‹ Zurück zur Übersicht
KNAUS Verlag

© KNAUS Verlag

Silicon Valley

Was aus dem Mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Holt Deutschland auf oder ist es schon abgehängt? Zu einem Buch über Silicon Valley. Von Rupert Neudeck

Das Buch beschreibt unaggressiv, erzählend gleichsam, wieweit wir hinter der amerikanischen Silicon Valley Wirtschaft hinterherhinken. Man erfährt über diese Welt durch das Buch überraschend neue Einsichten. Es ist eine Mischung aus Selbsterlebtem Im Silicon Valley, aus Gelesenem und Gehörten von denen, die das System gut durchschauen können, weil sie es selbst betrieben haben. An manchen wenigen Stellen ist das Buch sensationell eindrucksvoll, nämlich immer da, wo der Autor einen Deutschen vorstellt, der dort arbeitet und sich und ihn dann fragt, ob man sich so etwas auch in der Bundesrepublik Deutschland vorstellen kann.

Das Buch ist auch eine Apotheose auf Techniker in allen Facetten. Wirtschaftlicher Erfolg sei für diese Techniker nicht der entscheidende Beweggrund, aber ein angenehmer Begleitumstand. „Gerade diese weltfremde Erfolgsvergessenheit beflügelt ihren wirtschaftlichen Erfolg“.  Für das wirklich Neue braucht es den „träumerischen Realitätsverweigerer.“ Einen Typ, den Steve Jobs in einem Apple Werbespot beschrieben hat. Er sagt: „An alle, die anderes denken.  Die Rebellen, die Idealisten, die Visionäre, die Querdenker, die  sich in kein Schema pressen lassen, die die Dinge anders sehen. Wir können sie bewundern oder ablehnen. Das Einzige, was wir nicht können, ist, sie zu ignorieren“. Denn diejenigen, die verrückt genug seien zu meinen, sie könnten die Welt verändern, sind die, die es tun. Solche Verweigerer der Realität sind vor allem Techniker oder unter Technikern zu finden. Das Silicon Valley sei ihr bevorzugtes Refugium.

Das ist das Paradox, was wahrscheinlich dazugehört zu diesem Phänomen des amerikanischen Traums. Den genialen Techniker-Rebellen geht es nicht ums Geld. „Der Techniker will ein Problem lösen. Ich will jetzt nicht verkaufen. Ich will den schnellsten Chip bauen“. Bis dahin werden die Käufer sich gedulden müssen.

Dann ist es der Autor wieder mit einem Gründer-Deutschen zusammen, Andreas von Bechtholdsheim, Gründer von Sun Microsystem, geboren 1955. Christoph Keese hatte ihn im Springer Haus kennengelernt. Keese fragt ihn, ob das mit einem solchen Unternehmen in Deutschland gehen könnte? Ob es so was auch bei uns gibt, das uns an die Spitze der Technik anbindet! Antwort: „Manchmal glaube ich, Deutschland will absichtlich nicht weiterkommen.“ Das Silicon Valley sei sehr weit vorn. „Vielleicht könnte man den Erfolg nachahmen. Aber dafür müsste man es wirklich wollen. Will man das? Es sieht nicht danach aus“. Das ist eine der Schlüsselstellen des Buches. Eine andere ist die, an der der Autor die drei Faktoren benennt, die die kalifornischen Start Ups so schnell machen. Da sei das Prinzip der feststehenden Zeit durch die Venture Capital Runden, die das finanzieren. Das Herausbringen von Minimal Viable Products und die evolutionäre Weiterentwicklung mit Hilfe des Publikums. Und eine Infrastruktur von Inkubatoren, die den sozialen Austausch unter den Gründern erleichtern. Die Produkte durch interne Kritik verbessern helfen und den Kontakt zu den Investoren organisieren. In Deutschland seien alle diese drei Faktoren noch unterentwickelt.

