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Verbietet das Bauen!

Wir müssen nicht mehr neu bauen in Deutschland. Zu einem vernünftigen Plädoyer. Von Rupert Neudeck

Das Buch macht mit einer Entwicklung bekannt, die wir hinnehmen, weil uns immer gute und profitable Gründe dafür genannt werden. Aber sowohl für den einzelnen Bürger wie für die Gemeinschaft ist es besser Bausubstanz zu erhalten. Gebäude zu sanieren und in leerstehende Häuser und Gebäude umzuziehen. Die moderne Mode, überall und immer zu bauen, hat uns auf eine Abschussbahn getrieben, deren letzte Skandalausläufer uns nur noch müde beschäftigen, sie sind eher Anlässe für Kabarett, wenn sie nicht so furchtbar viel Geld verschlingen würden. Das Buch beginnt mit diesem Paukenschlag; Der Flughafen Berlin Brandenburg dürfte am Ende bei fünf Milliarden Euro landen, vielleicht auch bei acht oder neun. Doch nicht nur in den Prestigebauten der Länder, Städte und Kommunen ist etwas faul, es entstehen in Deutschland jährlich einige hunderttausende Quadratmeter Handelsfläche, mehrere Millionen Quadratmeter Büros und über 200.000 Wohnungen.

Die Bauindustrie hat natürlich längst die Hand am Puls des Gewissens, sie lockt mit Ökohäusern. Aber die brauchen für ihren Bau auch eine Menge Energie und Raum. Und der Raum kann nicht wachsen. Apodiktisch sagt der Autor: Irgendwann haben wir genug Häuser gebaut. Bauen ist kein Grundrecht. Die Devise müsse heißen: „Abriss verhindern, Leerstand beseitigen und die Häuser weiter, neu und besser nutzen. Es mag etwas übertrieben sein, aber es hat unsere Sympathie, denn überall in Deutschland werden seelenlose phantasielose Hallen und Lagerhallen aufgebaut, die in ihrer Hässlichkeit kaum zu überbieten sind. Das ist vielleicht der einzige Gesichtspunkt, den ich in diesem sehr luziden Buch vermisse. Wohin unsere Wohn- und Zusammenlebensästhetik verschwunden ist?

Das Buch hat nichts am Hut mit Ausgewogenheit, es setzt seine Schritte radikal einen vor den anderen. Nach der Analyse der Bauwut – neben dem Flughafen sind noch der elende Bahnhof 21 in Stuttgart mit Kosten von geschätzt 4,5 Milliarden Euro zu nennen Der unsinnige Prestigeumzug des Bundesnachrichtendienstes aus Pullach nach Berlin für 1, 5 Mrd Euro, die Elbphilharmonie in Hamburg mit Kosten von bis 789 Mio. Euro und mehr. Und das Humboldt Forum in Berlin mit kalkulierten Kosten von 590 Mio. Euro. Die Kommunen machen solche Leuchtturmprojekte sehr gern, weil sie dafür entsprechend hohes Fördergeld aus dem Bund oder auch aus der EU-Kommission bekommen. Im zweiten Kapitel kommt der Frontalangriff auf das scheinbar ökologische Haus: „Etikettenschwindel mit Siegel“. Das dritte Kapitel fängt gleich mit dem Trompetensignal an: „Bauen ist unsozial“. Bürger wehren sich auch, sie entdecken wie heute bei der Flüchtlingskrise wieder, dass wir unglaublich viele leerstehende Gebäude und Wohnungen haben, mehr als wir ahnen können.  

Dann kommt das Kapitel als Postulat: „Vereitele den Abriss. Abriss vernichtet Stadtgeschichte. In den 19 größten deutschen Bürostandorten stehen mehr als acht Millionen Quadratmeter leer… Immer geht es um Profite. Den Investoren winken mit Neubauten bessere Mieten. Nur etwa 10 Euro pro Quadratmeter kosten Büros in Frankfurt Niederrad, bis zu 14 Euro bringen die neuen Wohnungen in der Lyoner Straße.

Auf jeden Fall bleibt in diesem hoch interessanten Buch es immer klar: Wenn wir den sog. CO2 Fußabdruck bei dem Lebenszyklus eines Gebäudes mitbedenken, können wir nicht mehr neu bauen, sondern müssen die existierenden und oft leer stehenden Altbauten benutzen.  Es kommt dann immer dazu, dass „energetisch optimierte Bestandsbauten gegenüber Neubauten im Vorteil“ sind. Der Kampf ist aber gegen die Lobbyisten des Neubaus zu führen, für die Altbauten immer eine Energieverschwendung darstellen. Doch ist das Gegenteil der Fall. Eine Studie der „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen“ hält das im Titel fest: „Unseren alten Häuser sind besser als ihr Ruf“. Früher wurde eben auch besser gearbeitet als wir heute glauben. Man muss in einem Passivhaus anders heizen und lüften. Seine Wände bestehen aus mehreren Schichten und heizen sich darum nicht so stark wie Mauerwerk. Die Bewohner vermissen die warme Ausstrahlung der Wände und fühlen eine Kälte, die es objektiv fast nicht gibt. Sie drehen die Heizung auf, obwohl die Luft warm ist. „Die neue Ökobauweise verfehlt ihre möglichen Sparziele, weil die Bewohner in der Praxis damit nicht klarkommen.“ Das Buch macht unmissverständlich deutlich, dass die Gesamtbilanz auch der Kosten für die Sanierung des Altbaus und gegen den Neubau spricht. Jeder kann das auch in seiner Nachbarschaft sehen. Ein Abriss jedes alten Hauses bringt eintausend Tonnen Bauschutt mit sich. Ein schwerer LKW, ein Zwanzigtonner müsste hundertfünfzig mal vorfahren, um den Bauschutt wegzubringen.

