste ich, Scahill wird nicht das Aufsehen erregen, er braucht auch kein Exil in Hongkong, Moskau oder Berlin. Aber er muss zur Kenntnis genommen werden. Und wir sollten nicht freihändig weiter mit dieser Rambow-Strategie zusammenarbeiten.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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