Es sind neue Fachbegriffe und Worte da, wie z.B. das „pivoting“, die „disruption“, „bootstrapping“. Anfangs war „disrupt“ ein wirtschaftswissenschaftlicher Fachbegriff aus der Innovationstheorie. Der Professor aus Harvard, Clayton Christensen habe ihn geprägt. Er wurde 2011 zum einflussreichsten Wirtschaftsdenker gekürt. Christensens Ansatz sei in Kalifornien wichtiger als Schumpeters „schöpferische Zerstörung“, die klassische Theorie zur Erklärung der rohen Vernichtungskräfte, Christensen sei so etwas wie der Charles Darwin von Silicon Valley;: „Nicht die stärkste Art überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern die wandlungsfähige.“ Die Unternehmen seien Geiseln der Kunden. Das Gegenteil von disruptiver Innovation ist erhaltende Innovation. „Erhaltende Innovationen können durchaus radikal sein und einen Bruch auslösen“.

Der Haupt- und Magendevise vom Silicon Valley heißt: Man muss bereit sein, alles über Bord zu werfen. Was gestern wahr war, kann heute falsch sein. Man müsse sich trennen können von seinen voreiligen Schlüssen. Ein gutes Produkt sei etwas anderes als eine gute Idee. Es sei die Reduktion der Idee, die Essenz.

Aber noch einmal, die Digital-Industrie in ihrer ganzen Evolutionären Explosion ist von Technikern geschaffen worden. Ganz gleich ob es sich um Google, Apple, Facebook, Interl , LinkedIn,. Sealesforce, Oracle handelt. Steve Jobs sei von den Aktionären bei Apple einmal gefeuert worden, weil er zu viel Geld für etwas Unvernünftiges ausgegeben habe. Es war der Macintosh, später war es einer der größten Erfolge seines Unternehmens.

Christoph Keese beschreibt während seines US-Aufenthaltes im Silicon Valley alle Nachteile und Rückstände im deutschen wirtschaftlichen, politischen und vor allem im Bankenbereich, der sich einfach weigert, zugunsten kurzfristiger Profite Strukturreformen zu machen. Aber er wird in dieser Zeit von Gisbert Rühl aus Duisburg angerufen und dann auch gleich besucht, dem Vorstandsvorsitzenden von Klöckner, Europas größtem Stahlhändler in Duisburg. Er hatte im „Spiegel“ von dem Experiment Springers im Silicon Valley gelesen und gab zu, dass sein Firmenmodell auch von der Digitalisierung bedroht sei. „Mich interessiert, was kalifornische Gründer über uns denken. Wie würden sie den Stahlhandel zerstören, wenn sie es selbst wollten?“  Er kam, wie Keese berichtet, um Klöckner zu zerstören. Das ist die neue Sprache der digitalen Welt. Denn Keese fügt für jemanden, der noch in der analogen Welt groß geworden ist hinzu: „Natürlich ging es ihm nicht um Zerstörung, im Gegenteil: Er kämpft darum, seine Firma in die Zukunft zu führen“. Um das zu erreichen, denkt er „disruptiv“, das ist das neue Wort für eine andere Art von Zerstörung.

Jahre später traf Keese Rühl in Berlin, wo er Entwickler und gute Dienstleister suchte. Was er in Palo Alto gelernt hatte, befand sich jetzt bei Klöckner schon in der Umsetzung. Die Personalpolitik war abgepasst worden. Software Ingenieure wurden gesucht, eine neue Strategie wurde begonnen. In Plattformen zu denken. Plattformen seien „die Hotspots der Digitalisierung“. Wer sie besitzt, muss sich um sein Auskommen keine Sorgen machen. Der größte Teil der Wertschöpfung finde auf Plattformen statt. Darin liegt der grandiose Unterschied zu der analogen Wirtschaft. Damals herrschten Marktplätze wie Messen, Großhändler und Wochenmärkte. Rühl musste bei Klöckner immer unglaubliche Mengen Tonnen Stahl auf Halde haben, riesige Lagerbestände. Jetzt war die Aufgabe nicht mehr, riesige Lagerbestände vorzuhalten, sondern den Warenfluss über eine Plattform zu organisieren.