Die Kapitel widmen sich dem Umbauen, dem Mut zur Nähe, wenn Alt und Jung sich wieder zusammenfinden. Und dem Umzug nach Düsseldorf Nord. Das wäre noch ein weiteres Thema, weshalb es keinen Sinn macht, weiter die Ideologie des Eigenheimes zu propagieren und durchzuführen. Denn Liebe sei der „häufigste Umzugsgrund“, das ist nett formuliert, kann auch heißen, Scheidung und Trennung und neue Bindung an einen Lebensabschnittspartner. Nach dem Immobilienportal Immonet ziehen fast die Hälfte aller Befragten wegen eines Partners um, nur ein Viertel wegen der Arbeit. Es gibt in Deutschland pro Jahr vier Millionen Umzüge. Der Autor: „Wenn auch nur bei jedem zweiten Umzug zehn Quadratmeter nicht benötigte Fläche frei würden, dann wäre mit umgerechnet 250.000 Wohnungen genau so viel Raum gewonnen wie derzeit durch sämtlichen Neubau.“

Es geht auch um die Bewahrung unserer Geschichte. Im Osten müssen nicht alle Plattenbauten plattgemacht werden. Im Westen müssen nicht alle Museen neu gebaut, die alten abgerissen werden. Die Bürger in Dortmund haben das Haus des früheren Museums am Ostwall durch ihre Proteste gerettet. Das Museum zog 2009 aus und hinterließ ein leeres Gebäude. Hinter der Fassade von 1947 haben sich Teile des Königlichen Oberbergamtes von 1875 erhalten. Anfang 2015 entschied der Dortmunder Stadtrat: „Hier entsteht ein Archiv von Baukunst“. Das Buch berichtet diese Erfolge wie eigene Siege und sie sind es für den Bürger ja auch. So ähnlich war es mit dem Frankfurter Philosophicum des Architekten Ferdinand Kramer. Es war ein Klassiker der Nachkriegsmoderne. Der Bau von 1960 sei zwar als Denkmal anerkannt, stehe aber seit über zehn Jahren leer – wie so vieles in Deutschland. 2014 drohte der Abriss. Eine Gruppe von Bürgern wollte das retten, plante Wohnungen, ein Quartiersbüro und ein Waschhaus sowie ein Archiv zur Ehre des Architekten. Es scheiterte am Geld. Trotzdem blieb das Philosophicum erhalten. Ein Unternehmen wird dort Appartments schaffen.

Man kann auch noch räsonieren, ob man das Wort „Verbot“, das hässliche, nicht fallenlassen und stattdessen schonend von „Regeln“ sprechen sollte? Vorschläge gibt es genug, von denen das Buch berichtet. So schlagen Wissenschaftler vom Wuppertaler Institut vor, ein erster Schritt für ein generelles Bauverbot könnte ein „Wohnflächen-Moratorium“ sein. Das ganze Buch beschreibt mit all seinen Beispielen und Vorschlägen, dass es um die entscheidende Frage geht: „Möchten wir unsere Städte weiter kaputt machen oder sie bewahren?“ Diese Freiheit hätten wir heute noch, obwohl ich als Leser zweifle, wenn ich sehe, was es an gewaltigem Abrissen und Neubauten in unseren Städten weiter gibt.

Es sind alles gesellschaftliche Fragen, die auch um die Politik gehen. Der Autor erwähnt den Soziologen Harald Welzer, der 2013 erklärte, dass er nicht wählen gehe. Keine der Parteien beschäftige sich ernsthaft mit dem Wandel unserer Gesellschaft, „alle sind für Wachstum, die Grünen origineller Weise für grünes Wachstum statt für farbloses“. Daraus zieht der Autor die Folgerung: Es ist nicht links oder rechts, ob man das Bauen verbietet, es sei „eine Frage der Vernunft“

Das Buch verdient die größte Verbreitung. Es macht mit Wortungetümen bekannt, die sich erst langsam auflösen. Z.B. das Factory Outlet Center (FOC), das etwas „ganz anderes“ bieten will als die bestehenden Händler. Niedrige Preise kann man da erleben, möglich geworden durch niedrige Lebensstandards in den produzierenden Ländern. „Wir importieren Billigware und exportieren Ausbeutung“. So ähnlich gelte das auch für Filialen von Primark. Teenager kreischen zur Eröffnung vor Begeisterung wegen der günstigen Preise, aber eigentlich „sollten wir schreien vor Empörung!“ Mehrfach unsozial ist die Billigkleidung, denn in anderen Ländern arbeiten Menschen zu miserablen Löhnen unter schlechten Bedingungen, und in Deutschland gehen wegen der billigen Waren die Fachgeschäfte kaputt. Ein Buch, das wir jetzt brauchen.

Daniel Fuhrhop „Verbietet das Bauen – Eine Streitschrift“

Quelle

 Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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