Man fragt sich als Leser, ob dieser Umkehrprozess nur gut oder auch seine nicht gut verschmerzbaren Verluste für eine Gesellschaft hat. Man fragt sich, ob es nicht vielleicht ganz gut ist, wenn die deutsche Politik, Wirtschaft, Gesellschaft das nicht alles in dem atemberaubenden und vielleicht unsinnigen Beschleunigungstempo von Silicon Valley mitmacht. Und dann erfährt der Leser, dass er mit seinen Bedenken vielleicht sogar beim Autor landen kann. Denn Ende Juli 2013 erlebt der Leser den Autor, seine Frau und seine Kinder im Flugzeug zurück nach Deutschland. Hätten wir bleiben sollen, fragt er sich? Denn er bringt die Kinder zurück in ihre Heimat – ein Begriff, den es vielleicht in der digitalen Welt kaum noch geben wird. Aber führt sie weg vom „Epizentrum des 21. Jahrhunderts“. Von glänzender Bildung und Berufschancen “zurück in die verarmte deutsche Hauptstadt mit ihren oft schlecht geführten Schulen, den durchschnittlichen Universitäten und den mäßig erfolgreichen Unternehmen“. Vielleicht sollten sie als ganze Großfamilie nach Kalifornien umziehen.

Aber der Leser erlebt, das sind rhetorische Großmannsfloskeln. Der Autor weiß auch um die Vorteile von Deutschland gegenüber Kalifornien: „ein starker Mittelstand, eine gesunde Industrie, intakte Städte, soziale Gerechtigkeit, gute Bildung breiter Schichten, moderne Verkehrsmittel, ein faireres Rechtssystem und vieles andere mehr“. Doch kommt er auf eine Formel, die vielleicht die alte Welt mit dem „Handwerkerstolz“ und der „Unternehmerehre“ mit dem 21. Jahrhundert verbinden kann. „Spät anfangen und dann andere überholen“, sagt der Autor, sei die größte Stärke der Bundesrepublik. Privatfernsehen haben wir erst eingeführt (und hätten es nie einführen sollen), als es in den USA schon jahrzehntelang auf Sendung war. Post, Telekom und Bahn wurden spät privatisiert. Und, sagt der gebeutelte Leser: hätten vielleicht nie privatisiert werden sollen. Tablets hätten in Deutschland die Leute erst gekauft, als drüben in den USA schon jeder eines hatte. Und 3D-Fernseher kommen in Deutschland erst dann in die Wohnzimmer, wenn Südkoreas Wohnungen komplett ausgestattet sind. „Dann aber schaffen wir plötzlich den noch viel größeren Erfolg“. Da fehlt dem Buch eine Tiefenschärfe, die man ihm gönnen würde, um die wichtigen Fortschritte einzuordnen, andere wegzuwerfen.

Warum können wir in dem alten Europa nicht auch die Digitalisierung begrenzen? Müssen wir jeden Schritt mitmachen, der unsinnig ist? Eben weshalb sollten 3 D Fernseher Fortschritt sein? Und dann gibt der Autor Anweisungen für die Reform des reformmüden Schulsystems in Deutschland. Mathe Deutsch, Englisch, Bio Physik, Chemie. Aber sie sollten programmieren lernen. Den Einwand, dass sie das noch früh genug lernen werden, und erst das richtige Schreiben, Rechnen, Lesen, Besitz von Grundbildung wichtiger sei, wird von ihm nicht akzeptiert. Es könnte aber Europas Bildungssystem auszeichnen, wenn wir auch der „Welt von gestern“ nicht ganz ade sagen, sondern ihren Wert festhalten. Ist es eine Katastrophe, wenn unsere zehnjährigen Enkelkinder noch nicht wissen, was ein Algorithmus leistet? „Ohne Wissen vom Programmieren wird man als Konsument zum Spielball der Kräfte, si wie Kaspar Hauser der in die Stadt kommt und nicht versteht, warum es Brot aus dem Laden gibt statt Beeren aus dem Wald“. Ja, und das ist etwas, was das menschliche Leben ja mindestens so auszeichnet wie der Algorithmus und die Programmiererei: das Staunen über die Welt und das, was sie zusammenhält.

Das Buch enthält wichtige Impulse, doch berücksichtigt der Autor nicht, dass die Welt von gestern auch die Werte generiert, ohne die eine Liberale Gesellschaft nicht existieren kann. Wir brauchen vielleicht auch die Philosophie und einen Philosophen, um diese Zusammenhänge zu verstehen. Zwischendurch ertappte ich mich beim Lesen, dass ich mir eine völlig unsinnige Frage stellte: Wie würde Martin Heidegger die Aufforderung zur Programmierung und zur Disruption gelesen haben – oder gar der großartige, für alles Neue empfängliche Immanuel Kant aus Königsberg?

Stattdessen zitiert der Autor zum Schloss und setzt ihn in den Zeugenstand, den französischen Humanisten und Philosophen Etienne de la Boetie mit seinem Traktat von der freiwilligen Knechtschaft: „Der Mensch, welcher euch bändigt und überwältigt, hat nur zwei Hände, hat nur einen Leib und hat nichts anderes an sich als der geringste Mann aus der ungezählten Masse eurer Städte, alles, was er vor euch allen voraus hat, ist der Vorteil, den ihr ihm gönnt, damit er euch verderbe“. Gabor Steingart, Chef vom „Handelsblatt“, hat diesen Mann ausgegraben, um damit etwas zu sagen: Wir sind alle Mittäter an der Errichtung des Königsreiches des Digitalen in Gestalt von Google, die Größtfirma, die – wie wir auch über das Buch erfahren – in Deutschland einen Gewinn von 4 Milliarden macht, aber nur vier Millionen Steuern zahlt. Das Land der Idee, Deutschland, könnte das Land der Welterfolge werden. Dafür müsse man die Chancen ergreifen und die Fehler Kaliforniens vermeiden. Davon war in dem Buch zu wenig die Rede bei der Begeisterung von Christoph Keese über Kalifornien, wohin er ja beinahe mit seiner Großfamilie ausgewandert wäre. Dazu fehlt der philosophische Teil des Buches, das, was der Dalai Lama mit seiner Botschaft von der umstürzenden Ethik künftiger Gesellschaften sagen will. Die Erfolge werden uns dümmer machen als wir je waren, wenn wir keine Ethik des Zusammenlebens produzieren.

Das Buch bleibt auf der Kammspitze zwischen Gefahreneinsicht der neuen Digitalökonomie und realer Sicht auf die großen Chancen, die nicht mehr übersehbar sind. Dass das oft wie ein Widerspruch gegeneinander knallt, das hat die Realität zwischen Silicon Valley und Singapur so an sich. Sigmar Gabriel, der deutsche Wirtschaftsminister wird mit einer lockeren Zukunfts-optimistischen Prognose zitiert: Die Macht der digitalen Revolution liege darin, dass kein Mensch direkt gezwungen würde, mitzumachen. „Die digitale Welt ist zu der Welt geworden, in der die Mehrheit lebt.“ Es sei also kein äußerer Feind, „der mit einer Kolonisierung unserer Lebenswelt droht.“ Aber, so fügt er auch hinzu, es seien die Emotionen und Identitäten des modernen Menschen, die zur Debatte stehen.

An anderer Stelle beschriebt Keese, der in sechs Monaten immerhin so viel in Silicon Valley erlebt hat, dass er darüber ein dickes Buch schreiben kann, den möglichen Absolutismus, den Firmen, Weltfirmen, Weltgiganten wie Google ausüben können. Harvard Professorin Shoshana Zuboff zitiert der Autor – und der Widerspruch ist bis heute nicht ganz aufgelöst zwischen großer weltumspannender Chance und Gefahr: Google sei dabei, „ein neues Reich zu errichten, dessen Stärke auf einer ganz anderen Art von Macht basiert – allgegenwärtig, verborgen und keiner Rechenschaft pflichtig.“ Falls das gelingen würde, werde die Macht dieses Reiches alles übertreffen, was die Welt bisher gesehen habe. Es wäre eine neue Form von Absolutismus.

Christoph Keese „Silicon Valley – Was aus dem Mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt“ – online bestellen!

 

 

Quelle

Rupert Neudeck 2015 Grünhelme 2015

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren